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       # taz.de -- Wahl im Swing-State Ohio: Hamilton County rückt ins Zentrum
       
       > Das County, in dem auch Cincinnati liegt, ist so gespalten, wie der Rest
       > der USA. Hamilton ist christlich und industriell, weiß und schwarz. Und
       > unberechenbar.
       
   IMG Bild: Hohe Hürden: Mehr als 23.000 Wähler gaben in Hamilton County ihre Stimme schon vor dem Wahltag ab.
       
       CINCINNATI taz | „Ich bete für unsere Seele“, sagt Regina Hood, als sie aus
       dem Wahlbüro im ersten Stock der Feuerwehrstation in Glendale herunter
       kommt. Die Afroamerikanerin lebt in dem mehrheitlich weiß besiedelten
       Stadtteil von Cincinnati. Sie hat für Präsident Obama gestimmt. „Wenn er
       die zweite Amtszeit nicht bekommt, wird es sehr, sehr hart für die meisten
       Amerikaner werden“, ist sie überzeugt.
       
       Rechts und links vor dem Eingang zu ihrem Wahlbüro haben kleine Gruppen von
       Tea-Partiern schon am frühen Morgen ihre Informationstische auf dem
       Bürgersteig aufgstellt. Sie begrüßen jeden Wähler, der kommt. Und sagen
       anschließend: „Danke fürs Wählen“.
       
       Die Tea-Partier teilen längliche rosa Handzettel mit der Aufschrift:
       „Republikanischer Wahl-Führer“ an die Ankommenden aus. Ihre 21 Empfehlungen
       für das richtige Kreuzchen an diesem 6. November reichen von Mitt Romney,
       als Präsident, bis zu einem neuen Sheriff und Jugendrichter.
       
       Außerdem haben sie Material zu Themen dabei, um die es an diesem Tag gar
       nicht geht: den Schutz des ungeborenen Lebens (ab dem Moment der
       Empfängnis), und die Verteidigung der Freiheit des Glaubens. Cincinnati ist
       nur ein paar Autominuten von Indiana entfernt, wo Richard Mourdock, ein
       republikanischer Kandidat für den US-Senat, in der letzten Wahlkampfphase
       erklärt hat, dass ein Fötus auch dann ein „Gottesgeschenk“ sei, wenn die
       Mutter vergewaltigt worden ist. Weshalb Abtreibung in keinem Fall in Frage
       komme.
       
       ## Nur unglücklich ausgedrückt
       
       Es war ein Echo auf einen anderen republikanischen Senatskandidaten aus dem
       noch weiter westlich gelegenen Missouri, der einige Wochen zuvor erklärt
       hatte, im Falle einer „echten“ Vergewaltigung, finde der weibliche Körper
       Mittel und Wege, um „das Ding zuzumachen“. Beide Kandidaten haben
       anschließend erklärt, sie hätten sich unglücklich ausgedrückt. Und beide
       sind im Rennen – für eine Wahl an diesem 6. November - geblieben.
       
       Natürlich hat auch die Demokratische Partei einen „Wahl-Führer“ im Hamilton
       County gedruckt. In blau, weiß und rot enthält er insgesamt 30 Empfehlungen
       für Kreuzchen. Aber der Demokrat vor der Feuerwehrstation ist an diesem
       Wahlvormittag allein gekommen. Hat keinen Tisch auf dem Trottoir
       aufgestellt. Und ist mit seinem großen Hund beschäftigt.
       
       Der Wahlkreis Glendale im bürgerlich gediegenen Norden von Cincinnati, wo
       Anwälte, Ärzte und Geschäftsleute leben, ist ein sicheres republikanisches
       Territorium. Gut möglich, dass sich der Aufwand der Wählerberatung im
       allerletzten Moment an dieser Stelle nicht lohnt.
       
       Der Landkreis Hamilton County mit der Stadt Cincinnati ist so gespalten,
       wie der Rest der USA. Was die 800.000 Bewohner des County vom Rest des
       Landes unterscheidet, ist dass sie in dem „Swing-State“ Ohio leben. Vom
       Wahlausausgang in Ohio – und maximal acht anderen Bundesstaaten – hängt der
       Ausgang der US-Wahlen ab.
       
       ## Unberechenbar, christlich und industriell
       
       In Ohio – so glauben jene, die meinen, etwas davon zu verstehen – könnte
       sich die Zukunft des Weißen Hauses entscheiden. Und selbst innerhalb Ohios
       hat Hamilton County noch einen Sonderstatus. Denn es ist wahrscheinlich,
       dass der hoch industrialisierte und stark gewerkschaftlich organisierte
       Norden des Bundesstaates demokratisch wählt.
       
       Und dass die christliche und ländliche Mitte republikanische Kreuzchen
       machen wird. Aber Hamilton County ist unberechenbar. Es ist christlich und
       industriell. Ländlich und städtisch. Weiß und schwarz. 2008 hat der County
       massiv für Obama gestimmt.
       
       In Cincinnati, ein paar Meilen weiter in westlich, im weniger wohlhabenden
       Colerain Township erklärt Cliff Niehaus, warum er dieses Mal wieder so
       republikanisch wählt, wie er es seit den 80er Jahren tut, als er sich von
       Jimmy Carter abgewandt hat. Er ist ein „Reagan Democrat“. Die Etikette
       „Republikaner“ passt ihm nicht.
       
