URI: 
       # taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: "Wir trauen dem Senator nicht"
       
       > Die Pläne des Senats, ein Drittel des Tempelhofer Feldes zu bebauen, sind
       > nur der Anfang, glauben Christoph Breit und Michael Schneidewind von der
       > Initiative "100 Prozent Tempelhofer Feld".
       
   IMG Bild: Das Feld soll ein Platz für Drachen bleiben, fordert die Initiative "100 Prozent Tempelhofer Feld"
       
       taz: Herr Schneidewind, Herr Breit, Sie wollen das Tempelhofer Feld als
       Ganzes erhalten – so wie es heute ist. Sind Sie Konservative? 
       
       Christoph Breit: Im Wortsinne schon. Als Anwohner finde ich es wichtig,
       dass jene, die schon lange hier wohnen und die Nachteile durch den
       Flugbetrieb bis 2008 ertragen haben, eine Art Entschädigung erhalten. Die
       darf man ihnen nicht schon wieder wegnehmen.
       
       Es geht Ihnen also um Eigennutz, um einen riesigen Vorgarten vor Ihrer
       Haustür? 
       
       Breit: Auf jeden Fall! Ich wohne seit fast zehn Jahren im Schillerkiez, und
       das ist ja ein hoch verdichtetes Viertel. Um den offiziell erforderlichen
       Durchschnitt von Freiflächen pro Einwohner zu haben, müsste der Teil, der
       zu Neukölln gehört, frei bleiben. Das Gleiche gilt für Anwohner aus
       Kreuzberg und Tempelhof. Die Freifläche wird also benötigt, und sie wird ja
       auch genutzt. Von allen Bevölkerungsschichten.
       
       Herr Schneidewind, sind Sie konservativ? 
       
       Michael Schneidewind: Ich bin Stadtentwicklungsplaner. In der
       Stadtentwicklung sind immer verschiedene Belange gegeneinander abzuwägen:
       ökologische, soziale, wirtschaftliche, stadtgestalterische. In diesem
       Planungsfall ist mir der Umweltaspekt am wichtigsten. Das Feld ist
       bauplanungsrechtlich ein Außenbereich Berlins. Und im Leitbild der
       ökologischen Stadtentwicklung hat die Innenentwicklung Vorrang vor der
       Außenentwicklung. Also ist das Feld von einer Bebauung zunächst
       freizuhalten.
       
       Nun liegt das Feld aber in der Mitte der Stadt und weckt Begehrlichkeiten.
       Können Sie das verstehen? 
       
       Schneidewind: Natürlich ruft dieses weite Feld Investoren auf den Plan. Sie
       sehen ein riesiges Entwicklungspotenzial – ähnlich wie Kolonialisten, die
       früher in vermeintlich leere Kontinente eingerückt sind.
       
       Das ist ein harter Vergleich. 
       
       Schneidewind: Aber er trifft. Schließlich ist das Feld eine großartige
       Landschaft, auf der man hochpreisige Wohnungen bauen und entsprechende
       Mieten oder Kaufpreise erzielen könnte. Die Investoren dafür sind da, vor
       allem ausländische, für die Berlin ein sicherer Hafen ist – das sieht man
       ja an ähnlichen Projekten in der Stadt.
       
       Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) spricht aber nicht von
       Luxusapartments, sondern von sozialem Wohnungsbau auf dem Feld. Würden Sie
       das unterstützen? 
       
       Schneidewind: Wenn es sozialen Wohnungsbau gäbe, könnte man das vielleicht
       überlegen. Aber den jüngsten Aussagen der Tempelhof Projekt GmbH zufolge
       sollen auf dem Feld vor allem hohe Grundstückspreise erzielt werden. Das
       hätte ein entsprechendes Mietniveau zur Folge. Und ab 2019 greift die
       Schuldengrenze im Grundgesetz: Dann können solche Grundstücke nicht mehr
       billig an Baugenossenschaften abgegeben werden.
       
       Aber angenommen, Senator Müller hält Wort und es werden Sozialwohnungen
       gebaut? 
       
       Schneidewind: Ich glaube das nicht. Hier sollen Illusionen erweckt werden,
       um den Gegnern der Bebauung den Wind aus den Segeln zu nehmen.
       
       Der Senat will etwas gegen das Steigen der Mieten tun und in dieser
       Legislaturperiode 30.000 Wohnungen bauen. Irgendwo müssen die ja hin. Warum
       nicht ein paar auf das Feld? Es ist doch groß genug. 
       
