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       # taz.de -- Streit bei US-Radiosender: Protestsender soll Mainstream werden
       
       > Der Washingtoner Radiosender „Jazz and Justice“ schielt nach
       > zahlungskräftigerem Publikum. Mainstream-Formate sollen deshalb den Jazz
       > ersetzen.
       
   IMG Bild: Radikaler Wandel: Jazzmusik soll Talkshow-Formaten und Nachrichtensendungen weichen.
       
       Bisher galt der linke Sender WPFW aus Washington als eine der letzten
       Bastionen von Jazz als Ausdruck afroamerikanischer Protestkultur. Der
       Sender, der unter dem Slogan „Jazz and Justice Radio“ läuft, ist einer der
       fünf Radiostationen von Pacifica Radio, dem ältesten nichtkommerziellen
       Radio-Netzwerk in den Vereinigten Staaten, das nach dem Zweiten Weltkrieg
       von Kriegsdienstverweigerern gegründet wurde.
       
       Ende November hat die Senderleitung nun einen radikalen Wandel verkündet:
       30 Stunden Jazz-Programm sollen durch massenkompatible Talkshow-Formate und
       Nachrichtensendungen ersetzt werden. Einige Moderatoren wollten sich das
       nicht gefallen lassen: Sie schlugen den Hörern vor, für die Absetzung des
       Chefs John Hughes und die Zurücknahme seiner Programmänderung zu spenden.
       Seitdem wurden in jeder Sendung die neu eingegangenen Spenden genannt.
       
       WPFW finanziert sich zu 80 Prozent aus Spenden von Hörern, der Rest kommt
       vom Staat und von Stiftungen. Der Sender spielt viel Free Jazz, Rhythm and
       Blues und Soul, Hip-Hop und Musik aus der Karibik und Südamerika.
       
       ## Progressive Arme
       
       Kritiker befürchten, dass dem Sender mit dem Kurswechsel das genommen wird,
       was ihn ausmacht. Nachrichten bekomme man auch bei anderen Sendern. Wenn
       das Jazzprogramm gestrichen werde, gebe es dafür keinen Ersatz, sagt eine
       Afroamerikanerin bei einer Diskussion in der traditionell schwarzen
       Washingtoner Howard University, zu der Hughes geladen hatte.
       
       Gehört wird der Sender vor allem von „progressiven Armen“, wie sich eine
       Hörerin ausdrückte: Taxifahrern, Studenten, Arbeitern und Jazzmusikern.
       Nach dem neuen Programmraster werden die kreolischen Sendungen der
       Haitianer gestrichen und die Sendung der indigenen Amerikaner auf einen
       schlechten Sendeplatz verschoben. Die Kritiker befürchten, dass die
       Community-Sendungen von Minderheiten im neuen Programm keine Stimme mehr
       haben.
       
       Hughes begründet die Neuausrichtung damit, ein jüngeres Publikum ansprechen
       zu wollen, um mehr Hörer zu gewinnen. „Die Bevölkerung von Washington hat
       sich in den letzten zwanzig Jahren verändert“, sagt er. Offiziellen
       Statistiken zufolge liegt der Anteil der afroamerikanischen Bevölkerung in
       diesem Jahr erstmals seit 1960 unter 50 Prozent.
       
       ## Gentrifizierung ist allgegenwärtig
       
       Washington gehört zu den amerikanischen Städten mit den höchsten
       Mietpreisen. Die meisten Hörer hat WPFW jedoch inzwischen im armen Vorort
       Prince George’s County in Maryland. Hughes will Großspender für den Sender
       gewinnen und sieht dafür heute in Washington ein großes Potenzial.
       
       Der Sender ist inzwischen selbst von der Gentrifizierung in Washington
       betroffen: Das Haus im ehemaligen Einwandererstadtteil Adams Morgan, in dem
       er seine Räume hat, muss einem Hotelneubau weichen.
       
       14 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR M. Chevalier
   DIR L. Kaiser
       
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