# taz.de -- Kolumne Macht: Nicht willkommen
> Ach Europa. Immer gastfrei, sehr christlich, viel Platz in den Herbergen.
> Nur sind Weihnachtsgäste unerwünscht, wenn sie aus dem falschen Land
> stammen.
IMG Bild: Gastfreundschaft ja, aber nur, wenn es ins Bild passt: Krippenfiguren in der Jesuitenkirche von Mindelheim.
Wir können es noch gar nicht glauben, aber sie ist tatsächlich da: Vor zwei
Tagen kam Mariam bei uns in Berlin an. Da sage noch einer, Europa sei eine
Festung. Es ist tatsächlich möglich, eine ägyptische Studentin über
Weihnachten einzuladen. Es kostet auch nicht mehr als Zeit, Geld, Nerven
und die Bereitschaft, viele Enttäuschungen hinzunehmen.
Mariam ist eine ungewöhnlich ruhige und gelassene Frau. Aber vor ein paar
Wochen stand sie vor der deutschen Botschaft in Kairo und heulte einfach
los, mitten auf der Straße. Am 29. August hatte sie um einen Termin
gebeten, weil sie ein Visum für einen Weihnachtsbesuch in Deutschland
beantragen wollte – und schon am 12. November bekam sie ihn. Die übliche
Wartezeit also.
Dann jedoch durfte sie nicht einmal über die Schwelle treten. Die
allmächtige Frau am Empfangsschalter schickte sie wieder nach Hause, denn
Mariam hatte keine Übersetzung ihrer Geburtsurkunde dabei. Nun müsse sie
sich eben um einen neuen Termin bemühen, der nächstmögliche sei am 6.
Januar. Nein, nachreichen könne sie die Urkunde nicht. Ja, Weihnachten sei
dann vorbei, aber da sei eben nichts zu machen. Der Nächste, bitte.
Selbst schuld, könnte man sagen. Warum hat sie das Papier nicht
dabeigehabt? Weil sie nicht wusste, dass sie es braucht. Auf der Webseite
der Botschaft gibt es keinen Hinweis – oder er ist zumindest unauffindbar.
Das Auswärtige Amt teilt mit, die jeweilige Visastelle behalte sich vor,
„Unterlagen nachzufordern, die nicht in den Merkblättern genannt sind.“
Aber: „In diesen Fällen wird der Antrag angenommen und die Möglichkeit
gegeben, die Unterlagen in angemessener Zeit nachzureichen.“ Pustekuchen.
Mir sind solche Geschichten immer peinlich, ich schäme mich für die Art und
Weise, wie sich meine Heimat im Ausland präsentiert. Aber Mariam beruhigt
mich: „Die Briten sind noch schlimmer. Die schreiben gern auch noch
beleidigende Briefe, wenn sie ein Visum ablehnen. Zum Beispiel, dass der
Wunsch, Freunde zu besuchen, nicht überzeugend ist. Wahrscheinlich wolle
man angesichts der Lage in Ägypten ja gar nicht mehr weg aus Europa.“
Ach Europa. Immer gastfrei, sehr christlich, viel Platz in den Herbergen.
Vor allem natürlich zur Weihnachtszeit. Bestimmt hat die Europäische Union
in diesem Jahr auch deshalb den Friedensnobelpreis bekommen. Kritiker
monieren zwar die restriktive Flüchtlingspolitik, aber dieser Vorwurf wurde
jetzt in der „Tagesschau“ entkräftet: Kein anderer Kontinent nehme so viele
Flüchtlinge auf wie Europa, teilte der Korrespondent in Brüssel mit.
Das trifft nun zwar schlicht nicht zu, denn die mit weitem Abstand meisten
Flüchtlinge finden in Afrika Schutz. Aber solange man fest genug daran
glaubt, dass man selbst ganz toll ist, so lange sind die Fakten nicht so
wichtig. Offenbar nicht einmal für die „Tagesschau“.
Mariam ist kein Flüchtling. Sie möchte nur mit uns Weihnachten feiern – und
Silvester dann mit Freunden in Kairo. Und wieso ist sie jetzt doch in
Berlin? Weil Frankreich ihr ein Schengenvisum gegeben hat. Und dort hat der
Beamte dann sogar gesagt: „Willkommen in Frankreich.“ Da ist Mariam zuerst
furchtbar erschrocken. Weil sie dachte, das könne doch nur sarkastisch
gemeint sein. Etwas anderes erwartet sie von Europa nicht mehr.
21 Dec 2012
## AUTOREN
DIR Bettina Gaus
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