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       # taz.de -- Buch von Hessel und Dalai Lama: Gelbmütze trifft Empörten
       
       > Der Dalai Lama und Stéphane Hessel haben gemeinsam ein Buch geschrieben.
       > Das Ergebnis? 72 Seiten, die zwei erschreckend selbstverliebte Männer
       > entlarven.
       
   IMG Bild: Frieden kommt, wenn man ihn herbeiwünscht. Das glauben jedenfalls der Dalai Lama und Stéphane Hessel.
       
       Treffen sich zwei alte Männer. Männer mit Geschichte. Männer, die verfolgt
       wurden. Männer, die einiges zu erzählen hätten. Doch sie haben sich
       überhaupt nichts zu sagen.
       
       Der eine der beiden ist Tendzin Gyatsho, der Welt bekannt als 14. Dalai
       Lama, 1935 geboren, bis 2011 Oberhaupt der tibetischen Exilregierung,
       geistliches Oberhaupt der Gelbmützen-Schule des tibetischen Buddhismus,
       ausgezeichnet mit dem Friedensnobelpreis.
       
       Der andere ist Stéphane Hessel, 1917 geboren, der sich im Mai 1941 der
       französischen Résistance angeschlossen hatte, der die Haft in den
       Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora überlebte, der 1948 als
       Sekretär der neu geschaffenen UN-Menschenrechtskommission an der
       „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ mitwirkte und vor zwei Jahren
       schließlich mit seinem Büchlein „Empört Euch!“ zu einem vielgefragten
       Bestsellerautor aufstieg.
       
       ## „Wir erklären den Frieden!“
       
       Nun also hat Hessel den Glaubensmann, den er als seine „liebste Heiligkeit“
       vorstellt, vor ein paar Monaten zu einem Dialog getroffen, die Abschrift
       des Gesprächs erschien – wie zurzeit fast jede Äußerung von Hessel –
       sogleich in Frankreich als Buch und ist nun unter dem anmaßenden Titel „Wir
       erklären den Frieden!“ auch in deutscher Übersetzung auf den Markt geworfen
       worden.
       
       Die Herausgeber und Tibetaktivisten Sylvie Crossman und Jean-Pierre Barou,
       deren Vorwort nahezu 10 Prozent des gerade mal 72 Seiten starken Buches
       umfasst, machen gleich klar, was sie verstehen – das Gespräch diene dazu,
       zu verdeutlichen, „dass der kulturelle Genozid, den die chinesische
       Regierung am tibetischen Volk begeht, tatsächlich ein Genozid am
       grundlegendsten, universellsten Gut des Menschen ist, nämlich am Geist“.
       
       So sehr die Bewohner Tibets auch unter der Unterdrückung ihrer Religion
       durch die säkularen Chinesen leiden mögen – die Verwendung des Wortes
       „Genozid“ in diesem Zusammenhang ist eine Frechheit.
       
       ## Schön unverbindlich bleiben
       
       Auf eine reine Chinesenbeschimpfung lassen sich aber weder der Mönch noch
       der Diplomat wirklich festlegen, ihnen geht es um anderes als um Tibet,
       auch wenn die Herausgeber das Gespräch immer wieder darauf zurückführen
       wollen. Zudem muss der Dalai Lama fürchten, dass die chinesische Regierung
       jede Äußerung über Tibet gegen ihn verwendet. Lieber bleiben die beiden
       Herren, die sich ihrer Geistigkeit so selbstgewiss sind, ganz unverbindlich
       und versichern sich wieder und wieder ihrer gegenseitigen Ehrerbietung.
       
       Dabei sind sich die Herren nicht immer einig. Der Dalai Lama etwa begreift
       die Menschenrechte als vom Westen geprägt, während Hessel, der darauf
       hinweist, dass an der Abfassung der Erklärung Menschen aus allen
       Kontinenten beteiligt waren, den universellen Anspruch der Erklärung
       verteidigt.
       
       Doch als der Dalai Lama die Selbstverbrennungen tibetischer Mönche nicht
       verurteilt, greift Hessel nicht ein. Dabei ist es offenkundig, dass jene,
       die sich im Namen des Protests gegen den „kulturellen Genozid“ auf so
       drastische Art selbst entleiben, dazu von der tibetischen Exilregierung
       angestachelt werden. Doch die Wirkung von Ideologie ist beiden Herren
       piepegal.
       
