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       # taz.de -- Wahlkampf in Rumanien: Krisen-Rumänen wählen wütend
       
       > Bei den Wahlen am Sonntag droht der konservativen Partei des Präsidenten
       > Basescu eine Niederlage. Sein Sparkurs hat viele Menschen in den Ruin
       > getrieben.
       
   IMG Bild: Wahlplakat mit dem USL-Premier Victor Ponta.
       
       BUKAREST taz | „Hier herrscht ein allgemeines Desaster. Der Arbeitsmarkt
       steht vor dem Zusammenbruch, die Presse liegt am Boden, die Gehälter werden
       mit Verspätung ausgezahlt. Und im nächsten Jahr kommt es noch dicker.“
       
       Es ist ein deprimierender Befund, den der 43-jährige Romulus Cristea in
       einem fast menschenleeren Bukarester Café äußert. Vor einem Jahr konnte man
       dort kaum einen freien Platz ergattern. Cristea war fast 20 Jahre lang
       Redakteur der Tageszeitung Romania libera, einem Blatt, das nach der
       Revolution von 1989 als Flaggschiff des Umbruchs galt. Seit Februar wird
       ihm sein Gehalt nicht mehr ausgezahlt.
       
       Um dem finanziellen Engpass zu entkommen, blieb ihm nichts anderes übrig,
       als zu kündigen und sich als arbeitslos zu melden. Demnächst wird ihm die
       erste Zahlung überwiesen, monatlich 650 Lei, umgerechnet 145 Euro.
       
       Das Schicksal Cristeas ist kein Einzelfall, sondern symptomatisch für viele
       der 19 Millionen Rumänen, die am Sonntag aufgerufen sind, ein neues
       Parlament zu wählen. Über 20 Prozent der Bevölkerung des EU-Landes leben
       unter der Armutsgrenze. Der Durchschnittslohn liegt derzeit, laut
       offiziellen Angaben, bei 342 Euro monatlich.
       
       Der von Präsident Traian Basescu 2010 verordnete rigorose Sparkurs hat
       viele Menschen in den Ruin getrieben. Die Gehälter der Staatsangestellten
       wurden um 25 Prozent gekürzt, Zehntausende entlassen, die Renten
       herabgesetzt, Krankenhäuser geschlossen.
       
       Die sich verschärfende wirtschaftliche Krise führte im vergangenen April
       zum Sturz der Staatschef Basescu nahestehenden Regierung unter Premier
       Mihai Razvan Ungureanu. Zwischen dessen Nachfolger, dem Sozialdemokraten
       Victor Ponta, und Staatspräsident Basescu kam es in der Folgezeit zu einem
       absurden Machtkampf.
       
       Dieser kulminierte in einer von den Sozialdemokraten (USL) initiierten
       Volksbefragung über eine Amtsenthebung des Präsidenten. Am 29. Juli 2012
       stimmten 7,5 Millionen (rund 47 Prozent der Wahlberechtigen) für die
       Absetzung Basescus. Das Plebiszit scheiterte jedoch an einer zu geringen
       Wahlbeteiligung.
       
       ## Wahlversprechen: Wohlstand
       
       Jetzt versprechen alle Parteien den Wählern Wohlstand. Zumindest Basescu
       schenken die Wähler jedoch offenbar keinen Glauben. Letzten Umfragen
       zufolgen wollen nur 16 Prozent seiner konservativen Allianz „(Ge)Rechtes
       Rumänien“ (ARD) ihre Stimme geben.
       
       Es klingt wie ein Schrei nach Rache, als eine Frau im Supermarkt lauthals
       verkündet: „Alle sind Diebe, und die Diebe Basescus haben wir satt, deshalb
       wählen wir sie ab.“ Demgegenüber liegt die regierende USL bei 62 Prozent.
       Ebenfalls bei 16 Prozent wird die von dem Fernsehmogul Dan Diaconescu
       gegründete rechtspopulistische Partei des Volkes (PP-DD) gehandelt.
       
       Der Wahlkampf wird mit harten Bandagen geführt. Obwohl Präsident Basescu
       sich in die politischen Auseinandersetzungen laut Gesetz nicht einmischen
       dürfte, leistet er seinen Anhängern aus der ARD Schützenhilfe.
       
       ## Schweine, Katzen und Hunde
       
       In einem Fernsehauftritt bezeichnete er den USL-Premier Ponta als „Schwein“
       und beschimpfte ihn als „verlogen“ und „dumm“. Der Ministerpräsident schoss
       und verkündete, Basescu werde noch viel schlucken müssen, wenn die USL die
       Wahl gewinnen werde, und zwar „Schweine, Katzen und Hunde“.
       
       Der Schlagabtausch zwischen den Erzfeinden Ponta und Basescu liefert dem
       Publikum die bittere Erkenntnis, dass sich auch nach den Wahlen nichts
       ändern dürfte. Basescu kündigte inzwischen mehrfach an, er werde auch im
       Falle eines Wahlsiegs der USL auf keinen Fall eine Person wie Ponta als
       Ministerpräsidenten einsetzen.
       
       Auf die Frage, für wen er am Sonntag stimmen werde, antwortet der
       arbeitslose Romulus Cristea ausweichend. „Auf keinen Fall für die ARD.“
       
       9 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR William Totok
       
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