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       # taz.de -- Debatte Journalismus: Der Sugardaddy hilft nicht
       
       > Auch die Regionalpresse baut Stellen ab. Um die Qualität zu erhalten,
       > muss über öffentlich-rechtliche Stiftungen nachgedacht werden.
       
   IMG Bild: Die deutschen Zeitungshäuser versuchen sich weiterhin an der Quadratur des roten Achtecks: Online Geld verdienen ohne Bezahlschranken.
       
       So schön es ist, dass in Deutschland überhaupt mal wieder über die Presse
       diskutiert und gestritten wird, so unerfreulich ist der Anlass: Das Ende
       der Financial Times Deutschland (FTD) am heutigen Freitag und das
       fortgesetzte Siechtum der insolventen und als eigenständiger Titel wohl
       unrettbaren Frankfurter Rundschau (FR) haben nicht nur die Branche
       aufgeschreckt. „Zeitungssterben“, raunt es wohlig-verschwörerisch, und dass
       man ja in den USA schon habe sehen können, wo das endet.
       
       Die aktuelle Debatte befindet sich dabei aber gleich dreifach in ziemlicher
       Schieflage: Vom Zeitungssterben kann zum Glück – noch – keine Rede sein.
       FTD wie FR befanden sich seit Jahren in einer Sondersituation. Beide
       Blätter waren defizitär und am Markt nicht lebensfähig, wurden aber über
       ein rundes Jahrzehnt von ihren Verlagen weiter finanziert. Wer könnte sich
       das in anderen Wirtschaftszweigen vorstellen – einen Supermarkt etwa, der
       auch im nächsten Monat unerschütterlich geöffnet hat, obwohl er Tag für Tag
       Geld verbrennt?
       
       Zweitens ist immer von „den Zeitungen“ die Rede, auch wenn die aktuellen
       Beispiele allesamt aus dem Segment der überregionalen Presse stammen. Deren
       Nimbus ist unbenommen. Aber die überregionalen Titel – ohne
       Boulevardblätter, sprich Bild, gerechnet – machen in Deutschland gerade
       einmal knapp 10 Prozent der täglichen Auflage von rund 17,6 Millionen
       Zeitungsexemplaren aus.
       
       ## Die Gunst der Stunde
       
       Das Gros der deutschen Presse findet auf lokaler und regionaler Ebene
       statt. Bei den Regionalverlagen bietet sich allerdings ein eher
       uneinheitliches Bild. Auch weil kaum eine Branche mit ihren
       wirtschaftlichen Kennzahlen so verschwiegen umgeht wie die Verlegerzunft:
       Wie viele lokale bzw. regionale Titel bzw. Zeitungsunternehmen wirklich
       kriseln, ist schlicht unbekannt. So manches lokale Zeitungshaus schreibt
       weiter ordentlich zweistellige Umsatzrenditen und nutzt die Gunst der
       angstbesetzten Stunde wieder einmal für jetzt leichter durchsetzbare
       Rationalisierungsmaßnahmen.
       
       Noch entscheidender aber ist die dritte Unwucht in der Diskussion. Denn
       natürlich geht es ihr eigentlich gar nicht um die Zukunft der (gedruckten)
       Zeitungen, sondern um die Zukunft des Journalismus und der mit ihm
       verbundenen Marken. Dass die Verlage ein über Jahrzehnte höchst
       einträgliches Geschäftsmodell für das Bedrucken und Verteilen von Papier
       hatten, es ihnen jetzt aber einem ebensolchen für die digitale Welt
       gebricht, ist hinreichend beschrieben. Die Konsequenzen – vulgo die in
       immer kürzeren Abständen über die Redaktionen hereinbrechenden Fusions- und
       Sparrunden – erodieren das journalistische System zusätzlich.
       
