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       # taz.de -- Generalstreik in Europa: Schwierige Solidarität
       
       > Strikte Sparpolitik muss bekämpft und höhere Löhne erreicht werden, sagen
       > Europas Arbeitnehmervertretungen. Nur wie das gehen soll, sehen sie
       > unterschiedlich.
       
   IMG Bild: Mitarbeiter der Müllabfuhr legten in Barcelona die Arbeit nieder.
       
       BRÜSSEL taz | Ein paar Flugzeuge blieben am Boden, ein paar Züge fuhren
       nicht, dazu gab’s ein paar salbungsvolle Worte von ein paar Funktionären –
       das war, abgesehen vom 24-stündigen Streik der belgischen Eisenbahner, der
       ganze Beitrag der Gewerkschafter aus dem reichen Norden der Europäischen
       Union am gestrigen „Solidaritätstag“ mit dem krisengeschüttelten EU-Süden.
       
       Dabei hatten sich die Arbeitnehmervertretungen in Portugal, Spanien,
       Italien und Griechenland gerade von den deutschen Gewerkschaften weit mehr
       Unterstützung gewünscht. „Die Kollegen erwarten deutliche Zeichen,
       symbolische Aktionen“, so Claudia Menne vom Europäischen Gewerkschaftsbund
       ETUC im Vorfeld des Aktionstags.
       
       Die Europa-Gewerkschafterin weiß, wovon sie spricht. Menne sitzt jedes Mal
       dabei, wenn Arbeitnehmervertreter aus den 27 EU-Ländern über gemeinsame
       Strategien beraten. Sie erinnert daran, dass bereits im März schon einmal
       EU-weit gestreikt und vor dem Gebäude des Europäischen Rats protestiert
       wurde – und sich die deutschen Gewerkschaften zurückhielten.
       
       Auch beim gestrigen zweiten Versuch einer europaweiten Protestaktion wurde
       nichts aus den Kundgebungen in mehreren großen deutschen Städten und der
       Demonstration in Berlin, die der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB
       ursprünglich angedacht hatte.
       
       ## Angela Merkel irrt sich
       
       „Es gibt eben keine persönliche Betroffenheit“, erklärte der DGB-Vertreter
       in Brüssel, Stefan Gran, „da ist es schwierig, die Leute hier in
       Deutschland auf die Straße zu bringen.“ Eben das verärgert die
       Gewerkschafter in anderen EU-Staaten. In Belgien, wo sich immerhin die
       Eisenbahner solidarisch zeigten, hält man nicht viel vom Reformkurs des
       Nachbarlandes.
       
       „Ich würde Angela Merkel gerne sagen, wie sehr sie sich irrt mit ihren
       Sparmaßnahmen. Sie gefährdet damit ganz Europa. Für uns ist Deutschland
       kein Vorbild“, so der Generalsekretär der christlichen Gewerkschaft CSC,
       Claude Rodin. Er wünscht sich mehr Widerspruch von den deutschen
       KollegInnen.
       
       Solche Konflikte muss der ETUC ständig aushalten. Auch die aktuellen Pläne
       des Automobilherstellers Ford, sein Werk im belgischen Genk zu schließen
       und dafür die Produktion in Spanien zu verstärken, ist ein Beispiel dafür.
       „Das wird eine Zerreißprobe für die Gewerkschaften“, meint Menne. Wichtig
       sei, dass mittlerweile immerhin eine Delegation der deutschen IG Metall in
       Genk gewesen sei.
       
       Grundsätzlich ziehen Europas Gewerkschaften durchaus an einem Strang: Sie
       sind gegen die strikte Sparpolitik und für höhere Löhne. Aber wie genau all
       das erreicht werden soll, wird durchaus unterschiedlich gesehen. In
       Skandinavien etwa gebe es Bereitschaft zur Lohnzurückhaltung im Austausch
       für Garantien für ältere Arbeitnehmer, erklärt Menne. In anderen Ländern
       gehe es dagegen weiterhin vor allem um höhere Löhne.
       
       ## Skandinavien ohne Streikrecht
       
       Das hat auch historische und kulturelle Gründe. In südlichen EU-Ländern wie
       Griechenland, Italien oder Spanien ist Streik eine politische
       Ausdrucksform. In Skandinavien dagegen gebe es kein verbrieftes
       Streikrecht. Dementsprechend skeptisch stehen die dortigen Gewerkschaften
       einem Arbeitsausstand gegenüber. „Sie haben hier in Brüssel klar gesagt,
       dass sie nicht mitmachen, weil sie sonst hohe Konventionalstrafen zahlen
       müssten“, so Claudia Menne.
       
       Der gestrige Aktionstag war also von Anfang an ein großer Kompromiss der
       EU-Gewerkschaften. Es war absehbar, dass die KollegInnen im Süden dem
       Streikaufruf komplett folgen würden, während in anderen Ländern nur
       bestimmte Sektoren mitziehen.
       
       Die französischen Gewerkschaften organisierten rund hundert
       Solidaritätsdemonstrationen in verschiedenen Städten. In mehreren
       osteuropäischen EU-Ländern taten Arbeiter und Angestellte ihre Solidarität
       mit den KollegInnen im Süden zum Beispiel durch sogenannte aktive Pausen
       kund. Aus den skandinavischen Ländern kamen lediglich Grußbotschaften.
       
       14 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ruth Reichstein
       
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