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       # taz.de -- US-Republikaner zu Urheberrecht: Vorwärts mit Rolle rückwärts
       
       > Die Republikaner im US-Repräsentantenhaus veröffentlichen ein liberales
       > Papier zum Urheberrecht. Keine 24 Stunden später wird es zurückgezogen.
       
   IMG Bild: Nicht so leicht zu knacken: Die Mediengiganten Nordamerikas.
       
       BERLIN taz | Die Präsidentschaftswahl in den USA brachte es den
       Republikanern schmerzhaft in Erinnerung: Immer größer ist die ideologische
       Distanz zwischen der Partei und ganzen Wählergruppen – den jungen Wählern,
       den nicht weißen Wählern, den Wählerinnen. Nun haben die Republikaner zwei
       Jahre die Mehrheit im Repräsentantenhaus. Sie könnten sie dafür zu nutzen,
       mit progressiveren Gesetzesinitiativen einer jüngeren und offeneren
       Gesellschaft zu signalisieren, dass sie sich noch nicht komplett vom Puls
       der Zeit verabschiedet haben.
       
       Die Debatte um das Urheberrecht, die unbestritten neuer Impulse bedarf, ist
       dabei ein guter Ansatzpunkt. Spätestens als eine breite
       zivilgesellschaftliche Bewegung die Verabschiedung des [1][SOPA-Abkommens]
       nicht nur in den USA verhindern konnte, war für Politiker aller Seiten
       klar, dass mit Internetaktivisten ein politischer Player auf den Plan
       getreten ist, der ein zumindest punktuell hohes Mobilisierungspotential hat
       und somit kaum auf Dauer ignoriert werden kann.
       
       Ausgerechnet das Republican Study Committee (RSC) nun wollte am Wochenende
       in die avantgardistische Offensive gehen. Das RSC ist der Zusammenschluss
       konservativer Abgeordneter, der sonst mit alternativen Haushaltsentwürfen
       („weniger Staatsausgaben“), strategischen Papieren zu Abtreibungsrecht
       („weg damit“) und Waffenbesitz („mehr davon“) von sich reden macht.
       
       In einem Strategiepapier ([2][PDF]) zum bestehenden Urheberrecht fasst das
       RSC Thesen zusammen, die, ganz im Sinne der Datenpiraten, eine volle
       Breitseite auf die rückwärtsgewandte, repressive Copyright-Politik
       darstellt – eine wirtschaftsliberale Breitseite zwar, aber immerhin.
       
       ## Profitmaximierung statt Fortschritt
       
       Das Papier machte zügig die Runde durchs Netz und fand erstaunte und
       anerkennende [3][Reaktionen]. Die Argumentationslinien sind nicht neu, der
       Absender schon: So stellen die Republikaner fest, dass das bestehende
       Urheberrecht eben nicht den maximalen Fortschritt in Künsten und Technik
       befördere, sondern im Gegenteil mit seiner Konzentration auf die
       Profitmaximierung für die Rechteinhaber eher gegen den Fortschritt stünde.
       
       Insbesondere die Tatsache, dass das Verwertungsmonopol ein
       regierungsgestütztes sei und Strafzahlungen bei Rechteverletzungen
       erkennbar jeden Bezug zum real angerichteten Schaden vermissen lassen, wird
       vom RSC angeprangert. Die immer wieder rückwirkende Verlängerung von
       Schutzfristen sei außerdem in den USA nicht verfassungsgemäß, da dort nicht
       zufällig von einem zeitlich beschränkten Schutz die Rede sei, nicht von
       einer „ewigen“ Verlängerung.
       
       Die Folgen der verfehlten Urheberrechtspolitik seien schwere
       wirtschaftliche Schäden und eine massive Innovationsbremse im kulturellen
       und wissenschaftlichen Bereich. Als Beispiel wird unter anderem die
       halblegale Remix-Kultur in der Musik angeführt, die nach Ansicht der
       Republikaner wegen der juristischen Lage weit hinter ihren
       (wirtschaftlichen) Möglichkeiten zurück bliebe.
       
       Als Lösungsvorschläge werden Ideen aufgegriffen, die zum Beispiel in
       Deutschland nur an den Rändern professioneller Politik ernsthaft debattiert
       werden. Eine starke Ausdehnung des Fair-Use-Konzeptes ist darunter, eine
       realitätsnähere Höhe von Strafzahlungen bei eindeutigen
       Urheberrechtsverletzungen, aber auch die harte Bestrafung falscher
       Anschuldigungen von Rechteverletzungen und nicht zuletzt die starke
       Verkürzung der Schutzfristen.
       
       Keine 24 Stunden nach der Veröffentlichung dieses überraschend liberalen
       Thesenpapiers erhielten die Medienunternehmen die darüber berichteten, eine
       freundliche E-Mail des Geschäftsführers des RSC, Paul S. Teller. Darin
       entschuldigt er sich höflich für die voreilige Veröffentlichung der
       Stellungnahme. Die Argumente seien nicht hinreichend geprüft und das ganze
       entspreche deshalb nicht den Qualitätsstandards des RSC.
       
       Eine ironische Fußnote hierbei ist die Tatsache, dass vor genau zwei Jahren
       ein Papier die Qualitätskontrolle des Komitee passierte, in dem Kürzungen
       in Höhe von 25 Milliarden Dollar für ein Programm gefordert wurde, [4][das
       längst ausgelaufen war].
       
       ## Wütende Mails der Verwertungsindustrie?
       
       Die Vermutung, dass die nachträgliche Qualitätskontrolle im Falle des
       Urheberrechts wohl eher ein paar wütende Mails von Vertretern der
       Verwertungsindustrie waren, liegt nahe. Kämpfen die doch gerade mit den
       Ergebnissen zweier Studien, die ihre Positionen in eher ungünstigem Licht
       erscheinen lassen. Das Dumme dabei: [5][Eine der Studien] ist von der
       Musikindustrie selber in Auftrag gegeben worden.
       
       Nein, einen weiteren Kampfschauplatz will sich jener Zweig der kreativen
       Kette, der wesentlich von langen Schutzfristen und hohen Strafen für
       Rechteverletzungen profitiert, nicht leisten, gerade nicht bei den
       eigentlich verbündeten Republikanern.
       
       Nichtsdestotrotz: Das Papier ist draußen in der weiten Netzwelt und dürfte
       unabhängig davon, ob es noch zur parteiamtlichen Verlautbarung der
       Republikaner wird, ein kleiner Puzzlestein auf dem Weg zur liberaleren und
       in breiteren Bevölkerungsschichten wählbareren Alternative zu den
       Demokraten sein. Das Publikum darf sich als nächstes vielleicht auf "nicht
       authorisierte" Stellungnahmen zu Homoehe, Waffenrecht und Einwanderung
       freuen, die als Testballons neue Wähleransprache ausprobieren.
       
       18 Nov 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kommentar-SOPA/!86132/
   DIR [2] http://rsc.jordan.house.gov/uploadedfiles/rsc_policy_brief_--_three_myths_about_copyright_law_and_where_to_start_to_fix_it_--_november_16_2012.pdf
   DIR [3] http://boingboing.net/2012/11/17/house-republicans-release-wate.html
   DIR [4] http://www.nytimes.com/2010/11/10/us/politics/p10spending.html?_r=2&src=tptw
   DIR [5] http://torrentfreak.com/riaa-pirates-are-bigger-music-fans-than-average-consumers-121113/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniél Kretschmar
       
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