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       # taz.de -- Facebook nervt: Liked mich doch am Arsch!
       
       > Empfohlene Beiträge, viele Filter, kaum Selbstbestimmung: Es ist an der
       > Zeit, Facebook zu verlassen. Wenn da nicht eine wichtige Nichtnutzerin
       > wäre.
       
   IMG Bild: Gibt es eine Welt jenseits von Facebook. Ja, hier der Bildbeweis.
       
       BERLIN taz | Diesmal hat die „Candy Crush Saga“ ihren großen Auftritt:
       „GRATIS Spiel bei iphone/iPad --> Superspannend!“ steht in meinem Newsfeed
       auf meiner Facebook-Startseite.
       
       Sind wir befreundet? Schnell mal nachsehen. Nein. Bin ich ein Fan der
       Seite? Auch nicht. Wie kommt das dann in den Bereich, der meinen Freunden
       und Interessen vorbehalten sein soll? Ach so – „empfohlener Beitrag“ samt
       [1][Link zu irgendeinem App-Gelumpe], jemand hat Geld dafür ausgegeben, in
       meinem Newsfeed (und vielen anderen) sichtbar zu sein.
       
       Beiträge, auf die ich mich freue, muss ich dagegen mit der Lupe suchen,
       weil sie zwischen „empfohlenen Beiträgen“, den Posts von mir selbst
       favorisierten Freunden und dem Vielgefacebooke mancher Bekannter einfach
       untergehen. Fünf Minuten brauche ich, um [2][den neuen Cartoon] des New
       Yorker zu finden. Nach Updates italienischer Anarchisten und
       us-amerikanischer Linksradikaler suche ich heute vergeblich. Vielleicht,
       weil sie nichts geschrieben haben, vielleicht, weil ihre Beiträge von
       Facebooks [3][Filter Bubble] als nachrangig für meine Lesegewohnheiten
       eingestuft wurden. Mir fehlt gerade die Zeit, das zu überprüfen.
       
       Denn allein 14 Minuten hat es jetzt wieder gekostet, mich im
       Startseitenbereich meiner eigenen Facebookseite zurechtzufinden. 14
       Minuten, die mich mehr nerven, als dass sie mir einen Gewinn an Erkenntnis,
       Unterhaltung oder freundschaftlichem Austausch gebracht hätten. Facebook
       nervt. Es nervt, weil es meine Lebenszeit frisst und es nervt, weil es mich
       so davon abhält, andere Dinge zu tun. Daran bin ich selbst schuld. Niemand
       zwingt mich zu einem Facebook-Konto.
       
       ## 
       
       Mehr ärgert mich deswegen mein eigener Automatismus, Facebook als
       wesentlichen Bestandteil meines Nutzerverhaltens im Netz zu begreifen. Wir
       haben in den frühen nuller Jahren AOL doch nicht boykottiert, damit uns nun
       Facebook von all dem Schönen und Hässlichen fernhält, was das Netz sonst so
       zu bieten hat. Das AOL-Konzept, die Älteren unter uns werden sich
       vielleicht noch erinnern, sah vor, dass das Internet nichts ist und AOL
       alles.
       
       Jeder, der die Seite besuchte, sollte dort alles finden, was er oder sie im
       Internet so braucht: Mail, Infos, Shopping, Vernetzung, Chat, Wetter,
       Spiele usw. Es sollte, um es noch einmal anders zu sagen, für den geneigten
       Nutzer keinen Grund geben, etwas Anderes als aol.de oder aol.com in den
       Browser einzutippen.
       
       AOL ist Geschichte, aber Facebook lebt – samt Mail, Infos, Shopping,
       Vernetzung, Chat, Wetter, Spiele usw. Und wie: Nach eigenen Angaben hat das
       Netzwerk [4][mehr als eine Miliarde Nutzer] in aller Welt, darunter 20
       Millionen aktive Nutzer in Deutschland, von denen weit über die Hälfte
       jeden Tag mal auf Facebook vorbeischaut. [5][Mehr als sechs Stunden im
       Monat] verbringen US-Nutzer nach Angaben des Marktforschungsinstituts
       Nielsen im Netzwerk. Und Facebook wächst weiter.
       
       ## Gibt es ein Draußen?
       
       Seit Monaten denke ich immer wieder mal darüber nach, Facebook zu
       verlassen. „Empfohlene Beiträge“, die „Filter Bubble“, Fremdbestimmung,
       [6][Mängel beim Datenschutz], immer mehr Werbung: Es gibt viele Gründe.
       Aber gibt es ein „Draußen“?
       
       Eine Welt also, in der man auf die Annehmlichkeiten von Facebook – kleine
       Botschaften von Leuten, die ich kenne, die schnelle Kontaktaufnahme zu
       Bekannten, Einladungen zu Partys und Lesungen, Erinnerungen an Geburtstage
       – verzichten kann, ohne selbst mehr Aufwand zu haben? Das ist es, was
       Facebook so erfolgreich macht, es sind die vielen kleinen Anwendungen, die
       uns im Wust der ohnehin überbordenden Daten bei der täglichen Orientierung
       helfen.
       