       ## Zeitungs- und Biermarkt
       
       Denn vor allem die Regionalpresse teilt schon jetzt das Schicksal der
       deutschen Brauereien: Immer mehr Journalismus kommt aus ein und demselben
       Redaktionskessel. Wie im Biermarkt wird am Ende die angebliche
       Angebotsvielfalt durch individuelle Etikettierung sichergestellt. Die Zahl
       der deutschen Zeitungstitel bleibt dabei mehr oder minder stabil. Die
       publizistische Vielfalt ist dagegen in den vergangenen dramatisch
       geschwunden.
       
       Früher eigenständige Blätter wie Aachener Zeitung und Aachener Nachrichten,
       Weserkurier und Bremer Nachrichten oder bald auch Nürnberger Nachrichten
       und Nürnberger Zeitung werden redaktionell identisch. Die WAZ-Gruppe hat
       ihre vier Titel im Ruhrgebiet an ein großes Content-Desk gefesselt, die
       Axel Springer AG eben dem Hamburger Abendblatt verordnet, sich gefälligst
       bis aufs Lokale und Regionale in die Berliner Welt-Redaktionsgemeinschaft
       zu trollen. Immer damit verbunden sind freundliche Bekenntnisse zum
       Qualitätsjournalismus – und Stellenabbau in den Redaktionen.
       
       Und so entkräftet ziehen die Bataillone nun in die digitale Schlacht. Mit
       den etablierten Verlagen als Taktgeber ist sie für den Journalismus
       vermutlich nicht mehr zu gewinnen. Die Zögerlichkeit, mit der
       Bezahlschranken für Journalismus seit Jahren diskutiert, aber kaum
       eingeführt werden, taugt noch nicht einmal für die Echternacher
       Springprozession mit ihrem angeblichen Motto „Eins vor, zwei zurück“.
       (Anders als Zeitungen steht das Pilger-Gehüpfe zu Polka-Rhythmen aber
       immerhin schon mal auf der Unesco-Weltkulturerbe-Liste, aber das nur am
       Rande.)
       
       Im Gegenteil: Die deutschen Zeitungshäuser versuchen sich weiterhin an der
       Quadratur des Kreises, online möglichst viele Klicks durch ein möglichst
       freies Angebot mitzunehmen und gleichzeitig hier und da ein bisschen zu
       kassieren. Dass dabei nichts herauskommen kann, liegt auf der Hand.
       
       Wenn Journalismus aber tatsächlich so ein hohes Gut – neudeutsch: Public
       Value – darstellt, seine Leistung konstituierend für die unerlässliche
       demokratische Meinungs- und Willensbildung ist, muss also weiter gedacht
       werden. Denn Journalismus im Netz kann künftig nicht Prestigeprojekt von
       Konzernen sein, die das Geld dafür andernorts verdienen.
       
       ## Mäzenatenjournalismus
       
       Zumal deren Anzahl, von sendungsbewussten Unternehmen wie Springer
       abgesehen, eher überschaubar bleiben dürfte. Außerdem macht ein solches
       System den Journalismus im Sinne des Geldgebers erpressbar. Auch das in den
       USA grassierende Mäzenatentum hilft höchstens punktuell: Was, wenn der
       Sugardaddy keine Lust mehr hat?
       
       Wenn Journalismus aber so wichtig ist und ein öffentliches Gut darstellt,
       muss auch dieser Gedanke erlaubt sein: In Großbritannien unterstützt die
       gebührenfinanzierte BBC bereits die regionalen Nachrichtensendungen
       privater TV-Sender. Es geht um regionalen Journalismus, der hierzulande
       überwiegend von der Presse geleistet wird. Denkverbote, dass man die
       zuvorderst ja zur Finanzierung von Journalismus eingesammelten Milliarden
       für den deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht aufteilen darf,
       helfen nicht weiter.
       
       Es müsste vielmehr sehr schnell gedacht werden. Denn die Umstellung der
       Rundfunkgebühr auf die Haushaltsabgabe ab 2013 verspricht allen Schätzungen
       zufolge Mehreinnahmen, die den Grundstock für eine staatsferne,
       öffentlich-rechtliche Stiftung für Journalismus im Netz und anderswo bilden
       könnten.
       
       8 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Steffen Grimberg
       
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