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       # taz.de -- Wahlkampf in Niedersachsen: Startschuss zum Endspurt
       
       > Niedersachsen wählt am 20. Januar. Während die Wahlkämpfer mit dem
       > Plakatekleben beginnen, unterzieht die taz die Parteien einem
       > Kampagnencheck.
       
   IMG Bild: Haben entgegen der Vereinbarung bereits Ende November mit dem Plakatieren begonnen: Mitarbeiter der Piratenpartei in Hannover.
       
       HANNOVER taz | Auch nach der jüngsten Umfrage des
       Meinungsforschungsinstituts Info liegt Rot-Grün vor der Koalition aus CDU
       und FDP, weil die FDP den Wiedereinzug in den Landtag mit 3,5 Prozent
       verpassen würde.
       
       Ebenso unter der Fünf-Prozent-Hürde bleiben die Piraten (4,5 Prozent) und
       die Linke (4 Prozent). Heute endet die Friedenspflicht im Wahlkampf – und
       der Endspurt beginnt.
       
       ## Piraten
       
       Die Kampagne: "Ideenkopierer" nennen sich die Niedersachsen-Piraten im
       Wahlkampf und kopieren auf ihren Plakaten die Werbung großer Marken: "Die
       zarteste Versuchung seit es Parteien gibt", heißt es da etwa. "Ich wähle
       es" mit Piraten-Logo in Gelb auf rotem Hintergrund. Politische Versprechen
       gibt es nicht, "vertrau keinem Plakat, informier dich" ist stattdessen der
       Aufruf.
       
       Innovationsfaktor: So offensiv sucht keiner Sponsoren. Wer seine
       Firmenwerbung ebenfalls auf Piraten-Plakaten verwursten lassen will, kann
       das durch Spenden erreichen. Umgekehrt kann man sich mit Spenden vor Kopien
       schützen. Die Aktion ist laut Piraten legal und von den
       Antikorruptionsregelungen gedeckt.
       
       Fairnessfaktor: Dass sie schon Ende November als erste mit dem Plakatieren
       begonnen haben, brachte den Piraten großen Ärger. CDU und FDP geißelten
       eine Belästigung in der Adventszeit, mancherorts stellten sich die
       Verwaltungen quer. Die Piraten verweisen auf die Rechtslage, die Werbung ab
       zwei Monaten vor der Wahl erlaubt. Vereinbarungen, erst nach Weihnachten zu
       plakatieren, benachteiligten "kleinere Parteien, die nicht über ein
       riesiges Wahlkampfbudget verfügen".
       
       Peinlichkeitsfaktor: Schwankt zwischen rundweg brillant und völlig daneben.
       
       ## SPD
       
       Die Kampagne: Während bei der CDU der McAllister-Dudelsack dudelte, stellte
       die SPD wochenlang KandidatInnen für ihr Schattenkabinett vor - vornehmlich
       altgediente ParteisoldatInnen, allesamt von weitgehend gleicher Prominenz
       und Strahlkraft wie Spitzenkandidat Stephan Weil. Dessen Name wird jetzt in
       Wahlkampfslogans verwurstet. Zum Beispiel: "WEIL wir Studiengebühren
       abschaffen".
       
       Innovationsfaktor: Zwiespältig. Schattenkabinetts-Enthüllungen sind
       wirklich old school. Andererseits zeigt sich die SPD erstaunlich
       internetaffin: Bei ihren sprechenden Plakaten können Smartphone-Nutzer mit
       einer speziellen App Ansprachen von Weil herunterladen. Der veröffentlicht
       bei Youtube täglich Videobotschaften, für die es ausnahmsweise den ...
       
       Originalitätsbonus gibt: Videos vom verschlafenen Weil, frontal gefilmt,
       ungelenk duzend, sind Trash im besten Sinne.
       
       Fairnessfaktor: Was bisher am meisten empörte, wird als Kommunikationspanne
       entschuldigt: Ende November - mitten in der Waffenruhe - hingen vor der
       CDU-Zentrale in Hannover plötzlich Plakate von Weil und Landtagskandidatin
       Doris Schröder-Köpf. Die CDU lief Sturm, die Plakate verschwanden umgehend.
       
       Peinlichkeitsfaktor: Absolut schmerzfrei.
       
       ## Bündnis 90/Grüne
       
       Die Kampagne: "Machs möglich" und "wechseln wirkt" sind die Slogans der
       Niedersachsen-Grünen, die vor allem um Zweitstimmen werben. Auch sie haben
       sich nicht wirklich an die Friedenspflicht bis nach Weihnachten gehalten:
       Ihre Spitzenkandidaten Anja Piel und Stefan Wenzel versuchten sich als
       Nikoläuse und Geschenkeeinpacker in Hannovers Innenstadt. Über das frühe
       Plakatieren der Piraten ärgerte man sich zwar öffentlich, wann
       Grünen-Plakate gehängt werden, überließ man selbst aber den Kreisverbänden.
       Denen hatte man empfohlen, erst nach den Feiertagen zu plakatieren, räumte
       zugleich aber ein, dass die sich daran wohl nicht halten werden.
       
       Innovationsfaktor: Die Grünen zielen wie keine andere Partei auf
       CDU-Ministerpräsident David McAllister. In ihrem Wahlkampfspot hängt der
       als Comic-Hampelmann an der Wand, druckst bei Fragen herum, die Strippe
       zieht Kanzlerin Angela Merkel, dazu läuft Dudelsackmusik.
       
