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       # taz.de -- Kolumne Fernsehen: Möpse und Mittelalter
       
       > Vergewaltigung, Folter, Peitschen – Sat.1 holte für die „Wanderhure“
       > alles aus dem SM-Keller. Doch es reichte nicht. Zum Glück.
       
   IMG Bild: Hat 3 Millionen Freunde weniger: Die Wanderhure.
       
       Danke, liebes Publikum! Du hast am Dienstagabend große Weisheit bewiesen,
       indem du nicht Sat.1 eingeschaltet hast. Zugegeben, der Logik folgend
       beweist das Publikum nahezu allabendlich große Weisheit. Aber am
       vergangenen Dienstag war es besonders wichtig: Denn da stiefelte die
       „Wanderhure“ Alexandra Neldel ein drittes Mal durchs Mittelalter.
       
       Über den ersten Teil („Die Wanderhure“) im Jahr 2010 schrieb der
       österreichische Kurier: „Oscar-reif muteten lediglich die Ziegen an, die
       den Leiterwagen (…) der Nutten zogen.“ Das trifft es ziemlich gut. Trotzdem
       schauten knapp zehn Millionen Menschen zu. Marktanteil: 31 Prozent! Das
       brannte sich tief ein ins Gedächtnis der Sat.1-Zuschauer-Folterknechte.
       
       Also folgte Anfang 2012 die Fortsetzung mit dem griffigen Titel „Die Rache
       der Wanderhure“. Das Urteil: „Diese schlimme
       Schwert-und-Schwachsinn-Scharade war ein besonders dreister Fall von
       vorsätzlich versuchter Publikumsverblödung.“ Und das schrieb nicht etwa
       eines dieser hochnäsigen Bildungsbürger-Blätter! Nein, die Berliner
       Boulevardzeitung B.Z. drosch auf den zweiten „Wanderhure“-Teil ein. Sogar
       die fanden den scheiße! Trotz Titten!
       
       Doch den Zuschauer schienen auch eindringlichste Warnungen nicht abhalten
       zu können. Die einfache Rezeptur – Möpse und Mittelalter – reichte erneut
       für die Sat.1-Verantwortlichen: Rund acht Millionen Menschen schauten zu.
       Marktanteil: 25 Prozent! Die Produzenten bekamen gar den Bayerischen
       Fernsehpreis. Sie hätten Gespür für das gezeigt, „was die Wanderhure für
       ihr Publikum auszeichnet, das nach den Romanen auch von deren Verfilmung in
       eine andere Welt entführt werden will“, begründete die Jury.
       
       So viel Zuschauerzuspruch, so viel Lob, so viel Erfolg, das waren die
       Sat.1-Granden gar nicht mehr gewohnt. Das stieg zu Kopf. Klar war nur noch:
       Das muss ausgeschlachtet werden – und wenn es das Letzte ist, was wir in
       unserem Leben tun!
       
       Am Dienstag stand demnach viel auf dem Spiel. Sollte „Das Vermächtnis der
       Wanderhure“ tatsächlich an die Quotenerfolge der Vorgänger anknüpfen, hätte
       das einen vierten oder gar fünften Teil bedeutet. Gott steh uns bei! Und
       Sat.1 hatte bei der Promo wieder alles versucht: Der Sender stellte mit
       Neldel und Julie Engelbrecht die jungen Darstellerinnen nach vorn, ließ
       Neldel über ihre Angst vor dem Kerker plaudern, in dem sie als Dirne gar
       eine Niederkunft erwartete (in Ketten!), und machte keinen Hehl daraus,
       worum es auch diesmal gehen würde: Titten! Titten im Mittelalter!
       
       Doch viele Menschen scheinen vom Fluch der Wanderhure kuriert zu sein. Nur
       noch 5,5 Millionen ließen sich von der plumpen Geschichte bannen (die so
       dumm ist, das jedes Wort darüber zu viel wäre). Natürlich, das sind noch
       immer viel zu viele Betroffene. Doch die schnelle Heilung von drei
       Millionen könnte gereicht haben, um die Angst der Programmmacher vor einem
       weiteren Absturz bei gleich bleibend hohen Kosten für eine vierte
       Produktion zu schüren.
       
       Der tiefe Fall der Wanderhure ist schon jetzt einer der größten
       Quotenerfolge des Jahres: fürs Publikum.
       
       15 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürn Kruse
       
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