URI: 
       # taz.de -- Demonstration in Moskau: Proteste im Hochsicherheitstrakt
       
       > Am ersten Jahrestag der Demonstrationen gegen Präsident Wladimir Putin
       > gehen in Moskau Tausende Menschen auf die Straße. Rund 40 Personen
       > festgenommen.
       
   IMG Bild: Alle haben sich warm angezogen und die Sicherheitskräfte sind gut vorbereitet: Moskau am Samstag.
       
       MOSKAU taz | Auf einer nicht genehmigten Protestveranstaltung in Moskau
       sind am Wochenende 40 Demonstranten vorübergehend festgenommen worden.
       Unter ihnen befanden sich auch einige bekannte Köpfe der Opposition, die
       jedoch noch am Samstagabend wieder auf freien Fuß gesetzt wurden.
       
       Die Oppositionsbewegung wollte den Jahrestag der Proteste im vergangenen
       Dezember, als Zigtausende Menschen gegen Wahlfälschungen zugunsten der
       Kremlpartei „Vereinigtes Russland“ auf die Straße gegangen waren, mit einer
       Veranstaltung vor dem Sitz des russischen Geheimdienstes FSB begehen.
       
       Der Platz an der Ljubjanka ist symbolisch hoch besetzt. Der FSB, die
       Nachfolgeorganisation des sowjetischen Geheimdienstes KGB, betrachtet ihn
       als ihr Hoheitsgebiet. Der Gedenkstein, den Opfer des Stalinschen
       Gulag-Systems dort in noch demokratischeren Zeiten errichten konnten,
       bleibt für die herrschende Kaste des Geheimdienstes ein ärgerlicher
       Fremdkörper.
       
       ## Keine Kompromisse
       
       Das Scheitern der Verhandlungen zwischen Opposition und Behörden über den
       Veranstaltungsort war daher programmiert. Beide Seiten waren zu keinen
       Kompromissen bereit. Die Opposition wollte unter Beweis stellen, dass der
       Kreml trotz geringerer Protestbereitschaft weiterhin mit ihr rechnen muss.
       Der FSB hingegen tut so, als hätten sich die politischen Verhältnisse nicht
       verändert.
       
       Aber auch innerhalb der heterogenen Opposition war die Kompromisslosigkeit
       der eigenen Vertreter umstritten, die sich jedoch auf Abstimmungen im
       Internet berufen konnten. Viele hätten es für sinnvoller gehalten, an einem
       anderen Ort zu demonstrieren und wenigstens Präsenz zu zeigen.
       
       Die Oppositionelle Jewgenija Tschirikowa hatte hingegen im Internet am
       Vortag potenzielle Teilnehmer davor gewarnt, sich nicht dem Risiko,
       verprügelt und eingesperrt zu werden, auszusetzen. Der Opposition fehlt
       nach wie vor eine einheitliche Strategie.
       
       ## Gute Stimmung in eisiger Kälte
       
       Obwohl die Veranstaltung verboten war, kamen zwischen 2.000 und 3.000
       Menschen am Samstagnachmittag und legten am Gedenkstein Blumen nieder. Die
       Sicherheitsbehörden hatten sich auf diesen „Volksspaziergang“ bestens
       vorbereitet. Hunderte Truppentransporter und Busse der Polizei verwandelten
       die Innenstadt in einen Hochsicherheitstrakt. Trotz Aufforderung der
       Polizei, den Platz zu verlassen, harrten die meisten Besucher bis zur
       Räumung aus.
       
       Die Stimmung unter blauem Himmel und bei klirrender Kälte hätte nicht
       besser sein können, meinten viele Teilnehmer. „Ich bin heute da, weil ich
       zeigen will, dass es uns noch gibt“, sagte eine ältere Frau im Pelzmantel.
       Sie legte mit ihrer Freundin einen Eichenzweig mit dem Erkennungszeichen
       der Proteste, dem weißen Band, auf den Blumenberg am Gedenkstein nieder.
       Neben einer overdressten Barbie-Puppe, die sich auch auf den Stein verirrt
       hatte.
       