       Der 73-jährige Nachfahre deutscher Einwanderer hat in Cincinnati in einem
       Schlachthof gearbeitet, jahrzehntelang bei Procter und Gamble (das
       inzwischen die meisten seiner Werkshallen im Hamilton County geschlossen
       hat) am Band gestanden, war Gewerkschaftsmitglied und verkauft heute Obst
       und Gemüse.
       
       ## Ansehen der USA in der Welt verschlechtert
       
       „Lobe Jesus“ steht auf seiner Schirmmütze. Über Obama sagt er: „Ich fühle,
       dass er uns in den Sozialismus führt“. Er ist überzeugt, dass der Präsident
       das Ansehen der USA in der Welt verschlechtert hat. Gegenteilige Berichte
       aus Europa hält er für erfunden. „Wir helfen anderen Ländern“, sagt Cliff
       Niehaus, „so wie Deutschland, Japan und Russland.“
       
       Als seine wichtigen Wahl-Motive im Jahr 2012 nennt er: „gegen Abtreibung,
       gegen Spezialrechte für Homosexuelle, gegen Steuern und gegen diese
       Weggeberei“. Cliff Niehaus ist ein großzügiger Mann. Er bringt Lebensmittel
       zu einer Armenkirche. Und er meint, dergleichen sei keine Aufgabe für den
       Staat.
       
       Auf demselben Parkplatz vor dem Wahlbüro im Colerain Township erklärt Kerri
       Pricetown ihre Bewunderung für Obama als Präsidenten, der sich für die
       arbeitenden Menschen einsetzt. „Als die Papierfabrik im Frühling zugemacht
       hat und mein Mann nach 38 Jahren auf der Straße stand, hat er ihm eine
       Umschulung verschafft“, sagt die 58-Jährige.
       
       Die Putzfrau hat noch am Abend zuvor an 100 Türen geklopft, um für ihren
       Präsidenten zu werben. Sie ist überzeugt, dass die radikale Obama-Ablehnung
       und die Blockade seiner Politik durch führende Republikaner ein „racial
       thing“ ist. „Es ist traurig“, sagt sie, dass das in meinem Land immer noch
       so stark ist. Falls ihr Präsident verliert, will sie beten. „Wir Schwarzen
       sind daran gewöhnt“, sagt sie, „Gott hat uns immer beschützt“.
       
       ## Drei, vier Stunden Wartezeit vor dem Wahlbüro
       
       Im Hamilton County ist die Überzeugung groß, dass die Anti-Obama-Verve der
       Republikanische Partei rassistische Motive hat. Ganz besonders häufig unter
       den mehr als 23.000 Wählern, die ihre Stimme schon vor dem Wahltag, aber
       dennoch persönlich, abgegeben haben. Manche dieser Wähler haben an den
       Vortagen drei und vier Stunden in der Kälte auf dem Broadway im Zentrum von
       Cincinnati gewartet, bis sie im zweiten Stock des Wahlbüros ihre Stimme
       abgeben konnten.
       
       Am Montag vor der Wahl erklärt die Kosmetikerin Lisa, nach mehr als zwei
       Stunden Schlangestehen auf dem Broadway immer noch gut gelaunt, dass sie am
       Wahltag arbeiten muss und keine Zeit zum Wählen hat. Wie fast allen in der
       Schlange gruselt ihr vor einem Präsidenten Romney.
       
       „Er wird jede Menge Dinge tun, die selbst jene, die ihn jetzt noch
       unterstützen, bitter bereuen werden“, sagt die 44-Jährige. Wie die anderen,
       die vor und hinter ihr warten, ist sie überzeugt, dass es sicherer ist,
       ihre Stimme vor dem Wahltag abzugeben. Sowohl die Prediger in
       afroamerikanischen Kirchen, als auch die demokratische Partei haben zu der
       frühen Stimmabgabe ermuntert. Präsident Obama selbst ist vorzeitig nach
       Chicago gefahren, um zu wählen.
       
       Gleichzeitig hat der republikanische Staatssekretär in Ohio, Jon Husted,
       hart daran gearbeitet, das Wahlgesetz in Ohio weiter zu verschärfen. Schon
       sein Amtsvorgänger hat im Jahr 2008 eine Ausweispflicht für Wähler
       eingeführt. Husted hat die Regeln für die vorgezogene Stimmabgabe im
       Visier. Mehrfach haben ihn Gerichte gestoppt.
       
       Doch er schafft es, die Tage und die Uhrzeiten für die vorgezogene
       Stimmabgabe zu verkürzen. Und am Freitag – vier Tage vor der Wahl -
       verkündete er zusätzlich eine neue, bürokratische Regel: Ab sofort müssen
       Wähler die langen und komplizierten Fragebögen für erst im letzten Moment
       ausgestellte Stimmzettel selber ausfüllen. Bislang haben die Beschäftigten
       der Wahlbüros solche Bögen ausgefüllt. Und dennoch kam es dabei vielfach zu
       Anfechtungen.
       
       7 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
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