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       # taz.de -- Underground-Film: Jack is still making trouble
       
       > Was Queer alles sein kann, war bei Jack Smith schon zu sehen, als Judith
       > Butler noch in den Kindergarten ging. Ihm galt ein Symposion in
       > Frankfurt.
       
   IMG Bild: Still aus Smiths „Reefers Of The Technicolor Island“.
       
       Aus Jack Who? wird gerade der Vater von allem. Viel Ehre wird seit einiger
       Zeit dem Filmemacher, Performancekünstler und Fotografen Jack Smith zuteil.
       Vor drei Jahren fand in Berlin ein großes Jack-Smith-Festival statt,
       aktuell läuft eines im Wiener Filmmuseum, auf dem er als
       „Underground-Ikone“ und als „heimliche Zentralgestalt der Kunstgeschichte
       des letzten halben Jahrhunderts“ gepriesen wird.
       
       Mit der Heimlichkeit ist es jetzt vorbei – auch das stellte das Frankfurter
       Filmfestival und Symposion vom vergangenen Wochenende fest. Doch weiter
       hieß es: „Jack is still making trouble.“
       
       Eingeladen nach Frankfurt hat die Initiative Kultur und Homosexualität, in
       Zusammenarbeit mit weiteren Kultureinrichtungen. Jack Smith starb 1989 an
       Aids. Er hinterließ umfangreiches Filmmaterial, galt jedoch bis vor kurzem
       eher als Wegbereiter und Inspirator von Underground und Counter-Culture
       denn als Star eigenen Gewichts.
       
       ## Zu Obzön
       
       In Geschichten des Underground-Kinos ist historisch akkurat nachzulesen,
       welchen Skandal sein Kult- und Hauptwerk „Flaming Creatures“ 1963 auslöste,
       als der Film von der Polizei wegen Obszönität und Pornografie verboten
       wurde; analysiert worden ist auch, wie radikal Smith den Zwang filmisch
       stringenter Narration auflöste und die Geschlechterrollen verunklärte.
       
       Einer seiner Stars war Mario Montez, Drag Queen und Darsteller in Filmen
       von Smith und Andy Warhol, mit dem Smith zusammenarbeitete. Montez hatte
       sich Mitte der 70er zurückgezogen und war erst vor wenigen Jahren wieder
       aufgetaucht. In Frankfurt erzählte er von seiner Arbeit mit Smith und
       Warhol – selten hat jemand nach der Frage „Mann oder Frau?“ gelangweilter
       ausgesehen.
       
       So wie die Drag Queen aus den 60er Jahren New Yorks sich mitten unter uns
       wieder materialisiert, so fidel scheint auch das Nachleben von Smith zu
       werden. Als Vater von Camp und von Queer wurde er gehandelt; von ihm hatte
       Susan Sontag den Ausdruck „Camp“ – und was Queer alles sein kann, war in
       seinen Filmen bereits zu sehen, als Judith Butler noch in den Kindergarten
       ging. Film, Gender Troubles, Popmusik, überall Jack.
       
       ## Quelle der Unruhe
       
       Der Musikjournalist Klaus Walter erklärte, wie Popmusiker von Elton John
       über Lou Reed bis hin zu jüngeren House-Musikern Motive von Smith
       aufnahmen. Der Filmwissenschaftler Marc Siegel informierte über „Jack Smith
       in Germany“. Die Geschlechterfrage, das Verhältnis von Gay und Queer, war
       auf Foren und in Vorträgen ein Leitmotiv. Und natürlich waren da Smiths
       eigene lange – „Flaming Creatures“, „Normal Love“ – und kurze Filme wie
       „Song for Rent“ (1969), hinzu kamen Referenzfilme, wie etwa „The Illiac
       Passion“ von Gregory Markopoulos, in dem Jack Smith zusammen mit Andy
       Warhol auftritt.
       
       „Jack Smith is still making trouble“, sagt der Restaurator der Filme von
       Smith. Wer „Flaming Creatures“ sieht, kann es bestätigen. In einer langen
       Tanzszene ver- oder enthüllen Schleier die Tanzenden und ihre Körperteile.
       Darauf folgt ein Tableau ineinander verschlungener Körper. Zu wem das
       Körperteil gehört, ob es Mann oder Frau ist, die Berührung zärtlich oder
       zudringlich, ist nicht sofort und manchmal überhaupt nicht zu entscheiden.
       Dass Fellini und andere hier genau hingesehen haben, muss niemand erklären.
       
       ## Cinema of Transgression
       
       Aber bei Smith ging es radikaler und ungebändigter zu. Die gewohnte
       Zentralperspektive fehlt, das Auge muss arbeiten, sich orientieren. Der
       Film wird überbelichtet, sieht wenig später aus wie ein Negativ. „Cinema of
       Transgression“ ist einer der Begriffe, ein solches Kino zu fassen, aber
       auch das ist nur eine Momentaufnahme.
       
       Jack Smith hatte seit Ende der 50er Jahre seine Filme auf Sessions gezeigt,
       die in ausgewählten Kinos, privat oder halböffentlich stattfanden. Er
       brachte den Soundtrack selbst mit, schnitt nach jeder Session den Film neu,
       und bei der nächsten Vorführung war wieder alles anders. Werden diese
       Filme, wenn sie bei heutigen Vorführungen immer gleich aussehen, nicht
       kommodifiziert? Es wird sich nicht ganz vermeiden lassen, aber die
       Widerstände sind beträchtlich.
       
       Jerry Tartaglia erzählte, dass von seiner Fassung von „Flaming Creatures“
       fünfzehn Kopien existieren. Sie werden auf Festivals wie in Frankfurt
       gezeigt, befinden sich in Filminstitutionen oder musealen Einrichtungen wie
       der Tate Modern, die ihn zu besonderen Anlässen zeigen, eingeordnet in
       verschiedene Kontexte. Eine DVD-Edition wird es nicht geben. Wer sein Glück
       auf YouTube versucht – bis auf den Schluss ist von „Flaming Creatures“
       nichts zu sehen. Zensiert, zu viel Nudity. Jack is still making trouble.
       
       26 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mario Scalla
       
       ## TAGS
       
   DIR Queer
   DIR Film
   DIR Andy Warhol
   DIR Tagebücher
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
       
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