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       # taz.de -- Gutachten zu Antiziganismus: Hartnäckig ignoriert
       
       > Roma und Sinti werden in Deutschland häufig diskriminiert. In einem neuen
       > Gutachten kritisieren Roma-Verbände, dass die Regierung das Problem
       > leugne.
       
   IMG Bild: Europaweit einmalig: Bewohnerin eines Wohnprojekts für rumänische Roma in Berlin-Neukölln mit ihrem Kind.
       
       BERLIN taz | An diesem Mittwoch wird eine Gruppe von deutschen
       Roma-Aktivisten in Berlin ein Gutachten zur „Situation des Antiziganismus
       in Deutschland“ übergeben, darunter an den Bundestag und die Berliner
       Vertretung der EU-Kommission. In dem Gutachten heißt es, dass
       Antiziganismus „in Deutschland weitverbreitet ist und schwerwiegende Folgen
       hat“.
       
       Die Beispiele dafür reichen von Umfragen, die zeigen, dass viele Deutsche
       keine Sinti und Roma als Nachbarn haben möchten, über Stereotype in der
       Berichterstattung in den Medien bis hin zu Gewalt gegen Angehörige dieser
       Minderheit. Durch die Zuwanderung von Roma aus Osteuropa hat sich das
       Problem verschärft.
       
       „Nur fünf bis sieben Prozent der Neuzuwanderer aus Bulgarien und Rumänien
       sind Roma“, schätzt Daniel Strauß, Landesvorsitzender des Zentralrats der
       Sinti und Roma in Baden-Württemberg und Geschäftsführer des Vereins
       „RomnoKher“ in Mannheim. „Doch was mit Armutsmigration und der
       Freizügigkeit in Europa zu tun hat, wird als Bedrohung durch Zigeuner
       wahrgenommen“, sagte er der taz.
       
       Der Antiziganismus mache keine großen Unterschiede zwischen Neuzuwanderern
       und den rund 70.000 alteingesessenen Sinti und Roma, fürchtet Strauß: „Wir
       haben Segregation auf dem Wohnungsmarkt, Benachteiligungen bei der
       Gesundheitsvorsorge und im Bildungsbereich, Diskriminierung bei der
       Arbeit“, klagt er. Doch die Politik verschließe sich diesem Problem bisher
       hartnäckig, findet er. Strauß gehört deshalb zu den Auftraggebern des
       Gutachtens, das der Berliner Antiziganismus-Experte Markus End verfasst
       hat.
       
       Besonders geärgert hat sich Daniel Strauß über einen Bericht, den die
       Bundesregierung im vergangenen Jahr der Europäischen Kommission vorlegen
       musste. Darin schrieb die Bundesregierung, ihr Land brauche keine besondere
       Strategie zur Verbesserung der Lage von Sinti und Roma, denn diese sähen
       sich selbst hierzulande „als gut in die Gesellschaft integriert“.
       
       Das stand in deutlichem Widerspruch zu einer Studie zur Bildungssituation
       deutscher Sinti und Roma, welche „RomnoKher“ im Jahr 2011 durchgeführt
       hatte: 44 Prozent brechen die Schule ab, 13 Prozent haben keine Schule
       besucht. Dies sei auf Diskriminierungserfahrungen zurückzuführen, über die
       80 Prozent der Befragten geklagt hatten.
       
       ## „Wir haben nicht die gleichen Chancen“
       
       „Sinti und Roma leben seit 600 Jahren in diesem Land, wir müssen nicht
       integriert werden“, sagt Daniel Strauß dazu. „Aber wir haben nicht die
       gleichen Chancen auf Teilhabe. Es kommt ja auch nicht von ungefähr, dass
       rund die Hälfte der deutschen Sinti und Roma in sozialen
       Brennpunkt-Quartieren leben.“
       
       Nach der Einweihung des Mahnmals für die im Nationalsozialismus ermordeten
       Sinti und Roma in Berlin traf sich Strauß deshalb Mitte Oktober mit
       Vertretern von 33 anderen Roma-Verbänden in Berlin, um ein gemeinsames
       Netzwerk zu bilden und eine Stiftung zu gründen. Die
       „Hildegard-Lagrenne-Stiftung“ hat es sich zum Ziel gesetzt, die Lage der
       deutschen Sinti und Roma zu verbessern, vor allem im Bildungsbereich.
       
       Die Bundesregierung hat unterdessen einen neuen Bericht an die
       EU-Kommission geschickt, in dem sie eine Vielzahl von Initiativen
       auflistet, die sich der schulischen Integration und der beruflichen
       Ausbildung junger Roma widmen. Die meisten davon werden allerdings von den
       Bundesländern verantwortet. Seit 2011 sind alle EU-Staaten verpflichtet,
       konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um das Los der größten Minderheit in
       Europa zu verbessern.
       
       12 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
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