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       # taz.de -- McAlpine-Skandal in Großbritannien: 10.000 Twitterer sollen zahlen
       
       > Die falsche Behauptung der BBC, ein Politiker habe Kinder missbraucht
       > ,verbreitete sich in Windeseile auf Twitter. Nun drohen Klagen.
       
   IMG Bild: Ungeprüft weitersagen ist in Großbritannien nicht erlaubt.
       
       LONDON taz | Großbritannien fiebert derzeit einem möglichen Prozess mit der
       größten Anzahl von Angeklagten entgegen, die jemals vor einem britischen
       Gericht gestanden haben. Der britische Politiker Lord Alistair McAlpine,
       vormals Schatzmeister der Conservative Party, hat gedroht, alle 10.000
       Twitter-Nutzer, die behaupteten, er sei pädophil, vor Gericht zu zitieren.
       Seine Anwälte haben eine Liste von 1.000 Tweets und 9.000 Retweets
       zusammengestellt, in denen der Name ihres Klienten angeblich verunglimpft
       wurde.
       
       Zu den möglichen Beschuldigten gehören auch der bekannte britische
       Schauspieler und Comedian Alan Davies, Sally Bercow, Ehefrau des Sprechers
       des britischen Unterhauses, und der Guardian-Kolumnist George Monbiot.
       Davis hatte in Tweets an seine 440.000 Follower McAlpine als „Tory
       Paedophile“ bezeichnet.
       
       [1][Auslöser des Shitstorms auf Twitter] war die BBC-Nachrichtensendung
       „Newsnight“, in der fälschlicherweise behauptet wurde, dass McAlpine etwas
       mit Kindesmissbrauch in Nord-Wales zu tun hatte – eine Panne, die den
       BBC-Generaldirektor George Entwistle seinen Job kostete. McAlpine selbst
       hatte nach dem Skandal erklärt, dass ihn die Anschuldigungen in Newsnight
       erschüttert und „in die Hölle gestürzt“ hätten. „Das geht einem in die
       Knochen“, entrüstete er sich weiter, „es macht einen wütend. Man denkt, mit
       der Welt stimmt etwas nicht.“
       
       Jetzt verlangt McAlpine, dass alle betroffenen Tweeter eine Spende an eine
       Wohltätigkeitsorganisation seiner Wahl entrichten und sich darüber hinaus
       bei ihm entschuldigen – auch solche, die ihre Tweets später löschten.
       Bisher haben sich aber nur 40 Twitterer entschuldigt, das heißt: Gegen die
       Mehrzahl der Betroffenen könnten Geldbußen und Gefängnisstrafen von bis zu
       sechs Monaten verhängt werden. McAlpines Anwalt Andrew Reid erklärte: „Das
       soll allen zeigen, dass Verurteilung durch Twitter und das Internet eine
       sehr boshafte Art und Weise ist, Menschen unnötig zu verletzen, die sie
       teuer zu stehen kommen kann.“
       
       ## Tägliche Diffamierung
       
       Der Fall McAlpine ist typisch für das englische Rechtssystem. Es vergeht
       fast kein Tag, an dem nicht unbescholtene Bürger in den Medien diffamiert
       werden. Vorreiter sind die dabei die Boulevardzeitungen, die frech Lügen
       verbreiten, schlicht und ergreifend, um die Auflage zu steigern. Meist
       suchen sich aber mittellose Durchschnittsbürger als Verleumdungsopfer aus,
       weil die nicht über ausreichende finanzielle Mittel für einen kostspieligen
       Rechsstreit verfügen.
       
       Bei einem einflussreichen und vermögenden Politiker sieht die Sache ganz
       anders aus. Wenn die Medien hier bei Verleumdungen ertappt werden,
       entschuldigen sie sich flugs und einigen sich auf außergerichtliche
       Schadensersatzzahlungen, weil jemand wie McAlpine den betroffenen Parteien
       ernsthaften finanziellen Schaden zufügen kann. Die von britischen Gerichten
       in solchen Fällen verhängten Geldbußen können in die Millionenhöhe gehen
       und haben schon Verlage in den Ruin getrieben.
       
       Voraussetzung ist natürlich, dass der Kläger über ausreichende finanzielle
       Mittel verfügt, um die horrenden Anwaltskosten so lange entrichten zu
       können, bis er den Prozess gewonnen hat. Dazu kommt, dass die Beweislast
       bei Verleumdungen in UK umgekehrt ist wie in Deutschland. In deutschen
       Landen muss man beweisen, dass jemand wissentlich Falsches verbreitet, im
       Inselkönigreich muss der Verbreiter das Verbreitete beweisen.
       
       Die Drohungen von McAlpine haben bereits erste Früchte getragen, denn der
       Guardian-Kolumnist Monbiot entschuldigte sich bereits mit den Worten „ich
       fühle mich schlechter über diese Sache als über alles andere, was ich
       jemals getan habe, aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was Sie
       aufgrund meiner Dummheit und Gedankenlosigkeit durchmachen mussten“.
       McAlpine-Anwalt Reid deutete aber bereits an, dass die Sache damit für
       Monbiot noch nicht ausgestanden sei und dass ihm vermutlich noch eine
       Schadensersatzzahlung drohe.
       
       23 Nov 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://twitter.com/search?q=Tory%20Paedophile&src=typd
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Heinz Diebel
       
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