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       # taz.de -- US-Ökonom über Griechenlandhilfe: „Das Geld lieber direkt auszahlen“
       
       > Der US-Ökonom James Galbraith findet, Brüssel sollte bei der
       > Griechenland-Hilfe die korrupte Verwaltung umgehen. Das werde die
       > Arbeitslosigkeit senken.
       
   IMG Bild: Was würde sie mit dem Geld machen? Die Wirtschaft ankurbeln, sagt Galbraith.
       
       taz: Herr Galbraith, Sie fordern mehr Solidarität innerhalb Europas. Was
       meinen Sie damit? 
       
       James Galbraith: Deutschland fertigt sehr gute Maschinen und Fahrzeuge, die
       die Griechen gerne erwerben. Solche Erfolge sind nicht nur das Verdienst
       der gegenwärtigen Generation, denn der deutsche Vorsprung in Technik und
       Arbeitsorganisation hat einen langen Vorlauf. Die Griechen dagegen haben
       Pech, dass zwei ihrer stärksten Branchen – Schifffahrt und Tourismus – in
       der Wirtschaftskrise unter die Räder gerieten. Solidarität bedeutet, solche
       Zusammenhänge anzuerkennen. Es bedeutet auch, dass zusätzliches Geld in die
       ärmeren Staaten fließen muss.
       
       Ist der Umfang der Hilfe nicht schon groß genug? 
       
       Die EU hat es immer als ihre Aufgabe betrachtet, den Abstand zwischen
       reichen und armen Staaten zu verringern. Früher gerieten die Mittel in
       Griechenland und anderen Ländern oft in die Hände von schlechten
       Verwaltungen. Jetzt könnte es der richtige Weg sein, diese Regierungen zu
       umgehen und Geld direkt an die Bevölkerung auszuzahlen. Dadurch stiege die
       Konsumnachfrage, die Wirtschaft hätte eine Chance, sich zu erholen.
       
       Soll man Lastwagen mit Geldscheinen in die griechischen Dörfer schicken? 
       
       Die Europäer sollten darüber nachdenken, ein gemeinsames öffentliches
       System der sozialen Sicherung aufzubauen. Brüssel könnte die Mittel direkt
       auf die Konten der Privathaushalte in Griechenland und anderen Ländern
       überweisen – zuerst etwa an Arbeitslose und Rentner.
       
       Die griechische Regierung wird nicht begeistert sein, wenn sie von Brüssel
       umgangen wird. Und die Bevölkerung in Holland, Finnland und Deutschland
       fragt sich schon heute: Wer kommt für diese Überweisungen auf? 
       
       Was würden Rentner in Griechenland oder Portugal mit ihrem zusätzlichem
       Geld anfangen, wenn man einen europäischen Mechanismus der sozialen
       Sicherung aufbaut? Sie würden etwa Pflegepersonal und andere Hilfskräfte
       beschäftigen. Dadurch sinkt die Arbeitslosigkeit, der Staat nimmt mehr
       Steuern ein. Die soziale Sicherung finanziert sich zum guten Teil selbst.
       Um das System zu starten, müssten allerdings zunächst Milliarden Euro an
       die Menschen in den südlichen EU-Staaten überwiesen werden. Sollten sich
       die deutschen Steuerzahlen darüber Sorgen machen? Nein, Deutschland pflegt
       damit auch die Märkte, auf denen es seine Autos verkauft.
       
       Sie warnen vor der wachsenden sozialen Kluft innerhalb Europas. Warum? 
       
       Gegenwärtig versucht die Eurogruppe die Krise in den Griff zu bekommen,
       indem die verschuldeten Peripherie-Staaten ihre Staatsausgaben und sozialen
       Sicherungssysteme zusammenstreichen. Die daraus resultierende Verarmung
       fördert die Auswanderung in die wohlhabenden Staaten. Gerade die
       leistungsstarken Beschäftigten werden die verschuldeten Länder verlassen,
       wodurch die Qualität der öffentlichen Verwaltung und anderer
       Dienstleistungen dort noch weiter abnimmt. Dadurch steigt der Stress, der
       wegen des sinkenden Lebensstandards ohnehin schon hoch ist.
       
       Das Ergebnis ist zunehmende Gewalt, vornehmlich gegen Immigranten. Denken
       Sie an die Partei „Goldene Morgenröte“ in Griechenland, die Einwanderer aus
       Nordafrika und dem Nahen Osten terrorisiert. Ein solcher Prozess kann sich
       sehr schnell ausbreiten und zum völligen Zusammenbruch einer staatlichen
       Ordnung führen.
       
       Sie halten es für möglich, dass es in Europa erneut zu Ereignissen kommt,
       die den Zuständen im jugoslawischen Bürgerkrieg ähneln. Ist das nicht etwas
       übertrieben? 
       
       Man kann jetzt in Europa wieder Auflösungserscheinungen von Staaten
       beobachten. Sehen Sie sich Spanien an. Während der ökonomische Druck auf
       das Land steigt, will die reichste Region, Katalonien, aus der Nation
       aussteigen. Eine Ursache dafür ist die zunehmende Ungleichheit zwischen den
       Regionen des Landes. Jugoslawien war ebenfalls eine moderne Gesellschaft,
       die unter anderem unter großem ökonomischen Stress stand. Dieses Beispiel
       sollten sich die Europäer vor Augen halten.
       
       9 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannes Koch
       
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