       Breit: Die Flächen sind auch anderswo vorhanden. Das sagt sogar eine Studie
       der Senatsverwaltung. Danach gibt es 315 Grundstücke mit mindestens einem
       Hektar Größe, die bebaut werden können. Für diese über die ganze Stadt
       verteilten Standorte existiert bereits die Infrastruktur wie
       Verkehrsanbindung, Schulen, Kitas. Auf dem Feld müsste diese erst
       geschaffen werden. Und die Risiken der Altlasten auf dem ehemaligen
       Flugfeld hat auch noch niemand thematisiert.
       
       Schneidewind: Die Bezirke wollen die Bebauung doch auch nicht! Neukölln
       lehnt die Gebäude entlang der Oderstraße ab, weil dafür die soziale
       Infrastruktur fehlt. Die CDU in Tempelhof-Schöneberg lehnt sie auf der
       Seite des Tempelhofer Damms ab, weil es noch genügend andere Flächen im
       Bezirk gebe und sie, anders als der Senat, die Kleingartenanlage an der
       S-Bahn nicht räumen will. Und das sogenannte Columbiaquartier, im Norden
       des Feldes, wird wiederum von der BVV Friedrichshain-Kreuzberg abgelehnt.
       
       Der Senat will ja nur ein Drittel bebauen, 95 von 300 Hektar. Der Rest
       bliebe frei. 
       
       Breit: Das sagt er jetzt. Die Planung sieht doch so aus, dass – wenn man
       will – immer wieder neue kleine Baufelder entstehen könnten. Zum Schluss
       endet das in einem wunderschönen Villenviertel.
       
       Der Verkauf an Grundstücken auf dem Feld würde dem Land aber auch Geld in
       die Kasse spülen. 
       
       Schneidewind: Nach unseren Berechnungen nicht. Aufbauend auf der Kosten-
       und Finanzplanung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung für 2015 bis
       2025, kommen wir auf ein Minus von 280 Millionen Euro, Grundstückserlöse
       und Mieteinnahmen im Flughafengebäude schon eingerechnet. Für diese
       Großprojekte müssten also alle Berliner zahlen.
       
       Der Senat hielt jüngst mit einem Gutachten dagegen, wonach die
       Nichtbebauung der Stadt langfristig 300 Millionen Euro kosten würde. 
       
       Schneidewind: Ja, berechnet auf 50 Jahre. Das ist in meinen Augen eine
       Gefälligkeitsstudie ohne Hand und Fuß, die man relativ einfach zerlegen
       kann.
       
       Nun gut, Statistiken legt sich jeder so aus, wie er will. Als Bürger
       interessieren mich aber solche Zahlenspielereien doch überhaupt nicht! 
       
       Schneidewind: Das werden wir sehen. Wir glauben, dass das Kostenargument
       zieht. Ein zusätzliches Loch von 280 Millionen Euro im Landeshaushalt ist
       doch viel Geld – das woanders dann fehlt, bei Schulen, Kitas, sozialen
       Projekten. Und es gibt ja noch den Klimaaspekt. Das Feld ist ein
       sogenanntes Kaltluftentstehungsgebiet. Das dämpft die Auswirkungen des
       Klimawandels in der Stadt.
       
       Reicht ein Volksbegehren, um die Begehrlichkeiten der Investoren
       abzuschmettern? 
       
       Schneidewind: Da kämpft natürlich David gegen Goliath. Generell brauchen
       wir viel mehr Bürgerbeteiligung bei der Entwicklung des Feldes. Die
       Landesregierung will das Feld bebauen – obwohl der
       Stadtentwicklungsausschuss dazu nicht mal einen Beschluss gefasst hat. Hier
       geht es letztlich darum, eine Investorenplanung smart durchzuziehen.
       
       Was wäre Ihre alternative Vision für das Feld? 
       
       Schneidewind: Die urbanen Gärten auf dem Gelände sind ein Vorbild. Die
       funktionieren prächtig, da gibt es Austausch zwischen verschiedenen
       Anwohnergruppen und Leuten aus der ganzen Stadt. Das ist eine Art moderner
       Stadtpark. In diese Richtung muss die Entwicklung gehen. Uns liegt generell
       daran, dass der Charakter des Feldes erhalten bleibt – also auch etwa die
       Bolzplätze. Diese Orte für die sportliche Freizeitgestaltung würden ja als
       Erstes verschwinden: Alle liegen auf künftigen Baufeldern.
       