       Sergej, ein 45-jähriger Mathematiker, war nach eigenen Aussagen auf jeder
       Protestveranstaltung seit dem vergangenen Winter dabei. „Fast alle, mit
       denen ich zusammenarbeite, sind unzufrieden. Aber nur ein paar sind bereit,
       auf die Straße zu gehen“, denen wolle er Mut machen. Auch der junge
       Informatiker Alexej gehört zu den standhaften Protestlern. Er hatte auf
       seiner Arbeitsstelle schon vorsichtshalber angekündigt, dass er zwei Wochen
       fehlen könnte. „Ich habe mich auf eine längere Haft eingestellt.“ Alexej
       ist ansonsten damit beschäftigt, eine Partei zu gründen.
       
       Es seien zwar weniger Leute gekommen, meinte auch der Menschenrechtler
       Andrej. Die Qualität des Protestes sei im Vergleich zum Vorjahr jedoch
       besser geworden. „Strukturen entstehen, es wird lebhaft diskutiert und man
       hört einander zu.“ Wann habe es dergleichen schon mal in Russland gegeben,
       meint Andrej zuversichtlich. Die radikale Rechte und Linke nahmen an dem
       Spaziergang nicht teil.
       
       16 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
   DIR Klaus-Helge Donath
       
       ## TAGS
       
   DIR Wladimir Putin
   DIR Russland
   DIR Protest
   DIR Russland
   DIR Moskau
   DIR NGO
   DIR Russland
   DIR Russland
   DIR Wladimir Putin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Jahrestag der Anti-Putin-Proteste: Wer in die Mühlen gerät
       
       Gegen Artjem Saweljow lag nichts vor. Er demonstrierte gewaltlos. Trotzdem
       wird er nun in Russland der „Anstiftung zum Massenaufruhr“ beschuldigt.
       
   DIR Opposition in Russland: Keine Spur von „Massenaufruhr“
       
       Eine unabhängige Kommission legt einen Bericht zu den Protesten in Moskau
       im Jahr 2012 vor. Die Polizei setzte gezielt auf Eskalation.
       
   DIR Opposition in Russland: Wahlbeobachter als Auslandsagenten
       
       Die Gruppe Golos ist die erste NGO, die einem verschärften Gesetz zum Opfer
       fällt. Sie hatte bei den Wahlen 2011 und 2012 Rechtsverstöße nachgewiesen.
       
   DIR Putin hat gesprochen: Das System ist nicht autoritär
       
       Vor 1.200 Journalisten weist der russische Präsident Putin jede Kritik an
       den Zuständen in seinem Land zurück. Scharf kritisiert er die US-Justiz.
       
   DIR Kommentar russische Opposition: Mühselig erlernter Dialog
       
       Die Euphorie innerhalb der Opposition ist längst verflogen. Doch trotz
       aller Streitereien gibt es Strukturen, die mehr repräsentieren als den
       Willen einer Führungsfigur.
       
   DIR Protest in Russland: Oppositionführer festgenommen
       
       Mit einem „Marsch für die Freiheit“ protestierten Oppositionelle in Moskau
       gegen den Kremlchef Wladimir Putin. Die Polizei nahm mehrere Anführer von
       ihnen fest.
       
   DIR Putins Rede an die Nation: Vom Macho zum weisen Patriarchen
       
       In seiner Rede geriert sich Staatspräsident Putin als Modernisierer und
       lobt sein Regierungsprogramm. Erneut geißelt er jede Einmischung von außen.
       
   DIR Krise in Russland: Putin lahmt, Hofstaat verunsichert
       
       Der Präsident hinkt, die Bürger begehren auf, es herrschen teilweise
       „chaotische Zustände“: Ist der Kreml von einer politischen Führungskrise
       erfasst worden?