       Lieber parlieren sie über Gewaltlosigkeit, die den Kampf für Gerechtigkeit
       und Frieden prägen müsse. Der Geistliche bringt dabei eine Buddha-Anekdote,
       derzufolge Gewalt gerechtfertigt sein könne, wenn sie schlimmere Gewalt
       verhindere. Hessel hingegen, der in der Résistance gegen die Nazis kämpfte,
       erklärt nun jegliche Gewaltanwendung in jeder Situation für falsch.
       
       ## „Weisen-Komitee“ für den Weltfrieden
       
       Schließlich lösen die beiden Plattitüdenakrobaten sogar ein, was der
       Buchtitel verspricht – sie erklären, wie der Weltfrieden entstehen könne.
       Nämlich mithilfe eines „Weisen-Komitees“, dass der Generalsekretär der
       Vereinen Nationen einberufen solle. In diesem wären etwa „Weise wie
       Gorbatschow, die keine Machtposition mehr bekleiden“, oder Bischof Tutu
       vertreten, aber auch Frauen.
       
       Frauen sind für die beiden Männer nämlich nur Garanten für emotionale
       Intelligenz. Welche Wertschätzung sie dieser entgegenbringen, wird allein
       schon dadurch deutlich, dass ihnen im Gespräch keine einzige „Weise“
       einfällt, die dem Komitee ebenfalls angehören könnte. Dieses Komitee der
       Politrentner und gefühlvollen Omis sollte alsdann die UN und die in ihr
       vertretenen Staaten dahingehend beeinflussen, dass sie sich alle die Hand
       reichen und en passant die Ungerechtigkeit abschaffen. Frieden kommt
       nämlich, wenn man ihn herbeiwünscht.
       
       Wie konkrete Politik bei den Herren aussieht, skizziert der Gottesmann
       anhand der aktuellen Krisenproteste: „Nehmen wir einmal die Streiks, die
       Unruhen in Griechenland und anderswo – vielleicht wären sie nicht
       aufgetreten, wenn man die strengen Sparauflagen behutsam, schrittweise
       eingeführt und nicht mit einem Schlag brutal durchgesetzt hätte. Für mich
       zeigt sich hier ein Mangel an ganzheitlicher Perspektive.“
       
       Dass der Dalai Lama glaubt, „behutsam eingeführte“ – jedoch gleichbleibende
       – Sparauflagen hätten die griechischen Protestierer vor ihrer Armut
       bewahrt, zeigt einen Mangel an ökonomischem Verständnis. Der alte Herr
       Hessel nickt nur dazu. Jaja, alles ist ja irgendwie Geist und eine Handvoll
       Weltweisen werden’s schon richten. Wenn man nur auf sie hören würde!
       
       ## Kleine Büchlein voller Gemeinplätze
       
       Nun mag man es den beiden nicht verdenken, wenn sie sich auf ihre alten
       Tage hofieren lassen wollen. Erschreckend ist jedoch, welch großen Erfolg
       die kleinen Büchlein voller Gemeinplätze haben, die alte Herren wie Hessel
       derzeit zu Stars machen. Dass man sich über den Zustand der Welt empören
       soll, dass man Frieden will, dass alle sich lieb haben sollen, dass niemand
       darben soll – wer will das nicht?
       
       Die alten Männer, die mit ein paar Glaubenssätzen um sich werfen und qua
       Alter und früherer Taten moralische Autorität beanspruchen, werden für
       genau diese Rolle geliebt, ihre Funktion ist wichtiger als ihre Aussagen.
       Das die ins Altenheim verfrachtete Großmutter vielleicht mit gleicher
       Nachdrücklichkeit das Gleiche sagen könnte, ist der Kundschaft solcher
       Erbaulichkeitsliteratur völlig schnurz.
       
       Die Hessel-Fans sind begeistert von dem Erfolg, den sie dem alten Mann
       selbst eingebracht haben, also letztlich von sich selbst. Doch erst dieser
       Erfolg macht Hessels Aussagen in ihren Augen unhinterfragbar. Dass sie
       sich, während sie Sätzen zujubeln, die in weiten Teilen auch der Papst, der
       russische Präsident Putin und die chinesische KP unterschreiben könnten,
       dabei für besonders zeitkritisch halten, ist das eigentlich Empörende an
       dieser Chose.
       
       ## Stéphane Hessel, Dalai Lama: "Wir erklären den Frieden!" Ullstein
       Verlag, Berlin 2012, 72 Seiten, 9,99 Euro
       
       17 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jörg Sundermeier
       
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