       Fairnessfaktor: Der McAllister-Hampelmann dürfte die CDU tief verletzen.
       Dort hält man die Grünen ohnehin für bodenlos anstandslos, spätestens seit
       ihrer hartnäckigen Fragerei in der Affäre um Ex-Bundespräsident Christian
       Wulff.
       
       Peinlichkeitsfaktor: Geht noch.
       
       ## CDU
       
       Die Kampagne: Eine reine One-Man-Show - man setzt konsequent auf den
       Spitzenkandidaten David McAllister und seinen schottischen
       Migrationshintergrund mit Schals, Taschentüchern, Bierdeckeln in
       blau-orangem Karo. Dazu singt die CDU "unser Häuptling ist ein Schotte" zu
       Dudelsackmusik und frisst aus karierten Tüten "Wahlmampf"-Chips.
       
       Innovationsfaktor: Rechte an einem eigenen Tartan-Schottenkaro hat sich
       keine andere Partei sichern lassen. McAllisters Familien-Tartan wollte man
       nicht nutzen - der ist rot-grün. Auch im Internet ist die CDU ganz weit
       vorn, vor allem beim Verwenden von Materialien aus dem Netz, siehe:
       
       Fairnessfaktor: Die Staatskanzlei produziert mit Steuergeldern Videos und
       Bilder des Ministerpräsidenten, stellt sie zur freien Verwendung auf
       Internet-Portalen wie Youtube ein. Und die CDU nutzt sie, um ihren
       Spitzenkandidaten im Wahlkampf ins beste Licht zu rücken. Rechtlich ist das
       womöglich sauber, bringt aber null Fairness-Punkte. Zusätzlichen Abzug gibt
       es, weil die CDU offiziell zwar Wahlkampf-Waffenruhe bis nach Weihnachten
       propagierte, im Advent dennoch Post an zahlreiche Niedersachsen verschickte
       mit der Bitte um Stimmen und Spenden.
       
       Peinlichkeitsfaktor: Mittel - was erwartet man.
       
       ## Die Linke
       
       Die Kampagne: Die Linke in Niedersachsen will weg vom Image der
       Anti-Hartz-IV- und Anti-SPD-Partei. Deshalb setzt sie auf
       Positivbotschaften: "Statt Spekulanten Kinder beschenken", heißt es etwa
       auf ihren Plakaten, die schon seit weit vor Weihnachten hängen. Besinnliche
       Ruhe gab es bei der Linkspartei in der Adventszeit ohnehin nicht: Selbst
       den Weihnachtsbaum machte sie zur politischen Munition. Weil im
       Hartz-IV-Regelsatz Weihnachtsbäume nicht zum Grundbedarf zählen, haben
       Bundestagsabgeordnete 1.500 Tannen gespendet, die in Niedersachsen verteilt
       wurden.
       
       Innovationsfaktor: Die Niedersachsen-Linke setzt strikt auf ihre
       Bundes-Promis als Zugpferde, allen voran Bundestagsfraktionsvize Sahra
       Wagenknecht. Die tritt nicht nur als Hauptfigur im Wahlkampf-Spot auf,
       sondern tingelt auch für Veranstaltungen und Pressekonferenzen durchs Land.
       
       Fairnessfaktor: Hier schießt sich die Partei vor allem selbst ins Bein.
       Groß war etwa eine Pressekonferenz angekündigt, bei der Wahlkampfikone
       Wagenknecht vorrechnen sollte, welche Mehreinnahmen Niedersachsen winken,
       sollten ihre Steuerkonzepte umgesetzt werden. Der Termin wurde dann
       allerdings so oft verschoben, dass am Ende keine Redaktion mehr fest mit
       ihm plante.
       
       Peinlichkeitsfaktor: Geht so.
       
       ## FDP
       
       Die Kampagne: Bislang ist es ruhig um die Niedersachsen-FDP, auch sie will
       erst jetzt groß in den Wahlkampf starten. Parteipromis wie Philipp Rösler,
       Christian Lindner und Wolfgang "Allzweckwaffe" Kubicki unterstützen den
       eher unbekannten Spitzenkandidaten Stefan Birkner.
       
       Innovationsfaktor: Unspektakulär bis konservativ. Die Botschaften sind
       erwartbar: "Jeder Job zählt! Mittelstand stärken!", "Jede Schule zählt!
       Finger weg vom Gymnasium!" Einziges Novum: Die gebeutelte
       Niedersachsen-FDP, in Umfragen bei drei Prozent, versucht sich als Partei
       gegen die soziale Kälte und verteilt im Wahlkampf Taschenwärmer.
       
       Fairnessfaktor: Verquickungen von Amt und Spitzenkandidatur vermuten vor
       allem die Grünen: In seiner Funktion als Umweltminister besuchte
       Spitzenkandidat Birkner ein Musical der Integrierten Gesamtschule
       Göttingen, wo Videos für den FDP-Wahlkampfspot gemacht werden sollten.
       
       Peinlichkeitsfaktor: Große Entgleisungen lassen noch auf sich warten. Dass
       die FDP als größter Verfechter der Gymnasien für Wahlkampfvideos auf
       Gesamtschüler setzt, ist fast schon wieder Ironie, der Ärger
       vorprogrammiert - mit Göttingen wählte man eine Gesamtschule ausgerechnet
       im Heimatrevier von Grünen-Spitzenkandidat Stefan Wenzel.
       
       26 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Teresa Havlicek
       
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