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       # taz.de -- Partei für Nichtwähler: Ich möchte das alles nicht!
       
       > In einer Gemeinde in Niedersachsen haben ein paar Enttäuschte die
       > „Nein-Idee“ gegründet: eine Partei für Nichtwähler. Was wollen sie
       > erreichen?
       
   IMG Bild: Alles doof? Enthalten auch, sagt die Nein-Partei.
       
       HARSEFELD taz | Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie wollen Schokoladeneis –
       Schokoladeneis und nichts anderes. Sie gehen zum Eismann um die Ecke, doch
       der hat nur Vanille und Erdbeere. Und nun? „Nein sagen, kein Eis kaufen und
       wieder weggehen“, sagt Michael König. Dieses Beispiel nimmt er immer, wenn
       er erklären soll, wie seine „Nein-Idee“ funktioniert.
       
       Die [1][„Nein-Idee“] ist eine Partei, wenn auch eine kleine, und Michael
       König ist ihr stellvertretender Bundesvorsitzender. Er sagt: „Wenn hundert
       Leute kein Eis kaufen, wird der Eisverkäufer irgendwann natürlich
       Schokolade in sein Sortiment aufnehmen.“ Ein Nein der Masse führe also zu
       einem besseren Angebot – und genau diese Möglichkeit fehle ihm in der
       Politik. Im April hat König die „Nein-Idee“ mitgegründet – mittlerweile
       besteht sie bundesweit aus etwa 60 Mitgliedern, einem Landesverband in
       Nordrhein-Westfalen, einem in Niedersachsen, und der in Berlin wird gerade
       gegründet.
       
       „Bei den meisten Wahlen liegt die Quote der Nichtwähler bei bis zu 40
       Prozent“, sagt König, und diese Masse will er mobilisieren. Er hätte lieber
       eine Initiative gegründet, aber um bei einer Wahl antreten zu können,
       braucht man eine Partei. König ist 41 Jahre alt und lebt mit Frau und vier
       Töchtern im niedersächsischen Harsefeld, etwa 50 Kilometer von Hamburg
       entfernt.
       
       Hier in der Gegend ist er aufgewachsen, kam nach Tischlerlehre, Studium in
       Buxtehude und einer kleinen Weile in Berlin zurück nach Harsefeld und baute
       sich ein Haus. Ein Angeberhaus, wie er sagt. Das Erdgeschoss gehört allen,
       die erste Etage seinen Kindern, die zweite Etage ihm. Hier ist sein Büro,
       hier haben sie die Partei gegründet. An diesem grauen Vormittag sieht man
       vom Balkon einen Wald, eine Kirche und die verwaiste Hauptstraße.
       
       Gut 12.000 Menschen wohnen in Harsefeld, einer Kleinstadt mit vielen
       Einfamilienhäusern in Rotklinkeroptik. Bei der letzten Kommunalwahl im
       September 2011 lag die Wahlbeteiligung hier bei knapp über 50 Prozent. Der
       Bürgermeister ist parteilos, SPD und CDU haben gleich viele Sitze im Rat
       und die Freie Wählergemeinschaft landete noch vor den Grünen.
       
       ## Nur Ja oder enthalten ist zu wenig
       
       König hat zu diesem Treffen Matthias Handrich mitgebracht, vom
       niedersächsischen Landesverband. Aber die meiste Zeit redet König selbst.
       „Es kann doch nicht sein, dass man auf dem Wahlzettel nur Ja sagen oder
       sich enthalten kann“, sagt er. Allen anderen bleibt bisher nur, nicht zur
       Wahl zu gehen oder den Stimmzettel ungültig zu machen. Diesen Nichtwählern
       wollen die Nein-Leute nun eine Option auf dem Wahlzettel bieten.
       
