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       # taz.de -- Exil-Chinese über Nobelpreisträger Mo: „Fast schon eine Lachnummer“
       
       > Mit seiner Äußerung zur Zensur habe sich Nobelpreiträger Mo Yan keinen
       > Gefallen getan, sagt der Exil-Schriftsteller Ming Shi. Er sei sicher
       > unter Druck geraten.
       
   IMG Bild: „Unter Druck geraten“: der Schriftsteller Mo Yan
       
       taz: Herr Shi, Mo Yans Verteidigung der Zensur hat international große
       Empörung hervorgerufen. Wie beurteilen Sie seine Äußerung? 
       
       Ming Shi: Für sich genommen, ist die Äußerung nicht haltbar. Denn Zensur
       sagt ja immer, dass man guten Grund hat zu zensieren, dass zum Beispiel
       etwas nicht wahr ist oder nicht ganz der Wirklichkeit entspricht. Das ist
       ein gängiges Argument, mit dem fast alle Zensuren arbeiten. Was Mo Yan als
       Literaten betrifft: Gerade die Literatur muss ja nicht der Wirklichkeit
       entsprechen.
       
       Wenn Literatur zensiert wird, dann meistens nicht wegen der Frage, ob sie
       der Wirklichkeit entspricht. Es ist daher fast schon eine Lachnummer, wenn
       ein Literat sagt: Ja, die Behörden müssen immer prüfen, ob etwas wahr ist,
       in dem Sinne, dass es die Wirklichkeit wiedergibt. In beiden Punkten hat
       sich Mo Yan keinen Gefallen getan.
       
       Warum hat er sich in dieser Form zur Zensur geäußert? 
       
       Da kann ich eigentlich nur spekulieren. Er ist in China sicherlich stark
       unter Druck geraten, als er den Nobelpreis zugesprochen bekam. Es waren ja
       nicht nur die Dissidenten wie Yu Jie, Liao Yiwu und Ai Weiwei, die Zweifel
       an ihm angemeldet hatten. Der Zweifel ist in China breiter angelegt, es
       gibt Diskussionen im chinesischen Internet. Denn mit Mo Yan hat nicht nur
       ein Mitglied der allchinesischen Schriftstellervereinigung den Preis
       bekommen, sondern sogar ein stellvertretender Vorsitzender. Diese
       Schriftstellervereinigung wird vom internationalen PEN wegen ihrer Haltung
       zur Freiheit der Worte gar nicht anerkannt.
       
       Insofern würde ich weniger etwas über die Person Mo Yan anmerken als
       vielmehr zu dem Phänomen, wie auf eine Literaturmaschine von staatlicher
       Seite Einfluss genommen wird. Mo Yan ist allenfalls eine der wichtigsten
       Schrauben in dieser Maschine. Und wenn die Maschine sich in eine bestimmte
       Richtung drehen will, dann sollte die Schraube nicht sagen: Bitte in die
       andere Richtung.
       
       Mo Yan hat sich kurz nach seiner Auszeichnung für die Freilassung Liu
       Xiaobos ausgesprochen. Wie passt das zu seiner Verteidigung der Zensur? 
       
       Möglicherweise wurde er von seinen Schriftstellerkollegen zurückgepfiffen.
       Außerdem muss man gut unterscheiden: Mo Yan wählt seine Worte sehr genau.
       Er hat sich nicht für die Freilassung Liu Xiaobos eingesetzt, er hat nur
       gesagt, er wünsche sich, dass Xiaobo frei sei. Mo Yan geht mit diesem
       frommen Wunsch gar nicht darauf ein, dass Xiaobo nicht frei ist, und schon
       gar nicht darauf, dass er freigelassen werden sollte.
       
       Damit bewegt sich dieser sehr umsichtige Schriftsteller gerade so an der
       Grenze des Erlaubten. Das passt zur Wischiwaschi-Aussage zur Zensur: Die
       Zensur müsse prüfen, ob etwas wahr ist oder nicht. Mit dieser
       Nullachtfuffzehn-Wahrheit kann niemand etwas anfangen.
       
       7 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tim Caspar Boehme
   DIR Tim Caspar Boehme
       
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