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       # taz.de -- CDU-Parteitag in Hannover: Alles Angela oder was?
       
       > Die Partei jubelt ihrer unangefochtenen Königin zu. Und Angela Merkel
       > positioniert die CDU so mittig wie nie zuvor. Merkels CDU bietet für
       > jeden etwas.
       
   IMG Bild: „Wir haben viel vor.“ Angela Merkel könnte auch sagen: ich
       
       HANNOVR taz | Was tun, ganze sieben Minuten lang? Ein Delegierter nach dem
       anderen steht auf, der Applaus wird zum rhythmischen Klatschen,
       minutenlang. Die disziplinierten Christdemokraten wissen, was sie den
       Fernsehkameras schuldig sind. Vorn, auf der hell erleuchteten Bühne in
       CDU-Orange, löst Angela Merkel, der Jubelposen nach wie vor fremd sind, das
       Problem auf ihre Weise.
       
       Sie winkt vor dem Schriftzug „Starkes Deutschland. Chancen für alle!“ auf
       der Leinwand etwas eckig am Mikrofon. Dann geht sie nach rechts, winkt den
       Delegierten dort, läuft nach links, damit auch die dort stehenden
       Delegierten ein Kanzlerinnen-Winken abbekommen. Angela ist für alle da.
       
       Diese sekundengenau berechnete Grußzuteilung passt perfekt ins Bild. Gerade
       hat Merkel, Kanzlerin, alte und neue CDU-Chefin, den knapp 1.000
       Delegierten in Hannover erklärt, wie sie ihre Partei verortet. Und wie sie,
       die unangefochtene Königin der CDU, auch 2013 wieder Kanzlerin werden will.
       
       Ihre so einfache wie dialektische Botschaft lautet: Die CDU steht so sehr
       in der Mitte, mittiger geht es gar nicht. Merkels CDU bietet für jeden
       etwas, und sie könnte, wenn sie müsste, natürlich sowohl mit der SPD als
       auch mit den Grünen koalieren.
       
       Aber erst mal lobt Merkel das Bündnis mit der FDP. „Unsere Bundesregierung
       ist die erfolgreichste seit der Wiedervereinigung!“ Merkel hat diese
       gewagte These schon öfter vertreten. Dennoch schauen viele Delegierten
       überrascht ihre Nachbarn an, der Applaus kommt zögerlich. Zu präsent sind
       die Dauerquerelen mit den Liberalen.
       
       ## Die FDP, eine Gottesprüfung
       
       Merkel aber weiß, dass sie die FDP als Option im konservativen Lager weiter
       braucht. Wie genervt viele im Saal sind, zeigt sich wenig später, als
       Merkel zugibt, ein Moderator aus einer Satiresendung habe ihr neulich aus
       der Seele gesprochen. „Gott hat vielleicht die FDP nur erschaffen, um uns
       zu prüfen.“ Gelächter, verständnisvolles Nicken.
       
       Geschickt macht Merkel mit dem Witz klar, wer für den Erfolg in der
       Koalition zuständig ist. Niedrige Arbeitslosigkeit. Bundeswehrreform.
       Europa. Die Energiewende. All dies vereinnahmt sie für die CDU. Sie redet
       ruhig, gestikuliert sparsam, wie es ihre Art ist. Mitreißend ist das alles
       nicht, das ist es selten bei ihr. Und doch wechselt Merkel sehr kalkuliert
       durch ihre Rollen.
       
       Als Kanzlerin schmückt sie sich mit ihrer Krisenpolitik in Europa. Als
       Vorsitzende streichelt sie die Seele der CDU, indem sie christliche Werte
       betont. Den längsten Applaus bekommt sie, als sie die Familie als Hort der
       Geborgenheit beschreibt, in der Eltern Verantwortung für ein Kind
       übernehmen.
       
       ## Brotsamen für die Konservatien
       
       Daraus leitet sie ab, warum sie Schwulen und Lesben beim Ehegattensplitting
       nicht die gleichen Steuervorteile gewähren will. Es ist das einzige
       ernsthafte Streitthema auf diesem Parteitag, und hier, auf einem
       Nebenkriegsschauplatz, wirft Merkel den Konservativen eine Brosame hin.
       
       Die CDU ist Merkel, Merkel ist die CDU. Nie galt dieser Satz so sehr wie
       nach Hannover. Als Wahlkämpfern übt sich die Unumstrittene in ihrer
       Lieblingsdisziplin. Sie verringert Angriffsfläche, indem sie Themen des
       Gegners zu den eigenen erklärt.
       
       Selbst zehn Jahre nach der Agenda 2010 beschäftige sich die SPD noch damit,
       was daran falsch sei. „Ich sage knapp und klar: Die Agenda 2010 war
       richtig.“ Exkanzler Gerhard Schröder wird sich geärgert haben bei diesem
       Satz. Plötzlich ist Merkel auch noch Agendakanzlerin. Wenig später bezieht
       sie sich auf Ludwig Erhard. Merkel 2012, lautet ihre Botschaft, das ist
       irgendwas zwischen Schröder, Wirtschaftswunder und den Grünen.
       
       Die Schattenseite dieser Strategie erkennt, wer es schafft, den 48-seitigen
       Leitantrag des Bundesvorstands und die 840 Änderungsanträge durchzulesen.
       Die Positionen der Merkel-CDU sind so glatt geschliffen, dass für weite
       Teile auch Sigmar Gabriel verantwortlich zeichnen könnte.
       
       ## Merkel bleibt beim Nein
       
       Der Antrag lobt die soziale Marktwirtschaft ebenso wie die
       Finanztransaktionsteuer, und er fordert eine Lohnuntergrenze für tariflose
       Branchen. Und die Konservativen? Für die bleibt Merkels Nein zur
       Gleichstellung Homosexueller.
       
       Wie es um die Debattenkultur innerhalb der CDU bestellt ist, demonstriert
       der Kreisverband Hochsauerland, der durch sprachliche Expertise auffällt.
       Ihm wird die Nachwelt verdanken, dass der Leitantrag in Zeile 29 das
       Ansehen Deutschlands nicht seinen „tüchtigen Menschen“ zuschreibt, sondern
       seinen „vielen tüchtigen Menschen.“
       
       Selbst das wichtigste strittige Thema wurde in Merkel’scher Harmonie
       eingeebnet. Die Frauen-Union drängte vor dem Parteitag darauf, älteren
       Müttern für Kindererziehungszeiten Rentenleistungen zuzugestehen. Sie
       wähnten sich im Recht, weil Merkel ihnen das bei dem Deal zum
       Betreuungsgeld zugesichert hatte.
       
       ## Leere Rhetorik für die Frauen
       
       Den Streit über das milliardenschwere Projekt legte der Vorstand mit einem
       Kompromissvorschlag bei. In dem Beschluss, den die Frauen mittragen, heißt
       es, man könne „nur schrittweise“ einen Ausgleich angehen.
       
       Ein Zeitplan fehlt, die Höhe der Schritte ist nicht definiert: Die Frauen
       wurden mit leerer Rhetorik abgespeist.
       
       Am Nachmittag drängeln die Delegierten in die Halle, jetzt wird das
       Ergebnis für die zum siebten Mal neu gewählte Chefin bekannt gegeben. 97,9
       Prozent, ein Rekord. Jubel. Merkel bedankt sich auf ihre Art. „Ich bin
       platt und bewegt.
       
       Jetzt geht es zusammen mit denen, die noch gewählt werden, ran an den
       Speck.“ Sie fügt hinzu: „Wir haben viel vor.“ Angela Merkel könnte auch
       sagen: ich.
       
       4 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
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