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       # taz.de -- Europäische Flüchtlingspolitik: Todesfalle Mittelmeer
       
       > Lange waren nicht mehr so viele „Boatpeople“ aus Afrika nach Europa
       > unterwegs. Die Anrainer versuchen sich vor der Verantwortung drücken.
       > Viele Menschen ertrinken.
       
   IMG Bild: Malta, 16. Oktober: Beerdigung eines Nigerianers, der die Überfahrt nicht überlebte.
       
       BERLIN taz | Fast täglich werden diese Woche im Mittelmeer wieder
       Flüchtlingsboote mit Hunderten Insassen gefunden, immer wieder auch
       Leichen. Das Drama der afrikanischen „Boatpeople“, die auf dem unsicheren
       Seeweg nach Europa ihr Leben lassen, erreicht wieder einmal einen traurigen
       Höhepunkt.
       
       Jüngster Fall ist der eines aus Libyen gestarteten Bootes mit 250 bis 300
       Menschen aus Eritrea an Bord, das am Donnerstag nach vier Tagen auf dem
       Wasser in Seenot geriet. Per Satellitentelefon benachrichtigten die
       Eritreer Landsleute in Schweden und Italien. Diese alarmierten die
       italienischen Behörden, welche die Verantwortung an die Streitkräfte Maltas
       weiterreichten, die das Boot lokalisierten. Nachdem am Freitag der Motor
       ausfiel, lud Maltas Marine die Insassen auf ihre eigenen Patrouillenboote
       um. Sie waren am Freitagnachmittag auf dem Weg nach Malta.
       
       Nicht alle Flüchtlingsdramen enden so glücklich. Am 4. November hatte die
       italienische Küstenwache zehn Leichen, davon sieben Frauen, auf halbem Weg
       von Libyen auf die italienische Insel Lampedusa aus dem Meer gefischt. Ihr
       Boot wurde mit 70 weiteren entkräfteten somalischen Flüchtlingen aufgespürt
       und nach Lampedusa gebracht. Am 5. November landeten 171 „Boatpeople“ auf
       einem griechischen Fischkutter in Kalabrien, am 6. November landeten
       weitere 77 Flüchtlinge auf Malta und 107 auf Lampedusa.
       
       ## Flüchtlinge ertrinken
       
       Die Gründe für diesen starken Zuwachs der Flüchtlingszahlen sind bisher nur
       zum Teil bekannt. Er betrifft nicht nur die Route von Libyen nach Italien,
       sondern auch die von Marokko nach Spanien. Eine am Dienstag in Marokko
       vorgelegte Bilanz bezifferte die in den zwei Vorwochen auf dem Weg nach
       Spanien ertrunkenen Flüchtlinge auf mindestens 90. Ein Boot sank mit 54
       Insassen, ein weiteres mit 19, zwei weitere Tragödien mit jeweils 14 und 2
       Toten wurden gemeldet. Und im Oktober gab es mehrfach Versuche
       schwarzafrikanischer Migranten, illegal den Grenzzaun zwischen Marokko und
       der spanischen Exklave Melilla zu überwinden.
       
       Medienberichten führen die verstärkte Ausreisewelle aus Marokko auf eine
       plötzlich hereingebrochene Kältewelle sowie auf systematische Razzien der
       marokkanischen Armee und Polizei zurück. Zwischen Ende Mai und Ende Oktober
       wurden nach amtlichen Angaben 10.000 afrikanische „Illegale“ aus Marokko
       ausgewiesen – in der Praxis heißt das zumeist, dass sie an die algerische
       Grenze gefahren und auf der anderen Seite sich selbst überlassen werden.
       20.000 bis 25.000 seien noch im Land.
       
       Einer der bekanntesten Flüchtlings- und Migrantenhelfer in Marokko, Camara
       Laye, befindet sich seit der Nacht zum 21. Oktober unter dem Vorwurf des
       „Alkohol- und Zigarettenschmuggels“ in Haft. Die Polizei sagt, sie habe in
       seinem Haus drei Alkoholflaschen und 20 Zigarettenschachteln gefunden. Der
       Guineer Camara Laye lebt legal im Land und führt den „Rat der
       subsaharischen Migranten in Marokko“ (CMSM). Für Freitag war eine
       Sitzblockade vor dem Gerichtsgebäude in der Hauptstadt Rabat vorgesehen, wo
       er angehört werden sollte. Seine Unterstützer sagen, sein Anwalt habe
       keinen Zugang zu ihn gehabt.
       
       9 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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