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       # taz.de -- Alkohol in Russland: Es geht weiter unterm Tisch
       
       > In Russland wird der Wodkapreis angehoben. Aber ändern wird das nichts –
       > Russen finden immer einen Weg, Gesetze zu umgehen.
       
   IMG Bild: Trinken muss man trotzdem.
       
       Gennadi Onizenko, Chef der russischen Verbraucherschutzbehörde, konnte
       wenige Tage vor dem Jahreswechsel nicht umhin, seine Landsleute mit ein
       paar Ratschlägen für die bevorstehenden Feierlichkeiten zu behelligen. Sie
       sollten doch das neue Jahr im Kreise der Familie begrüßen und ohne Alkohol,
       sagte er. Gespräche mit den Nächsten würden den Griff zur Flasche vollends
       „kompensieren“.
       
       Abstinenz in Russland? Wo sich die Menschen auch ohne besonderen Anlass und
       unabhängig von der Jahreszeit „unter dem Tisch treffen“ – wie eine
       Redensart den Vollrausch so treffend umschreibt. Verzicht, und das
       ausgerechnet an Silvester?
       
       Von wegen. In dieser Nacht dürften es die Russen mit Hochprozentigem noch
       einmal so richtig krachen lassen. Denn ab dem 1. Januar 2013 ist wohl für
       so manchen Schluss damit. Die Preise für Wodka (zu deutsch: das
       Wässerchen), die nach wie vor beliebteste Spirituose, sollen um rund ein
       Drittel steigen.
       
       Ein halber Liter des billigsten Fusels wird dann umgerechnet 4,20 Euro
       kosten. Mit dieser Maßnahme wolle die Regierung auch den Alkoholismus im
       Lande bekämpfen, hieß es zur Begründung.
       
       In der Tat: Ein Blick auf die einschlägigen offiziellen Statistiken deutet
       – gelinde gesagt – auf einen gewissen Handlungsbedarf hin. Fünfzehn Liter
       reinen Alkohols schütten die Russen im Jahresdurchschnitt in sich hinein,
       wobei der samogon, der sogenannte Selbstgebrannte, noch nicht einmal
       berücksichtigt ist. Jährlich stirbt etwa eine halbe Million Menschen am
       Suff – das heißt, jeder fünfte Todesfall ist eine Folgen des exorbitanten
       Konsums. Die Lebenserwartung russischer Männer liegt mittlerweile bei 59
       Jahren, was allenfalls die Rentenkassen entlastet.
       
       ## Schon Gorbatschow kämpfte gegen den Alkohol
       
       Doch nicht erst die jetzige Regierung erklärt dem weitverbreiteten Übel,
       das der Interimspräsident Dmitri Medwedjew 2009 als „nationale Katastrophe“
       bezeichnete, den Kampf.
       
       Schon Michail Gorbatschow, seines Zeichens letztes Staatsoberhaupt der
       Sowjetunion, versuchte, des Problems Herr zu werden. Kurz nach seinem
       Amtsantritt im März 1985 unterzeichnete er eine Verordnung mit dem Titel
       „Über Maßnahmen zur Überwindung der Trunksucht und des Alkoholismus“. Er
       ließ Alkoholgeschäfte sowie Wodkafabriken schließen. Er verbot den
       Ausschank von Alkohol in den sowjetischen Botschaften im Ausland. Und der
       vom Volk spöttisch betitelte „Mineralsekretär“ ließ Zucker rationieren, um
       dem schändlichen Treiben der Selbstbrenner Einhalt zu gebieten. Spätere
       Machthaber verfielen auf die Idee, die Werbung für Alkohol drastisch
       einzuschränken, die Verkaufszeiten zu reglementieren und private
       Schnapsbrennereien mit schärferen Strafen zu belegen.
       
       Doch bislang liefen alle diese Aktionen ins Leere. Nach dem Motto
       „improvisazija“ fanden und finden die durch siebzig Jahre Sowjetherrschaft
       gestählten Russen immer einen Weg, Gesetze zu umgehen und sich mit dem
       Lebensnotwendigen zu versorgen.
       
       Wo Originalschnaps nicht greifbar ist, um sein Elend zu ertränken, tun es
       eben auch Eau de Cologne, Haarwasser und Frostschutzmittel – und mit
       Industriealkohol gepantschter Wodka, dessen Verzehr schneller als gedacht
       auf den Friedhof führt.
       
       Schon jetzt werden Befürchtungen laut, die Preiserhöhung für Wodka könnte
       die Herstellung und den Vertrieb illegalen Alkohols befördern. Die Chancen
       dafür stehen gut. Jüngsten Berichten zufolge häufen sich derzeit Berichte
       über eine Zunahme von Depressionen und Selbstmorden. Doch das kann ja auch
       an dem eiskalten Winter liegen.
       
       31 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
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