       Eine politische Linie vertreten sie nicht, darum passt ihr Parteiprogramm,
       das König nach eigenen Angaben in einer schlaflosen Nacht runterschrieb,
       auch auf knappe zweieinhalb DIN-A4-Seiten. „Wir müssen aber auch keine
       Alternative anbieten, wir haben das Recht, einfach nur Nein zu sagen“, sagt
       er. Das einzige Wahlversprechen, das sie ihren Wählern geben, sei, im
       Parlament immer mit Nein abzustimmen, es sei denn, es gehe um mehr
       Bürgerbeteiligung.
       
       ## Ein Nein für die Unabhängigkeit
       
       „Selbst bei eigenen Anträgen würden wir mit Nein stimmen.“ Ja, Michael
       König meint das ernst. „Wir wollen Nervensägen ins Parlament schicken, die
       den Finger in die Wunde legen.“ Das bedeutet: keine politischen
       Entscheidungen und keine Ämter mittragen, aus Prinzip. König nennt das
       Unabhängigkeit.
       
       Die Idee, die Nichtwähler sichtbar zu machen oder ihnen eine Partei
       anzubieten, ist nicht neu. So zog beispielsweise Oliver Knöbel alias Olivia
       Jones als „Niemand“ in den Hamburger Wahlkampf 2008, erst kurz vor der Wahl
       zog „Niemand“ die Kandidatur zurück. Und auf Nichtwähler-Online-Foren wird
       öfter mal gefordert, diese durch leere Stühle im Parlament zu
       repräsentieren.
       
       ## Nächstes Ziel Bundestagswahl
       
       Bisher hat sich das aber nicht durchgesetzt – auch die junge
       Nein-Idee-Partei hat ihr erstes Ziel verfehlt. Für die niedersächsische
       Landtagswahl im Januar hätten sie 2.000 Unterstützerunterschriften
       gebraucht. Sie bekamen 250. Ihr nächstes Ziel ist die Bundestagswahl.
       
       Die Geschichte der Nein-Idee ist eine der politischen Enttäuschung: Michael
       König wählte seit jeher – wie seine Eltern – CDU. Politisch engagiert hat
       er sich nie. Dann kamen immer mehr gebrochene Wahlversprechen, die
       Mehrwertsteuererhöhung der großen Koalition und das Ja der Grünen zum
       Kosovo-Krieg. Sein Kollege Handrich hingegen war in der Stuttgarter
       Punkszene aktiv, dann in der Antifa. Er ist quasi mit der Dagegen-Position
       aufgewachsen.
       
       ## Nein heißt nicht Ablehnung
       
       „Aber irgendwann merkte ich, mit dieser ablehnenden Haltung kommt man ja
       auch nirgendwo hin“, sagt Handrich. Heute ist er 38 und arbeitet als
       Physiotherapeut. Aber ist die Nein-Idee nicht die Ablehnung par excellence?
       „Durch unser Nein zwingen wir doch die Parteien, den Wählern endlich das
       anzubieten, was sie wollen“, sagt er.
       
       Und Michael König formuliert es so: „Wahlen sind für mich ein Blankoscheck
       für die Parteien. Nach deinem Kreuz hast du überhaupt keinen Einfluss mehr
       darauf, was sie mit deiner Stimme anfangen.“ Ein Dreivierteljahr war König
       Mitglied in der „Partei der Vernunft“ und zog für sie in den Gemeinderat
       ein. Doch es gab Streit, König trat aus. Heute stimmt er – parteilos – bei
       allen Entscheidungen im Rat mit Nein. „Na klar, ich bin dann schon der
       Depp“, sagt König. Aber das mache ihm nichts aus.
       
       Nun will er mit der Nein-Idee das Modell der freien Wirtschaft auf die
       Politik übertragen: Ist das Angebot mies, sinkt eben die Nachfrage. Würden
       die etablierten Parteien wieder bessere Angebote machen, glaubt er,
       schrumpfe die Nein-Idee automatisch wieder – und werde im besten Fall
       überflüssig. Aber bevor sie sich abschaffen, müssen sie erstmal bekannt
       werden. Sie haben sich bei Stefan Raabs neuer Polittalkshow beworben. Die
       erste Folge findet ohne die Nein-Idee statt.
       
       10 Nov 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.nein-idee.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ilka Kreutzträger
       
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