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       # taz.de -- Eurokolumne: Leben im Paralleluniversum
       
       > Die Sparpolitik der EU geht immer weiter. EU-Politiker sehen bereits
       > erste Erfolge. Leben sie eigentich noch im selben Universum?
       
   IMG Bild: Die Wirtschaftskraft der EU-Länder schrumpft.
       
       Gipfel folgt Gipfel – doch trotz des unermüdlichen Einsatzes unserer
       Euroretter verschlimmert sich die Krise. Griechenland, Irland, Portugal,
       Spanien, Zypern – die Länder purzeln wie Dominosteine. Die Rezession, die
       durch die Sparpolitik im Süden ausgelöst wurde, schwappt nun sogar Richtung
       Deutschland. Der Winter wird hart, 2013 dürfte es kaum besser werden.
       
       Viele hatten die Hoffnung, Berlin und Brüssel würden umdenken, wenn es gar
       zu sehr brennt. Wenn Deutschland keine „Konjunkturlokomotive“ mehr ist und
       die Zahl der Joblosen auch in Stuttgart und München steigt, so die etwas
       zynische These, würde die Kürzungspolitik schon korrigiert. Vielleicht
       sogar noch rechtzeitig zur Bundestagswahl – Angela Merkel will ja
       wiedergewählt werden.
       
       Doch die Auguren haben sich getäuscht. Das Spardogma wird nicht infrage
       gestellt. Mitten in der schwersten Rezession seit Einführung des Euro
       kürzen die Regierungen des Währungsraums. „Die Austerität muss
       weitergehen“, fordert Währungskommissar Olli Rehn unverdrossen. Die Rosskur
       zeige Wirkung: Den Krisenländern gehe es bei Licht betrachtet wieder
       besser, lautet die steile These der Euroretter.
       
       ## Bürgervertrauen schwindet
       
       Offenbar leben sie in einem Paralleluniversum. Irland hat gerade das
       sechste harte Sparpaket in Folge aufgelegt, Gesundheitsvorsorge und
       Kindergeld werden gekürzt – und die Euroretter jubeln, dass sich das Land
       bald wieder an den Märkten finanzieren kann. Spanien weiß nicht mehr ein
       noch aus –und die Brüsseler Experten feiern, dass wieder mehr privates
       Kapital in das Land hineinfließt.
       
       All dies seien Anzeichen dafür, dass das Vertrauen zurückkehrt, freut sich
       Rehn. Das Vertrauen der Bürger kann er nicht meinen, das ist auf einem
       historischen Tiefststand. Rehn geht es um das Vertrauen der Märkte – doch
       auch das ist schnell verspielt, siehe das Theater um die Rückkehr
       Berlusconis in Italien. Wer sich nur an Investoren orientiert, hat schon
       verloren.
       
       Wie realitätsfern die Euroretter denken, zeigt auch die Phantom-Debatte um
       die Wettbewerbsfähigkeit. Auch viele Experten verstehen nicht, wie man die
       Wettbewerbsfähigkeit von Ländern messen kann, die meisten Ökonomen halten
       dies sogar für kompletten Unsinn. Wie irreführend dieser Indikator ist,
       zeigt ein Blick auf das Ranking des Weltwirtschaftsforums in Davos. In
       diesem Jahr steht Holland wieder ganz oben auf der Liste. Dabei steckt das
       Land tief in der Krise, die Wirtschaft schrumpft sogar schneller als in
       Italien!
       
       ## Noch mehr Reformen
       
       Unsere Euroretter lassen sich davon jedoch nicht beirren, im Gegenteil.
       Währungskommissar Rehn und Kanzlerin Merkel konzentrieren sich wie immer
       auf die angeblich gute Nachricht: Dank der von Berlin und Brüssel
       verordneten Reformen hätten Spanien, Portugal und Griechenland an
       Wettbewerbsfähigkeit gewonnen! Merkel nutzt diesen „Erfolg“ sogar, um das
       W-Wort zur neuen Priorität zu erklären – und noch mehr Reformen zu fordern.
       
       Hier wird es vollends schizophren. Denn die angeblichen Fortschritte werden
       an sinkenden Lohnstückkosten und schrumpfenden Leistungsbilanzdefiziten
       gemessen. Beide sind aber logische Folgen des Sparkurses: Löhne werden
       gedrückt, Importe schrumpfen. Ein Erfolg wäre dies nur, wenn zugleich die
       Exporte steigen und neue Jobs geschaffen würden. Und wenn die Krisenländer
       genau wie Deutschland Exportnationen wären.
       
       Nichts davon ist der Fall. Die griechische Wirtschaft hängt vor allem vom
       Tourismus ab, Portugal hat seine Textilwirtschaft verloren, Spanien
       knabbert noch an der geplatzten Immobilienblase. Die angeblich steigende
       Wettbewerbsfähigkeit hilft diesen Ländern erst einmal gar nichts. Im
       Gegenteil: wenn die Löhne weiter sinken, wird niemand mehr all die schönen
       Exportgüter kaufen können, auch nicht die aus Deutschland.
       
       Was als Erfolg verkauft wird, ist also in Wahrheit ein Rezept für die
       Verlängerung der Krise. Und die wunderbaren Erfolgsmeldungen sind nicht
       viel mehr als Manöver unserer Retter, um von ihrer Ratlosigkeit abzulenken.
       
       14 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
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