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       # taz.de -- Strafgerichtshof in Den Haag: Spart sich die Welt ihr Gericht?
       
       > Die Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs beraten die
       > Zukunft des Den Haager Tribunals. Viele neue Fälle stehen an, aber die
       > alten stauen sich.
       
   IMG Bild: Zu wenig zu tun hat der Strafgerichtshof in Den Haag jedenfalls nicht.
       
       BRÜSSEL taz | Zehn Jahre nach Gründung des Internationalen
       Strafgerichtshofs (IStGH) geraten immer mehr Länder ins Visier der in Den
       Haag basierten internationalen Justiz, aber die Ressourcen des IStGH
       bleiben gleich. Über diese Quadratur des Kreises beraten vom 14. bis 22.
       November Delegierte der 121 Mitgliedstaaten des Rom-Statuts, das dem
       Gerichtshof zugrundeliegt.
       
       Im Jahr 2012 hatte der IStGH ein Budget von 108,8 Millionen Euro. Für 2013
       verlangt er 118,4 Millionen, eine Erhöhung von 8,82 Prozent. Sechs der
       größten Beitragszahler, auch Deutschland, wollen dem IStGH ein
       „Nullwachstum“ aufzwingen.
       
       Bislang arbeitet der IStGH an Fällen in sieben Ländern: Demokratische
       Republik Kongo, Elfenbeinküste, Kenia, Libyen, Sudan Uganda und
       Zentralafrikanische Republik. Acht weitere stehen derzeit auf der Liste der
       Anklagebehörde, sagt ihr Sprecher Fadi el Abdallah: Afghanistan, Georgien,
       Guinea, Honduras, Kolumbien, Mali, Nigeria und Nordkorea. Derzeit werden in
       diesen acht Ländern Voruntersuchungen geführt, an deren Ende entschieden
       wird, ob Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
       Kriegsverbrechen eröffnet werden.
       
       In manchen Ländern ist das schon relativ konkret, so in Mali. Den
       Islamisten im Norden des Landes wird die summarische Hinrichtung von
       Regierungstruppen vorgeworfen, außerdem Vergewaltigungen, Massaker,
       Rekrutierung von Kindersoldaten, Folter, Plünderung, Verschwindenlassen und
       Zerstörung. Letzteres bezieht sich unter anderem auf zerstörte religiöse
       Stätten in Timbuktu.
       
       ## Untersuchungen gegen Boko Haram
       
       Konkrete Voruntersuchungen laufen auch in Nigeria, wo die islamistische
       Untergrundsekte Boko Haram nach eigenen Angaben seit Mitte 2009 über 1.000
       Menschen getötet hat. Anders als im Falle Mali hat in Nigeria nicht die
       dortige Regierung den Gerichtshof angerufen, sondern umgekehrt. Die neue
       IStGH-Chefanklägerin Fatou Bensouda aus Gambia hatte im Juli kurz nach
       ihrem Amtsantritt Nigeria besucht und Präsident Goodluck Jonathan gebeten,
       Untersuchungen einzuleiten. Die Angriffe von Boko Haram, sagte sie, „können
       Terrorangriffe genannt werden, aber auch Verbrechen gegen die
       Menschlichkeit“. Der Gerichtshof werde aber nicht tätig, wenn Nigerias
       Justiz selbst aktiv werde.
       
       So geht es in Nigeria jetzt zunächst um eine Prüfung der Kapazitäten der
       örtlichen Justiz. Ähnlich liegt der Fall Guinea und die Aufarbeitung eines
       Massakers an über 150 unbewaffneten Demonstranten in der Hauptstadt Conakry
       durch das Militär am 28. September 2009, als Guinea noch von einer
       Militärjunta regiert wurde. Inzwischen hat Guinea eine demokratische
       Zivilregierung. Aber wenn diese nicht die Befehlsgeber des Massakers vor
       Gericht stellt, so warnte Fatou Bensouda bei einem Besuch im April, werde
       der IStGH es tun.
       
       Was die fünf außerafrikanischen Länder angeht, gibt es bisher nur
       Absichtserklärungen. In Kolumbien will sich der IStGH ein Bild machen, ob
       die Regierung Willen zeigt, mutmaßlich für Verbrechen verantwortliche
       Paramilitärs, Rebellen und Politiker anzuklagen. In Honduras geht es um
       Foltervorwürfe im Umfeld des Putsches von 2009. Im Fall Georgien haben
       sowohl die georgische als auch die russische Regierung Unmengen an
       Informationen an die Den Haager Anklagebehörde geschickt, obwohl Russland
       gar nicht Mitgliedstaat des IStGH ist.
       
       In Afghanistan gibt es Anfragen der Anklagebehörde an die Regierung, die
       bisher unbeantwortet blieben. Bei Nordkorea geht es um die Bombardierung
       der südkoreanischen Insel Yeopyeong durch Nordkoreas Armee 2010 und die
       Versenkung eines südkoreanischen Kriegsschiffs.
       
       ## Bild eines Afrika-Sondertribunals
       
       Aber in all diesen Fällen ist unwahrscheinlich, dass schnell etwas
       passiert, und das immer wieder kritisierte Bild des IStGH als ein
       Afrika-Sondertribunal wird zunächst erhalten bleiben, zumal in den
       laufenden Fällen wichtige Entscheidungen anstehen. Demnächst dürfte das
       Vorverfahren gegen den ehemaligen ivorischen Präsidenten Laurent Gbagbo
       beginnen. Im April 2013 beginnen Prozesse gegen vier kenianische Politiker.
       Im Juli 2013 wird das Urteil gegen Kongos ehemaligen Vizepräsidenten
       Jean-Pierre Bemba erwartet.
       
       Bisher hat das Gericht nur ein einziges Urteil gefällt, gegen den
       kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga, der am 10. Juli 14 Jahre Haft
       wegen Rekrutierung von Kindersoldaten erhielt. Das Urteil ist noch nicht
       rechtskräftig, denn Lubanga will Berufung einlegen. Zugleich steht die
       Vollstreckung wichtiger Haftbefehle des IStGH noch aus: der flüchtige
       ugandische Rebellenführer Joseph Kony, der im Kongo basierte ruandische
       Milizenführer Sylvestre Mudacumura, der ehemalige kongolesische General und
       Rebellenchef Bosco Ntaganda sowie Sudans Präsident Omar Hassan al-Bashir
       und die Libyer Seif al-Islam Gaddafi und Abdullah al-Senussi.
       
       Hier muss das Gericht – das in Libyen ebenso wie im Sudan auf
       UN-Sicherheitsratsbeschluss tätig geworden ist – entscheiden, ob es diese
       Verfahren der libyschen Justiz überlässt.
       
       All diese Dinge erfordern erhöhten Einsatz, auch ohne die Eröffnung neuer
       Verfahren. Und ein Streitpunkt steht jetzt zudem an: der Beitrittsantrag
       der Palästinensischen Autonomiebehörde. Sollte er positiv beschieden
       werden, könnten sich die Ankläger in Den Haag bald mit Wünschen nach
       Ermittlungen gegen israelische Siedler, die palästinensische Hamas oder
       sogar Israels Armee konfrontiert sehen.
       
       15 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR François Misser
       
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