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       # taz.de -- Kommentar russische Opposition: Mühselig erlernter Dialog
       
       > Die Euphorie innerhalb der Opposition ist längst verflogen. Doch trotz
       > aller Streitereien gibt es Strukturen, die mehr repräsentieren als den
       > Willen einer Führungsfigur.
       
       Nach dem fulminanten Auftakt der Proteste im Dezember 2011 mit Zigtausenden
       Demonstranten, die gegen Wahlbetrug und das System Wladimir Putins auf die
       Straße gingen, fiel der Jahrestag am Wochenende mit 3.000 bis 5.000
       Teilnehmern recht bescheiden aus. Ein Triumph war es beileibe nicht.
       
       Wäre die Veranstaltung von den Behörden genehmigt worden, hätten sich
       sicherlich mehr Demonstranten eingefunden. Doch die Euphorie ist längst
       verflogen, die Reihen sind ausgedünnt. Die Entwicklung des vergangenen
       Jahres an der Arithmetik festzumachen greift jedoch zu kurz. Nicht alles,
       was schwach erscheint, kränkelt; und nicht alles, was sich stark geriert
       wie der Kreml, ist kräftig und stabil.
       
       Trotz aller inneren Zerrissenheiten, Narzissmen und Streitereien ist es der
       Opposition gelungen, rudimentäre Strukturen aufzubauen, die mehr
       repräsentieren als den Willen einer Führungsfigur. Sie hassen und sie
       raufen sich, aber am Ende raufen sie sich doch zusammen. Für Russlands seit
       Jahrhunderten zum Maximalismus neigende Intelligenz gleicht dies einem
       zivilisatorischen Quantensprung.
       
       Auch der Dialog wird mühselig erlernt in einer Umgebung, die den Dialog
       bislang nicht kannte. Jahrzehnte zivilisationsgeschichtlichen Rückstands
       hat Russland in einem Jahr aufgeholt. Gleichzeitig wächst die
       Unzufriedenheit in der Gesellschaft weiter. Noch macht sich das nicht an
       stabilen Zahlen auf der Straße fest. Der Moment wird jedoch früher oder
       später eintreten. Darauf muss sich die Bewegung auch personell vorbereiten.
       
       Denn nicht alles, was sich martialisch gibt, Stabilität beschwört, Gegner
       kriminalisiert und das Recht im Interesse eigenen Machterhalts beugt, ist
       stark und stabil. Das Wesen der russischen Autokratie besteht seit jeher
       darin, dass sie sich ihrer selbst nicht sicher ist.
       
       16 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
       
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