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       # taz.de -- Kommentar Griechenlandhilfen: Auswege aus der Sackgasse
       
       > Griechenland kann nur mit einem Schuldenmoratorium überleben und später
       > zurückzahlen. Dazu müsste die EZB die Schuldenlast übernehmen.
       
   IMG Bild: Bleibt wohl auch noch ein ganze Weile Baustelle: Der Schuldenstand Griechenlands.
       
       Und täglich grüßt das Murmeltier. Das Rettungspaket für Griechenland, das
       der Bundestag am Freitag verabschieden soll, wird nicht das letzte gewesen
       sein. Schon Ende März 2013 steht die nächste Prüfung der Troika an. Wer
       ernsthaft glaubt, dass Athen die neuen Vorgaben diesmal nicht mit Pauken
       und Trompeten verfehlt, muss schon ein sehr argloser Zweckoptimist sein.
       
       Während die Zielvorgaben der selbst ernannten Retter von Rettungsgipfel zu
       Rettungsgipfel unerreichbarer werden, befindet sich die griechische
       Volkswirtschaft im freien Fall. Mit jedem Tag wächst die Gefahr, dass aus
       einer vergleichsweise überschaubaren Refinanzierungskrise ein
       realwirtschaftlicher Tsunami wird, der nicht nur die europäische
       Wirtschaft, sondern auch den europäischen Gedanken überrollt. Es ist
       höchste Zeit, sich das Scheitern der bisherigen Rettungsstrategie
       einzugestehen und neue Wege zu gehen.
       
       Die Fehler der bisherigen Krisenagenda fangen bereits bei der Analyse der
       Probleme an. Ob ein Staat seine Schulden bedienen kann, hängt in erster
       Linie von seinen Steuereinnahmen ab. In einer Rezession gehen die
       Staatseinnahmen in der Regel zurück, während die Staatsausgaben steigen.
       Daher ist es auch zwingend nötig, den Einbruch der griechischen Konjunktur
       zu stoppen und dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft sich wieder fängt.
       Wachstum ist nicht alles, aber ohne Wachstum ist alles nichts. Natürlich
       kosten Investitionsprogramme Geld. Aber auch das momentane Durchwursteln
       kostet Geld – sehr viel Geld.
       
       ## Realistische Chance auf Rückzahlung
       
       Die Wahrscheinlichkeit, dass die Gläubiger dieses Geld irgendwann einmal
       wiedersehen, hängt davon ab, ob Griechenland später einmal in der Lage sein
       wird, seine Schulden zu begleichen. Spart es sich in den sichereren Tod,
       wird Deutschland seine Forderungen abschreiben müssen. Verzichtet
       Griechenland jedoch auf Kürzungen und schafft dank gezielter Investitionen
       den konjunkturellen Turnaround, besteht eine realistische Chance, dass die
       Schulden irgendwann beglichen werden können.
       
       Erst wenn die griechische Volkswirtschaft wieder anspringt, kann man sich
       ernsthafte Gedanken machen, wie der Schuldenberg abzubauen ist. Doch auch
       hier hapert es bereits bei der Problemanalyse. Griechenland leidet nur
       vordergründig unter seinen hohen Staatsschulden. Nicht die Summe der
       Staatsschulden ist das eigentliche Problem, sondern die daraus
       resultierende Zinslast. Ohne diese Zahlungsverpflichtungen hätte Athen
       zumindest Luft zum Atmen und den Handlungsspielraum, um durch gezielte
       Investitionen die Konjunktur zu beleben. Um die Zinslast zu drücken, ist
       ein radikaler Schuldenschnitt noch nicht einmal zwingend nötig. Schließlich
       hat jeder Gläubiger die Möglichkeit, die Rückzahlungsmodalitäten zu ändern.
       
       Was spräche beispielsweise gegen ein umfassendes Schuldenmoratorium für
       Griechenland? Momentan einiges, da nicht nur finanziell solide Staaten wie
       Deutschland, sondern auch Länder wie Spanien zu den Gläubigern
       Griechenlands zählen, die es sich schlicht nicht leisten können,
       ausstehenden Schulden zu stunden. Ein echtes Schuldenmoratorium wäre nur
       dann realistisch umsetzbar, wenn die ausstehenden griechischen
       Staatsschulden an die EZB ausgelagert werden. Für eine Zentralbank spielt
       es keine vorrangige Rolle, wann und in welcher Höhe ausstehende Forderungen
       beglichen werden. Diese Möglichkeit haben weder Banken noch Staaten. Es ist
       erstaunlich, dass sich dies noch nicht bis zur deutschen Regierung
       herumgesprochen hat.
       
       Um der EZB die längst überfällige Schlüsselrolle bei der Bekämpfung der
       Eurokrise zu übertragen, müsste der EZB jedoch gestattet werden, Staaten
       direkt zu finanzieren. Dafür muss das EZB-Statut geändert werden. Das geht
       nicht? Aber sicher geht das. Das EZB-Statut ist nicht in Stein gemeißelt
       und wurde nicht von Gott auf dem Berge Sinai überreicht. Wie jeder andere
       völkerrechtliche Vertrag ist auch das EZB-Statut verhandelbar. Die
       Bundesregierung – und auch die Opposition – müsste dies nur wollen.
       
       Die gescheiterte Rettungsstrategie ist keinesfalls alternativlos. Wenn
       etwas alternativlos sein sollte, dann ist dies der Wille, die Dinge zum
       Besseren zu verändern. Doch mit jedem Tag, an dem Deutschland in seiner
       ideologischen Schockstarre verharrt, läuft die Zeit davon, das Ruder
       herumzureißen.
       
       29 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Berger
       
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