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       # taz.de -- Ermittlungen in Thüringen: Schlammschlacht im NSU-Sumpf
       
       > Thüringer Beamte machen sich wilde Vorwürfe – bis hin zu einem
       > angeblichen „homoerotischen Verhältnis“ zu einem V-Mann im NSU-Umfeld.
       
   IMG Bild: Der Ex-Chef des Thüringer Verfassungsschutzes mit leicht geneigtem Kopf vor seiner Anhörung im NSU-Untersuchungsausschuss.
       
       BERLIN taz | Es war ein denkwürdiger Tag im NSU-Untersuchungsausschuss des
       Thüringer Landtags. In Sitzungssaal F101 berichteten ehemalige
       Geheimdienstler von den angeblichen Zuständen unter Helmut Roewer, der
       Verfassungsschutzchef war, als das Neonazitrio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt
       und Beate Zschäpe 1998 in den Untergrund ging.
       
       Roewer sei im Amt mit dem Fahrrad auf dem Flur umhergefahren, erzählte der
       Ex-Geheimdienstmann Norbert W., und nach einem öffentlichen Auftritt mit
       preußischer Pickelhaube habe man sich gefragt, ob Roewer nicht bald nach
       Stadtroda komme – dort steht eine Psychiatrie. Ein anderer amtsinterner
       Gegner Roewers berichtete von einem angeblichen Weingelage bei Kerzenschein
       mit sechs Damen im Büro seines früheren Chefs, bei dem sich dieser wie ein
       „balzender Auerhahn“ benommen habe.
       
       Der darauf folgende Auftritt Roewers an jenem Tag im Juli war an
       Skurrilität kaum zu überbieten. Der 63-Jährige konnte sich nicht mal
       erinnern, wer ihm 1994 seine Ernennungsurkunde brachte: „Ich war
       betrunken.“ Ausschweifungen im Amt samt Candle-Light-Dinner dementierte er
       aber – und zeigte die beiden pensionierten Beamten hinterher wegen
       Falschaussage an.
       
       Kann man diesen Irrsinn noch toppen? Man kann. Denn im Hintergrund tobt
       eine noch weit größere Schlammschlacht.
       
       ## "Totaler Unsinn"
       
       In Zeugenvernehmungen des BKA behauptete Roewer gegenüber den
       NSU-Ermittlern tatsächlich: Er habe einst vom Bundesamt für
       Verfassungsschutz oder auf einer Amtsleitertagung erfahren, dass einer
       seiner damaligen Mitarbeiter „möglicherweise ein – nicht ganz präzise
       definiertes – homoerotisches Verhältnis“ zu einem von diesem geführten
       V-Mann im Umfeld des Neonazitrios gehabt habe.
       
       Der frühere V-Mann-Führer und Roewer-Kritiker bestreitet dies entschieden.
       „Völliger Irrsinn. Es ist für mich unerklärlich, wie der zu so einer
       Aussage kommt“, sagte er dem BKA. Auch der langjährige Spitzel sagte der
       taz: „Das ist totaler Unsinn.“
       
       Doch nicht nur die Thüringer Ex-Geheimdienstler bekämpfen sich
       untereinander aufs Übelste. Auch zwischen Polizisten und
       Verfassungsschützern geht es hinter den Kulissen hoch her.
       
       Der zentral an der Suche nach dem NSU-Trio beteiligte LKA-Zielfahnder Sven
       W. sagte dem BKA: Er und seine Kollegen hätten den Eindruck gehabt, der
       Verfassungsschutz wollte gar nicht, dass die Polizei das Neonazitrio
       findet. Irgendwann zwischen 2004 und 2008 habe ihm Verfassungsschutz-Mann
       Norbert W. gesagt, dass „die Drei gar nicht soweit weg wären und es ihnen
       gut gehe“.
       
       ## Lachhaft, erbärmlich, hirnrissig?
       
       Die Version des Ex-Geheimdienstlers Norbert W. ist eine völlig andere. „Das
       ist doch lachhaft“, sagte er den NSU-Ermittlern. Der LKA-Zielfahnder habe
       ihn jahrelang bei jeder Gelegenheit genervt: „Wo sind die drei? Ihr wisst
       doch, wo die sind, ihr haltet die versteckt“. Gut möglich, dass er deshalb
       irgendwann eine ironische Bemerkung gemacht habe; die Behauptung, der
       Verfassungsschutz wusste die ganze Zeit, wo sich das NSU-Trio versteckte,
       sei aber „hirnrissig“.
       
       LKA-Zielfahnder Sven W. war es auch, der schon 2001 den Verdacht in die
       Akten trug, jemand aus dem Neonazitrio könnte eine V-Person des
       Verfassungsschutzes sein. Mit dieser Vermutung hat sich bereits eine
       Kommission um Ex-Bundesrichter Gerhard Schäfer auseinandergesetzt.
       
       Auf 15 Seiten zeichnet sie in ihrem Mitte Mai vorgelegten Bericht nach, wie
       der in ihren Augen „haltlose“ Verdacht weiter getragen wurde. „Erbärmlich“
       nannte Schäfer das Verhalten des Zielfahnders – der kurz darauf seinen
       Posten räumen musste.
       
       Gleichzeitig sind in dem Bericht etliche Punkte aufgelistet, wonach der
       Landes-Verfassungsschutz genauso versagt hat – bis hin dazu, dass
       Geheimdienstler die Eltern des abgetauchten Uwe Mundlos vor einer
       Telefonüberwachung der Polizei warnten. Das Fazit im Schäfer-Bericht: Der
       Verfassungsschutz habe „die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden bei der
       Suche nach dem Trio massiv beeinträchtigt“.
       
       Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags hatte bisher einen Bogen um
       Thüringen gemacht und sich zuerst mit den Verfehlungen der anderen
       Bundesländer befasst. Erst ab Mitte Dezember will man sich nun dem Land
       widmen, das bei der Suche nach dem aus Jena stammenden NSU-Trio so
       katastrophal versagt hat.
       
       Die Hoffnung der Bundestagsabgeordneten war zunächst: Die
       Schäfer-Kommission und der Thüringer NSU-Ausschuss könnten schon das
       Wichtigste geklärt haben. Doch angesichts tausender Aktenordner,
       zahlreicher offener Fragen und wilder Vorwürfe wird der Bundestag wohl tief
       in diesen Sumpf hineinwaten und etliche Thüringer Zeugen nach Berlin
       zitieren müssen – und sie dort, falls nötig, unter Eid aussagen lassen.
       
       29 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wolf Schmidt
       
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