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       # taz.de -- Aus der Quoten-taz: Der weibliche Blick auf den Krieg
       
       > Viele Kriegsreporterinnen erliegen dem Reiz der Kalaschnikows genauso wie
       > ihre Kollegen. Dabei wären sie da wichtig, wo Männer keinen Zutritt
       > haben.
       
   IMG Bild: Marie Colvin auf dem Tahrirplatz in Kairo. Die Kriegsreporterin starb im Februar 2012 bei einem Artillerieangriff in der syrischen Stadt Homs.
       
       Das ist ja mal was ganz Neues: Es herrscht Krieg – und die Frauen berichten
       darüber. Den Eindruck mussten jedenfalls englischsprachige Fernsehzuschauer
       haben, als im August 2011 Rebellen in die libysche Hauptstadt Tripolis
       einrückten. Egal, ob sie durch CNN, Sky Channel oder Al Jazeera English
       zappten – live vom Grünen Platz meldeten sich Korrespondentinnen. „Na
       und?“, fragte später Zeina Khodr von Al Jazeera und wunderte sich, warum
       westliche Medien so viel Aufhebens machten.
       
       Nun ja, vielleicht, weil das weibliche TV-Trio vom Grünen Platz keineswegs
       selbstverständlich ist. Krisen- und Sportjournalismus galten und gelten als
       männliche Bastionen – wobei die Kolleginnen vom Sport nach meiner
       Beobachtung mehr zu kämpfen haben als die Kriegs- und Krisenreporterinnen.
       Letztere sind jedenfalls schon viel länger bei der Sache.
       
       „War seen through a woman’s eyes“ lautete die Titelzeile eine Reportage aus
       dem griechisch-türkischen Krieg, erschienen 1897 im New York Journal,
       geschrieben von Cora Stewart Taylor, einer der ersten Kriegsreporterinnen –
       und wohl die Einzige, die nach ihrer journalistischen Laufbahn auf den
       Beruf der Bordellbesitzerin umsattelte.
       
       ## Allerlei sexistischer Unsinn
       
       Ihren Nachfolgerinnen haftete auch ohne illustren Lebenslauf das Etikett
       der schrulligen Exotin an. Schlimmer wäre es gewesen, als Feministin zu
       gelten – obwohl den Reporterinnen allerlei sexistischer Unsinn vorgehalten
       wurde: geschlechtsbedingte Unfähigkeit zu korrekter Grammatik (so
       formuliert im ersten Ratgeber „Journalism for Women“ aus dem Jahr 1898),
       mangelnde körperliche und mentale Eignung, Neigung zu Panik (besonders in
       Hörweite von Gewehrfeuer), zu gutes Aussehen, zu schlechtes Aussehen,
       Egoismus (weil eine Journalistin mit Kindern angeblich nichts in einem
       Krisengebiet verloren hat – im Gegensatz zu einem Journalisten mit
       Kindern). Nicht zu vergessen das beliebte Argument, Krisenberichterstattung
       sei für Frauen zu gefährlich.
       
       Die Sache mit der Grammatik ist inzwischen aus der Welt, die anderen
       Klischees halten sich hartnäckig. Erinnert sei an den Appell der
       französischen Sektion von „Reporter ohne Grenzen“, Kolleginnen aus Ägypten
       abzuziehen, nachdem es am Tahrirplatz zu üblen sexuellen Übergriffen auf
       ausländische Korrespondentinnen gekommen war. Gut gemeint – und trotzdem
       daneben. Schließlich fordert auch niemand, keine Journalisten mehr nach
       Syrien oder in den Kongo zu schicken, weil es zu gefährlich ist.
       
       Korrespondentinnen berichten weiter aus Ägypten, manche fahren nach Syrien,
       andere bleiben im Irak oder recherchieren in Somalia. Wie männliche
       Kollegen eben auch. Das vorläufige Fazit ist ein banales: Frauen können
       Krisenberichterstattung genau so gut. Und genau so schlecht. Sie können
       eindringliche Bildreportagen aus dem Irak und Afghanistan liefern und
       brillante Reportagen über Korruption und Staatskollaps schreiben.
       
       ## Frauen prahlen wie Männer an der Hotelbar
       
       Sie können ebenso machohaft wie männliche Kollegen an der Hotelbar damit
       prahlen, wie „fuckin’ amazing“ es damals mit den Amerikanern in
       Falludschaoder nach dem Erdbeben auf Haiti war. Und sie sind im
       Zweifelsfall genauso auf Waffen fixiert wie ihre Kollegen. Kalaschnikows
       üben auf Journalisten beiderlei Geschlechts eine starke Faszination aus.
       