       Man könnte sie aber problemlos anderswo auf dem Feld anlegen. 
       
       Schneidewind: Na ja. Die Verlagerung hätte Folgen für die Umwelt: Würde ein
       Drittel bebaut, würden die Freizeitaktivitäten in die Feldmitte verdrängt
       und dort auf geschützte Vogelarten treffen: Grauammen, Braunkehlchen,
       Steinschmätzer, Lerchen und Brachpieper. Wir dürfen wirtschaftliche und
       soziale Probleme nicht jedes Mal auf Kosten der Natur lösen.
       
       Breit: Und es gibt noch ein Argument, das wenig Beachtung findet: Das Feld
       ist ein Alleinstellungsmerkmal Berlins im internationalen Wettstreit um
       Touristen. Hier kann man Sportarten mitten in der Stadt betreiben, die man
       sonst erst wieder an der Ost- oder Nordseeküste ausüben kann. Eigentlich
       müssten die Tourismuswerber uns unterstützen. Das erste Großprojekt, die
       Internationale Gartenausstellung, ist ja schon nach Marzahn verlegt worden.
       Das hängt sicher auch damit zusammen, dass das Feld so intensiv genutzt
       wird. Hier wird Druck aus der Bevölkerung auf den Senat ausgeübt.
       
       Ihre Initiative gibt es seit September 2011. Wann startet denn nun das
       Volksbegehren? 
       
       Schneidewind: Unsere fünfköpfige Gruppe arbeitet noch an den letzten
       Paragrafen des Gesetzentwurfs – in ihrer Freizeit. Der Aufwand dafür ist
       enorm. Zuvor muss aber noch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die
       offizielle Kostenschätzung vorlegen. Wann es losgeht, hängt also vom Senat
       ab.
       
       13 Nov 2012
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
   DIR Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
   DIR Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
   DIR Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
   DIR Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
   DIR Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
   DIR Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR taz-Serie Schillerkiez: Pizzen verdrängen Policen I
       
       In der Herrfurthstraße 8 hat Orhan Daldeniz viele Jahre Versicherungen
       verkauft. Doch die Miete wurde zu teuer. Nun bietet Antonio Vigner dort
       Pizzen an. Die taz hat beide getroffen.
       
   DIR taz-Serie Schillerkiez: Weg vom Milieu, weg vom Klischee
       
       Julia Seedler und Andreas Umpfenbach haben fünf Doku-Kurzfilme über den
       Schillerkiez gemacht. Es geht um Helden, die sich beharrlich für ihr
       Viertel engagieren.
       
   DIR Bauen auf der Wiese: Interessen drängen aufs Feld
       
       Die Bürgerinitiative hat bereits 18.500 Unterschriften für ein unbebautes
       Tempelhofer Feld gesammelt. Wowereit hält dennoch an Wohnquartier dort
       fest.
       
   DIR Für eine freies Tempelhofer Feld: Volksbegehren kommt
       
       Das Volksbegehren für ein unbebautes Tempelhofer Feld geht an den Start und
       will in Rekordzeit Unterschriften sammeln.
       
   DIR Mieten in Berlin: Jetzt wird es richtig teuer
       
       Eine neue Studie belegt wieder mal: Vermieter schlagen richtig zu. Ändern
       könne sich das nur durch den Bau von mindestens 150.000 Wohnungen bis 2030.
       
   DIR taz-Serie Schillerkiez: "Ein zweites Kreuzberg hinstellen"
       
       Das Tempelhofer Feld sollte weitgehend mit Wohnungen zugebaut werden,
       fordert der Ökonom Kristof Dascher. Das würde die Gentrifizierung bremsen.
       
   DIR taz-Serie Schillerkiez: Eine Selbsterfahrung: Ein Versuch, sich heimisch zu fühlen
       
       Können Alteingesessene und die vielen jungen Zuzügler zueinanderfinden? Ja
       - aber nur wenn alle lernen, das Viertel zu gestalten, sagt taz-Volontärin
       Karen Grass.
       
   DIR taz-Serie Schillerkiez: Was treibt Gentrifizierung?: "Wir Künstler sind auch Opfer der Verdrängung"
       
       Künstler haben in der Gentrifizierungsdebatte einen schlechten Ruf:
       "Entdecken" sie ein Viertel, scheinen steigende Mieten die Folge zu sein.
       Oder ließe sich das verhindern?