URI: 
       # taz.de -- Kolumne Darum: Höhepunkt der Fremdbestimmung
       
       > Das Adventsbasteln: Schweißgetränkte Eltern mit rotzgetränkten Kindern in
       > gestresster Runde in einem überheizten Raum.
       
   IMG Bild: „Die Hölle, das ist immer das Adventsbasteln mit Kindern.“
       
       Mit der ersten Windel nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Der Stuhlgang
       anderer bestimmt plötzlich das eigene Handeln. Bis das Kind rund 20 Jahre
       später auszieht, werden große Teile der Selbstbestimmung in einem Karton im
       Keller lagern. Kinder zu haben bedeutet stets: Weniger Autonomie war nie.
       Doch in der Vorweihnachtszeit erreicht die Fremdbestimmung ihren Höhepunkt.
       
       „Die Hölle, das ist immer das Adventsbasteln mit Kindern“, wusste schon der
       französische Philosoph Jean-Paul Sartre. Er sollte recht behalten. Wir
       erinnern uns noch gut an den Tag, als das Grauen Eingang in unser Leben
       fand. Dabei klang die kleine Mitteilung aus dem Kindergarten erst so
       harmlos. Ob man denn dabei sei, wenn sich Eltern und Kinder in geselliger
       Runde bei Warmgetränken und Gebäck an einem Nachmittag im Dezember zum
       Adventsbasteln zusammenfinden?
       
       Was für ein widerwärtiger Euphemismus. Richtig müsste die Frage heißen: Ob
       man denn dabei sei, wenn sich in einem zu kleinen und völlig überheizten
       Raum schweißgetränkte Eltern mit rotzgetränkten Kindern in gestresster
       Runde bei umgekippten Exwarmgetränken und wüstentrockenem Gebäck an einem
       Dezember-Nachmittag, der niemandem passt, zum Adventsbasteln
       zusammenfinden?
       
       Aus Elternsicht verklärt sich im Rückblick ja vieles. Zu wenig Schlaf, zu
       viel Gebrüll, die ganze Rennerei – das konkrete Leid entzieht sich der
       Erinnerung, weil Liebe, Stolz und Verantwortung im Spiel sind. Ja, es war
       anstrengend in den ersten Jahren. Aber man bekommt ja so viel zurück.
       
       Nicht so beim Kita-Adventsbasteln mit Kindern. Alle Erinnerungen bleiben
       präsent. Die Situation: Rotznasen mit Kleber im Haar und Bastelscheren in
       der Hand, die über kleinere Geschwister stolpern und auf Eltern stürzen,
       die krumm auf zu kleinen Stühlen hocken. Die Geräusche: Unfassbarer Lärm
       weinender Kinder, während aus dem Hintergrund Weihnachtslieder aus einem
       Ghettoblaster scheppern.
       
       Der Geruch: Die Ausdünstungen voller Windeln mischen sich mit dem
       Stressschweiß aller Beteiligten und den Dampfwolken nasser Jacken, die auf
       Heizkörpern lagern.
       
       Wir haben überlebt, sodass wir Jahre später nur müde lächeln, wenn die
       kleine Mitteilung aus der Schule bei uns eintrifft. Ob man denn dabei sei,
       wenn sich Eltern und Kinder in geselliger Runde bei Warmgetränken und
       Gebäck an einem Nachmittag im Dezember zum Adventsbasteln zusammenfinden?
       Ja, sind wir. Denn nun ist vieles anders.
       
       Zwar ist der Raum immer noch überheizt, doch schon fünf Minuten nach Beginn
       verpissen sich fast alle Jungs woanders hin. Man muss sie suchen und dabei
       vergeht Zeit, in der man nicht schnippeln, kleben oder pricken kann.
       
       Fängt man mal mit dem Basteln an, ist sofort ein Kind da und will genau das
       auch tun. Kinder haben Vorrang und so rücken wir unsere Bastelaccessoires
       eben raus. Einen geprickten Elch, ein geklebtes Haus und zehn Lebkuchen
       später kehren wir satt und zufrieden nach Haus zurück. Fremdbestimmung kann
       auch nett sein.
       
       Wir freuen uns schon aufs Adventsbasteln, wenn unsere Kinder endlich an der
       Uni sind. Ich werde dann aus Sartres Aphorismen ein Plakat basteln, auf dem
       in dicken Buchstaben das Wort Autonomie steht.
       
       17 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Maik Söhler
       
       ## TAGS
       
   DIR Kinder
   DIR Basteln
   DIR Advent
   DIR Kinder
   DIR Kinder
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kolumne Darum: Warte, warte noch ein Weilchen …
       
       „Warte kurz ...“ – dieser Halbsatz ist es, der Eltern die ewige Verdammnis
       bringt. Die Verdammnis zu warten. Was hätten wir in dieser Zeit alles tun
       können.
       
   DIR Kolumne Darum: Kein Vergessen, niemals!
       
       Über Altersarmut kann ich nur lachen! Meine Kinder werden jeden Cent
       zurückzahlen, den sie mich kosten.
       
   DIR Kolumne Darum: Geile heile Welt
       
       Erwachsen ist, wer um 6.45 Uhr Pausenbrote schmiert. Also lieber keine
       Kinder? Nein. Besser fragen, was Darth Vader tun würde.
       
   DIR Kolumne Darum: Cola statt Hund
       
       Schule, Sexualität, Taschengeld, Rivalität, Spiele, Triumphe und
       Niederlagen. Warum Eltern automatische Updates für ihre Gehirne brauchen.
       
   DIR Kolumne Darum: Verlorene Liebesmüh
       
       Es ist anstrengend, einem rasenden Kind ruhig zu vermitteln, dass man nicht
       immer gewinnen kann. Manchmal möchte man laut schreien – vor Wut.
       
   DIR Kolumne Darum: „Du Doppelhitler!“
       
       Wir zählen nur die Zyklen, in denen neue Schimpfwörter den Weg zu uns
       finden. Wie die Superschule alles richtig machte und doch das falsche dabei
       rauskam.