       Ich habe es an mir und vielen Fotografinnen feststellen können: Bewaffnete
       Männer (und Frauen) finden wir interessanter als unbewaffnete. Warum? Weil
       ReporterInnen in Krisengebieten auf Drama, Zuspitzung und auf „das
       Gefährliche“ konditioniert sind. Und weil es nicht so einfach ist, sich
       diese Konditionierung wieder abzutrainieren.
       
       Gibt es ihn denn überhaupt, den „weiblichen Blick auf den Krieg“? Ja. Er
       hat bloß weniger mit Geschlechtszugehörigkeit zu tun als mit sozialer
       Konstruktion des Männlichen und Weiblichen. In „War seen through a woman’s
       eyes“ berichtete Cora Stewart Taylor, wie verwundete griechische
       Freiwillige einem erbärmlichen Tod überlassen wurden. Eine Frau konnte das
       aufschreiben. Einem Mann wäre das als Weinerlichkeit ausgelegt worden.
       
       ## „Feminin“ und „maskulin“ sind immer relativ
       
       Vierzig Jahre später verfasste die Amerikanerin Martha Gellhorn leise, aber
       erschütternde Artikel aus dem Spanischen Bürgerkrieg – ein starker Kontrast
       zu den testosterongeschwängerten Reportagen ihres Ehemannes Ernest
       Hemingway. Gelobt wurde sie allerdings für ihren „antifemininen“ Stil, der
       frei von „hemmungslosem Mitleid“ und Übertreibungen sei. „Feminin“ und
       „maskulin“ sind immer relativ.
       
       Über ein halbes Jahrhundert später, im Bosnienkrieg, war der „weibliche
       Blick“ dann nicht mehr ungewöhnlich. Er bestimmte zu einem erheblichen Teil
       die internationale Wahrnehmung dieses Krieges: Frauen wurden sehr konkret
       als Opfer von Massenvergewaltigungen beschrieben. Womöglich würden diese
       Verbrechen heute nicht vor internationalen Tribunalen verhandelt, wären
       damals nicht deutlich mehr Reporterinnen vor Ort gewesen als in vorherigen
       Kriegen. Nicht weil Männer das Thema ignorierten, sondern weil die
       vergewaltigten Frauen oft nur mit anderen Frauen darüber reden wollten.
       
       ## Leichterer Zugang zu beiden Geschlechtern
       
       Zum ersten Mal kam für Reporterinnen ein biologischer Vorteil ins Spiel:
       Wir haben in Kriegs- und Krisengebieten leichteren, oft viel leichteren
       Zugang zu beiden Geschlechtern. Nicht nur in Bosnien. In Afghanistan mögen
       sich die Hierarchien weigern, mir die Hand zu geben. Aber mir hat noch
       keiner ein Interview verweigert, weil ich eine Frau bin. Anders als meine
       männlichen Kollegen kann ich aber auch ohne Weiteres mit Afghaninnen reden,
       ohne einen Aufruhr zu provozieren.
       
       Haben wir Berichterstatterinnen aus diesem Vorteil etwas gemacht?
       Jedenfalls nicht genug. Frauen in Kriegs- und Krisenländern kommen in
       unseren Berichten heute prominenter vor als noch vor zehn oder zwanzig
       Jahren. Aber sie erscheinen überwiegend in der Rolle der wehrlosen Opfer –
       im Zweifelsfall zu retten durch ausländische Helfer. Männer wiederum
       tauchen als böse oder gute Soldaten oder als böse oder gute Rebellen auf.
       Hauptsache: Kalaschnikow.
       
       ## Anders wäre, im größten Irrsinn den Alltag zu sehen
       
       Mit der Wirklichkeit in den betreffenden Gesellschaften hat das wenig zu
       tun. Die Kunst besteht darin, auch im größten Irrsinn den Alltag zu sehen
       und zu beschreiben. Wer nur nahe genug rangeht, entdeckt, dass in
       Afghanistan Familienstrukturen nicht einfach nach dem „Männer unterdrücken
       Frauen“-Schema funktionieren, sondern sehr viel komplizierter sind. Oder
       dass im Kongo die übergroße Mehrheit der Männer eben kein Gewehr in die
       Hand nehmen will, um sich das Geld zum Überleben mit Gewalt zu holen.
       
       Ist das ein „weiblicher Blick“? Es ist eher ein stiller, präziser,
       geduldiger Blick, der oft mehr fragt, als er beantworten kann. Das ist
       womöglich ganz heilsam in Zeiten, in denen nicht nur Militärs, sondern
       inzwischen auch Hilfsorganisationen JournalistInnen „embedden“.
       
       Gut: Er strengt auch an, dieser Blick, die AutorInnen ebenso wie das
       Publikum. Aber diese Zeit und diesen Raum sollten wir uns geben.
       
       17 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andrea Böhm
       
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