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       # taz.de -- Kolumne Macht: Steinbrück ist die falsche Wahl
       
       > Peer Steinbrück ist SPD-Kanzlerkandidat. Denkt man. Aber wenn sich nun
       > die Basis zu Wort meldete?
       
       Egal wo Leute politisch stehen: Fast alle halten sich für mutig, glauben,
       sie seien zum unkonventionellen Denken bereit, und halten sich für gesegnet
       mit einem ausgeprägten Realitätssinn, der es ihnen erlaubt, zwischen dem
       Wünschenswerten und dem Möglichen zu unterscheiden. Ich bin da keine
       Ausnahme. Bitter, wenn man plötzlich erkennt, wie sehr man sich inzwischen
       auf ausgetretenen Pfaden bewegt.
       
       So ging es mir kürzlich auf einer Podiumsdiskussion des RBB. Dort hatte der
       Chefredakteur des Berliner Tagesspiegels, Lorenz Marold, nicht gerade zum
       Revoluzzertum neigend oder für Wolkenschiebereien bekannt, eine Urwahl des
       SPD-Kanzlerkandidaten gefordert. Und ich habe reflexhaft abgewunken und
       gesagt, das sei doch albern. Die Sache sei entschieden, dem SPD-Parteitag
       bliebe gar nichts anderes mehr übrig, als die Entscheidung des
       Hinterzimmers abzunicken. Was denn sonst? Wir redeten hier doch schließlich
       unter Erwachsenen.
       
       Wie brav und kleinmütig. Wenn man nicht einmal den Delegierten eines
       Parteitags zutraut, einen – offiziell noch gar nicht gefallenen – Beschluss
       zu korrigieren: Wie kann man dann überzeugend für irgendeine umfassende
       politische Veränderung eintreten, zum Beispiel für eine Reform des gesamten
       Banken-und Finanzsektors oder für eine Demokratisierung europäischer
       Institutionen? Es gibt ja durchaus noch formidablere Gegner als Sigmar
       Gabriel.
       
       ## Steinbrück ist die falsche Wahl
       
       Es ist auch nicht so, dass irgendjemand in der Diskussionsrunde die Kür von
       Peer Steinbrück für eine gelungene Idee gehalten hätte. Wir alle, die wir
       gemeinsam mit Marold auf dem Podium saßen – und in anderen Fragen sehr
       unterschiedliche Ansichten vertraten – , hatten vor seinem überraschenden
       Vorschlag etwa eine halbe Stunde damit zugebracht, Steinbrück gemeinsam zur
       falschen Wahl zu erklären.
       
       Weil er das große Wahlkampfthema der sozialen Gerechtigkeit nicht
       überzeugend vertreten kann, was übrigens nicht daran liegt, dass er für
       Vorträge üppige Honorare bekommt. Sondern an seinem bisherigen politischen
       Kurs. Der lässt einen auch daran zweifeln, dass man in den Vorstandsetagen
       der Banken seine Ernennung zum Kandidaten besonders beunruhigt zur Kenntnis
       genommen hätte.
       
       Erinnert sich jemand an die Verhandlungen über die Rettung der Münchner
       Hypo Real Estate? An der haben Banken mit Kreditzinsen gut verdient,
       während der Bund das Risiko mit Bürgschaften übernahm. Der damalige
       Finanzminister Peer Steinbrück hielt das seinerzeit für einen großen
       Verhandlungserfolg. Auf seine Vorschläge zur Bekämpfung der Krise im
       Euroraum darf man sich jetzt schon freuen. Vor allem als Sozialdemokrat an
       der Basis, der Plakate im Wahlkampf kleben soll.
       
       ## Wahlen abschaffen?
       
       Aber deswegen gleich eine Urwahl? In der SPD? Sofort kehrt die Erinnerung
       an Rudolf Scharping zurück, der 1993 durch eine Urwahl zum SPD-Vorsitzenden
       gekürt worden war, inzwischen Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer ist
       und zwischendurch – als Verteidigungsminister – mit seiner Freundin
       zusammen baden gegangen war. Geschenkt. Wenn man den Ausgang einer Wahl als
       Argument gegen den Vorgang einer Wahl ins Feld führt, gibt es gute Gründe,
       Wahlen schleunigst abzuschaffen.
       
       Auch der Einwand, außer Steinbrück sei ja inzwischen niemand mehr zur
       Kanzlerkandidatur bereit, sticht nicht. Zum einen könnte der
       Parteivorsitzende Sigmar Gabriel sich mit einem starken Votum der
       Delegierten im Rücken vielleicht doch von seinen Selbstzweifeln befreien.
       Zum anderen würde ein lauter Ruf der Basis der nordrhein-westfälischen
       Ministerpräsidentin Hannelore Kraft erlauben, von ihrer vormals sehr
       verständlichen Verweigerungshaltung abzurücken.
       
       Wer mit Stimmrecht am 9. Dezember zum Sonderparteitag der SPD in Hannover
       fährt und die Entscheidung für Peer Steinbrück für falsch hält, muss sich
       nur trauen, scheinbar Unumstößliches nicht mehr für unumstößlich zu halten.
       Das ist gar nicht so schwer. Ich weiß, wovon ich rede.
       
       23 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bettina Gaus
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