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       # taz.de -- Verfassungsentwurf in Ägypten: Dokument der verpassten Chancen
       
       > Der neue Entwurf trägt die deutliche Handschrift der Muslimbrüder und von
       > Salafisten. Er lässt aber auch Freiräume für eine Demokratisierung.
       
   IMG Bild: Frauenrechte? Vielleicht. Prophet beleidigen? Niemals!
       
       KAIRO taz | Er wurde überhastet geschrieben und ohne gesellschaftlichen
       Konsens ins Leben gerufen. Fast ausschließlich Muslimbrüder und Salafisten
       zählen zu seinen Autoren, nachdem sich die Liberalen aus der
       verfassungsgebenden Versammlung zurückgezogen hatten. Die Rede ist vom
       ägyptischen Verfassungsentwurf, über den am Samstag in einer
       Volksabstimmung entschieden wird.
       
       Es ist vor allem ein Dokument der verpassten Chancen, auf die viele nach
       der Revolution gehofft hatten: Ägypten bleibt ein Zentralstaat, der
       Präsident bleibt mächtiger als das Parlament und das Militär muss sich
       keiner ernsthaften parlamentarischen Kontrolle unterziehen.
       
       Am meisten diskutiert wird indes, ob diese neue Verfassung Ägypten zum
       Gottesstaat macht. Der Artikel, der die Prinzipien der Scharia zur
       Grundlage der ägyptischen Gesetzgebung macht, gleicht wortwörtlich dem der
       alten Verfassung, die 40 Jahre lang unter den Präsidenten Sadat und Mubarak
       gültig war. Die ultrakonservativen Salafisten, die den vagen Terminus
       „Prinzipien der Scharia“ durch „Regeln der Scharia“ ersetzen wollten,
       konnten sich nicht durchsetzen.
       
       Eine etwas verwirrende Konkretisierung dieser „Prinzipien der Scharia“
       könnte Parlamentariern künftig die Möglichkeit geben, Teile der islamischen
       Rechtsprechung in Gesetzen zu kodifizieren. Auch Richter könnten bei ihren
       Urteilen mit der Scharia argumentieren.
       
       ## Salafisten setzen sich nicht durch
       
       Die freie Meinungsäußerung wird grundsätzlich zugestanden, es gibt aber
       auch Artikel, die sie wieder einschränken, wie zum Beispiel das Verbot, den
       Propheten zu beleidigen. Das Recht auf Religionsfreiheit ist verbürgt,
       diese auszuüben ist aber nur den Schriftreligionen Islam, Christentum und
       Judentum explizit garantiert.
       
       Die Salafisten wollten durchsetzen, dass Frauenrechte nur garantiert
       werden, solange dies nicht der Scharia widerspricht. Auch damit konnten sie
       sich nicht durchsetzen, der Gleichheitsgrundsatz aller Bürger ist im
       Verfassungsentwurf erwähnt. Frauenrechte werden aber nicht gesondert
       garantiert, sondern in einem anderen Artikel eingeschränkt.
       
       Darin ist von einem „Ausgleich zwischen den Pflichten der Frauen gegenüber
       der Familie und der öffentlichen Arbeit“ die Rede. Weiter heißt es, dass
       „der Staat verpflichtet ist, die wahre Natur der ägyptischen Familie zu
       erhalten“ und „Ethik, Moral und öffentliche Ordnung zu schützen“.
       
       ## Politik muss Lücken füllen
       
       Insgesamt weist der Text zahlreiche Interpretationslücken auf. Diese Lücken
       können am Ende nur von der Politik gefüllt werden. Sollte die Verfassung
       durchkommen, müssten viele Gesetze umgeschrieben werden, womit sich die
       Auseinandersetzung zwischen Liberalen und Islamisten schnell in das
       Parlament verlagern würde, das innerhalb von 60 Tagen nach Inkrafttreten
       der Verfassung gewählt werden muss.
       
       Solange Islamisten die Wahlen gewinnen und die neuen demokratischen
       Freiräume füllen, so lange wird das wahrscheinlich eine weitere
       Islamisierung des Landes bedeuten, und dieser Verfassungsentwurf bietet
       zweifellos die Grundlage dafür.
       
       15 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karim Gawhary
   DIR Karim El-Gawhary
       
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