       Also: Gibt es ein „Draußen“? Ja, meint [7][Christian Heller, Blogger,
       Netzkulturforscher und bekennender Nicht-Facebooker.] Er hat vor geraumer
       Zeit sein Profil gelöscht und vermisst das Netzwerk kaum – „höchstens bei
       ein paar Party-Einladungen“. Facebook ordne die Kommunikation der Nutzer
       den eigenen Netzwerkinteressen unter, betont er. Er habe alles gelöscht,
       als ihm klar geworden sei, dass seine Kommunikation von Facebook gesteuert
       und die eigene Filtersouveränität von Facebook kaputtgemacht worden sei.
       „Und momentan besteht für mich kein Grund zur Rückkehr.“
       
       Als „total befreiend“ bezeichnet [8][Julia Seeliger, taz-Kolumnistin und
       Bloggerin], die facebookfreie Welt. Auch sie hat das Netzwerk neulich aus
       freien Stücken verlassen. „Ich habe mich viele Stunden am Tag dort
       aufgehalten“, sagt sie, „und nur gespielt. Ich will aber nicht spielen,
       sondern leben!“ Facebook sei wie die Matrix, meint sie in Anspielung auf
       [9][die gleichnamige Filmtrilogie]. „Ich will aber nicht in die Matrix.“
       Klare Worte, die mich zudem beschämen: Auf der Suche nach den
       Telefonnummern der beiden wollte ich – Hirn aus, Facebook an – zuerst im
       Netzwerk selbst nachsehen.
       
       ## Nur ein paar Dollar
       
       Tina Kulow, Facebook-Sprecherin für Deutschland, kann diese Probleme nicht
       nachvollziehen: „Wir bekommen in dieser Richtung kein Feedback.“ Im
       Gegenteil sei es doch häufig sinnvoll, eigene Beiträge hervorzuheben“, etwa
       bei der Jobsuche. Für sechs Dollar habe sie selbst neulich erst einen
       Beitrag hervorgehoben, die [10][Aktion „Wir stehen auf“ von „Laut gegen
       Nazis e.V.“] Den Vorwurf, Beiträge zu filtern, kontert sie: Es bleibe auf
       Facebook immer „genug Raum für überraschende Dinge“, wie auch die
       [11][Website „Facebook Stories“] zeige.
       
       Eine Anti-Nazi-Aktion hervorzuheben, dagegen kann wohl außer ein paar Nazis
       kaum jemand was einwenden. Doch auch diese Haltung muss man sich erstmal
       leisten können. Die Realität besteht ohnehin viel mehr aus Beiträgen aus
       der „Candy-Crush-Saga“-Liga und anderen Werbeveranstaltungen. Das macht
       nichts. Werbung gehört zum Online-Geschäft, auch taz.de kommt da nicht
       drumrum.
       
       Nerviger ist, dass einem die Kontrolle übers eigene Profil teilweise
       abhanden kommt. Man bekommt eine Facebook-Mailadresse, die man nie gewollt
       hat, eine Chronik, die man so nie erstellt hätte, und soll, um im
       Mainstream nicht zu ersaufen, Listen erstellen und „Freunde“ sortieren.
       
       ## Verschwendete Zeit
       
       Das alles kostet Zeit, Zeit und noch mehr Zeit. Und diese investierte Zeit
       ist es dann auch, die einen davon abhält, das Profil einfach dichtzumachen.
       Dann wäre all die verschwendete Zeit noch einmal verschwendet. Aber gut, es
       gibt Schlimmeres als Verschwendung. Verschwendung ist immer auch ein
       Ausdruck von Großzügigkeit, einer sympathischen Einstellung zum Leben.
       
       Sie sehen: Auch beim Schreiben über Facebook geht es in meinem Kopf immer
       noch hin und her. Bleiben? Oder verlassen? Eine Entscheidung muss her: Ich
       werde bleiben, und das allein wegen meiner Mutter. Seit Jahren liegen ihr
       Nichten und Neffen in den Ohren, endlich auch zu facebooken. Irgendwann im
       Jahr 2011 ist sie dann heimlich, still und leise beigetreten. Ich war ganz
       baff, als mich plötzlich ihre „Freundschaftsanfrage“ erreichte.
       
       Baff und entsetzt: Würde ich künftig Facebook noch so nutzen können wie
       bisher? Müsste ich mir abfällige Kommentare über mein Heimatdorf nun
       verkneifen? Käme jetzt die Selbstzensur bzw. der Selbstfilter zum Einsatz?
       Ich gestehe: Genau an diesem Tag habe ich zum ersten Mal darüber
       nachgedacht, Facebook zu verlassen.
       
       Nichts davon ist passiert. Meine Mutter ist immer noch auf Facebook. Sie
       schreibt nichts, kommentiert nichts, hebt ganz selten mal den Daumen. Ich
       kann sie dort jetzt nicht einfach allein lassen – allein mit der „Filter
       Bubble“, der von ihr nicht genutzten Chronik und den Versprechen der „Candy
       Crush Saga“: „GRATIS Spiel bei iphone/iPad --> Superspannend!“ Mama spielt
       so gerne. Und Zeit hat sie auch.
       
       20 Nov 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://itunes.apple.com/app/candy-crush-saga/id553834731
   DIR [2] http://www.facebook.com/photo.php?fbid=10151129686733869
   DIR [3] /Sonntaz-Interview-mit-Eli-Pariser/!87459/
   DIR [4] http://newsroom.fb.com/News/457/One-Billion-People-on-Facebook
   DIR [5] http://marketingland.com/nielsen-facebook-users-spending-30-minutes-less-there-now-than-6-months-ago-26246
   DIR [6] /Datenschuetzer-bezwingt-Facebook/!102144/
   DIR [7] http://www.plomlompom.de/
   DIR [8] http://julia-seeliger.de/
   DIR [9] http://de.wikipedia.org/wiki/Matrix_(Film)#Handlung
   DIR [10] http://www.facebook.com/tinakulow/posts/305465182895493
   DIR [11] http://www.facebookstories.com/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Maik Söhler
       
       ## TAGS
       
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