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       # taz.de -- Messi bricht Gerd Müllers Torrekord: „Auf, roll reini!“
       
       > Lionel Messi hat einen Rekord von Gerd Müller gebrochen. Egal. Das
       > deutsche Genie mit seinem kleinbürgerlichen Kunstsinn bleibt
       > unerreichbar.
       
   IMG Bild: Jahundertstürmer Gerd Müller trifft im Jahrhundertspiel – Deutschland gegen Italien 1970.
       
       Nichts – keine Meldung, keine Personalie, kein sogenanntes Ereignis, sei es
       politischer, kulturbetrieblicher oder gar, mit Robert Musil zu reden,
       fußballindustrieller Art – könnte mich dazu bewegen, meinen Arbeitstag
       umzukrempeln, alles, was erledigt werden will, beiseite zu schieben und
       stattdessen einen Zeitungsartikel zusammenzubolzen, der in den Katarakten
       der Informationsirrelevanzen genauso verdient absäuft wie – beispielsweise
       – jedes Pixel auf dem sogenannten und Tag für Tag nichtiger fürbaß
       walzenden Nachrichtenportal Spiegel Online.
       
       Nein, nichts und abermals nichts – außer die Frage eines sehr geschätzten
       Kollegen aus der Sportredaktion dieses Blattes, ob mir zu Gerd Müller ein
       paar Zeilen einfielen, mir als „altem Roten“. Wie könnte ich da
       protestantisch streng und schnöde Nein sagen – bei einem Fußballer, den ich
       verehre wie keinen anderen aus diesem unterdessen äußerst merkwürdigen, ja
       weitenteils unverschämten und perfiden Sport?
       
       Ich möge, forderte mich Achim Greser, der eiserne Club-Fan, kürzlich auf,
       dem Fußball jetzt doch mal final in den Arsch treten. Angesichts des
       omnipräsenten Geplappers zumal über wöchentlich anberaumte
       „Jahrhundertspiele“ müsse endlich Remedur geschaffen werden. Nö, nun wird
       niedergekniet.
       
       „Zwei Genies, genau zwei, hat der deutsche Fußball hervorgebracht: Gerd
       Müller und Mehmet Scholl“, habe ich vor ein paar Jahren geschrieben. Dabei
       bleibt es, und ich ergänze: nicht nur der deutsche, sondern der
       Weltfußball, Garrincha, Pelé, Maradona, der „Jahrhundertspieler“ Messi und
       wer auch immer. Wer anderes behauptet, frevelt.
       
       ## „Schlechte Unendlichkeit“
       
       Zahlen und Daten interessieren mich nicht (mehr), ich gucke mir keine
       YouTube-Videos mit Gerd Müller an, ich möchte von all dem Fakten- und
       Anekdotengehuber, das in „schlechter Unendlichkeit“ (Hegel) die stets
       gleichen Geschichten von Zigarren, Suff und mit dem Hintern erzielten Toren
       auftischt, nichts wissen.
       
       Es ist die einfach nicht fahl werdende Erinnerung an diesen ungeheuer
       sympathischen Mann, der schon damals aus der Welt der Geldscheinwedler und
       Suppenkaiser herauspurzelte, nein: der in seiner ragenden Stille, seiner
       zarten Größe in diesen Spezialkosmos der Eitelkeiten und brachialen
       Durchstechereien nicht hineinpasste.
       
       Das ist mein Bild von Gerd Müller: ein Fußballer, der die guten Leute
       verkörperte, die es gab und immer noch gibt, von denen man in dieser
       Wahnsinnswelt indes nie etwas hört. (Dass Uli Hoeneß Gerd Müller rettete,
       als er am Leben zu zerbrechen drohte, vergesse ich dem Bayern-Magnaten
       nie.)
       
       ## Wie er zur Seite kippte
       
       Aber: zarte Größe? Gerd Müller, untersetzt, hatte Beine wie ein Elefant,
       gewiss. Doch wie er sich bewegte, wie er zur Seite kippte, wie er hüpfte,
       wie er den Körper verdrehte, wie er den Ball kaum einmal trat oder drosch,
       sondern ihm meist mit einem, so stellte ich mir das bisweilen vor,
       geflüsterten Satz („Auf, roll eini!“) den Weg ins Netz wies, das war von
       ungesehen unprätentiöser Schönheit – ein bescheidener Kleinbürger mit einem
       höchstentwickelten Kunstsinn, einer, der von seiner singulären Begabung
       womöglich nicht einmal etwas wusste.
       
       Gerd Müllers tiefhumane Einfachheit, sie rührt mich bis heute, und das wird
       sie weiter tun. Und es war neulich Wirt Apollo, der mir in meiner
       Stammkneipe beisprang, als ich Gerd Müller als den Unerreichten und
       Unerreichbaren des Weltfußballs verteidigte, gegen die ahnungslose,
       gegenwartsversessene Eintracht-Jugend, die wen auf den Schild hob? Lionel
       Messi. Wenn es sie glücklich macht, bitte. Ich danke Gerd Müller und
       wünsche ihm alles erdenkliche Gute.
       
       10 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Roth
       
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