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       # taz.de -- Rechtsextremismus in Griechenland: Mit Knüppeln und Fäusten
       
       > Die rechtsradikale Chrysi Avgi macht sich die ökonomische Krise politisch
       > zunutze. Sie attackieren Einwanderer – oft unter tatkräftiger
       > Unterstützung der Bevölkerung.
       
   IMG Bild: Genießen Sympathien in der ganzen Bevölkerung: Anhänger der rechtsradikalen Chrysi Avgi
       
       ATHEN taz | „No malaka!“, sagt Lomdo, der Nigerianer, und bleibt wie
       erstarrt vor dem Verkaufstisch von Omar stehen. Die Patission-Straße im
       Athener Stadtzentrum, wo die ambulanten Händler ihre Waren feilbieten, ist
       in ohrenbetäubenden Lärm getaucht. „Doch, ist wahr“, entgegnet Omar, ein
       drahtiger, gepflegt gekleideter 19-Jähriger aus Bangladesch: „Hab selbst
       gesehen.“ In einem Mix aus schlechtem Englisch und noch schlechterem
       Griechisch berichtet Omar, dass er nachts durch die Ritzen seiner Rollladen
       beobachtet hat, wie Neonazis Steine in das Lebensmittelgeschäft eines
       Ruanders warfen.
       
       Die Angreifer gehörten zur rechtsextremen Organisation Chrysi Avgi. Sie
       traten Türen und Fenster ein, verwüsteten den ganzen Laden mit Knüppeln.
       Eine Nachbarin hätte versucht zu intervenieren. „Dann macht der Faschist
       so“, sagt Omar und imitiert einen Stoß und eine Ohrfeige. „Eine Griechin?“,
       fragt Lomdo, der mit seinen Lederwaren, die er im Tuch über der Schulter
       trägt, in der Straßenverkäuferhierarchie irgendwo zwischen einem verhungert
       aussehenden Tansanier mit Louis-Vuitton-Taschenimitaten und dem gewieften
       Bangladescher mit großem Elektrowarenstand stehen mag. „Ja“, sagt Omar.
       Mittlerweile hat sich eine Traube ausländischer Straßenverkäufer um ihn
       geschart und hört betroffen zu.
       
       Die rechtsextreme Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte), die bei den
       vorletzten Wahlen noch eine Randerscheinung mit 0,2 Prozent der Stimmen
       war, ist in den vier Jahren der Krise zur drittstärksten politischen Kraft
       geworden. Ihre Propaganda richtet sich gegen Ausländer, Schwule,
       Andersdenkende; offen greifen Abgeordnete der Chrysi Avgi griechische
       Homosexuelle, Behinderte und Künstler an, die sich gegen sie engagieren,
       prügeln nachts auf Aktivisten ein, die sich für die Rechte von Immigranten
       einsetzen. Einmal griffen sie linke Politikerinnen bei einer TV-Debatte
       sogar physisch an.
       
       ## Mit Knüppeln und Messern
       
       Die Immigranten sind den brutalen Übergriffen der Faschisten schon länger
       schutzlos ausgeliefert. Man erkenne die Chrysi Avgi an ihren Knüppeln und
       Messern, berichtet Omar. Meist kämen sie in großen Gruppen auf Motorrädern
       angebraust, so an die zwanzig Leute, die schreien würden: „Arschlöcher,
       zurück nach Hause!“ Insbesondere auf der Axarchnon-Straße im Stadtzentrum
       würden Immigranten „morgens, mittags, abends“ verprügelt.
       
       Ein älterer Pakistaner zieht Omar plötzlich weg, die zwei diskutieren. Omar
       will jetzt einen Pass der Reporterin sehen, schließlich könnte sie ja auch
       eine als Journalistin getarnte Faschistin sein. Die Angst ist groß. Obwohl
       ein Reisepass nichts über die politische Gesinnung aussagt, fasst die
       Straßenhändlerrunde nach etwas Überzeugungsarbeit doch Vertrauen. Am Morgen
       sollen fünfzig Faschisten mit Motorrädern gekommen sein. Sie hätten die
       Afrikaner verprügelt. „Wir haben ihnen geholfen“, sagt Omar. „Sie sind
       Mensch, wir sind Mensch.“ Faschisten seien auch Menschen, kapierten das
       aber nicht, setzt er hinzu.
       
       Ein Taxi hält jetzt vor Omars Stand. Neben Ladekabeln und Handyhüllen
       verkauft Omar heimlich auch Zigaretten, und der Taxifahrer, der sich wie
       viele Griechen die normalen Zigaretten nicht mehr leisten kann, kauft ihm
       zwei Stangen ab. Als der Taxifahrer weg ist, berichtet Omar weiter, in der
       Acharnon-Straße seien zwei Pakistaner zu Fuß unterwegs gewesen, auf die
       eine Motorradgang eingestochen habe. Mit tödlichem Ausgang.
       
       Die Polizei sei fünf Minuten später am Tatort gewesen, habe aber keine
       Anstalten gemacht, die Täter zu suchen. „Polizei auch faschistisch“, sagt
       er. Auf einmal fällt ihm der dünne Tansanier ins Wort, der hinter Omars
       Stand gegen das Gitter des Universitätsgeländes lehnt. Auch er und sechs
       Mitbewohner seien überfallen worden. „Ware weg, Geld weg.“ Neben den
       Faschisten seien auch Zivilpolizisten an dem Überfall beteiligt gewesen.
       
       Die Berichte der Einwanderer überraschen nicht – jeder zweite Polizist hat
       bei den letzten Wahlen laut Umfragen für Chrysi Avgi gestimmt. Ein
       Ladenbesitzer in der Nähe der Patission-Straße, wo Omar meistens steht,
       behauptet sogar, man habe ihm auf der Polizeistation die Telefonnummer des
       lokalen Büros der Chrysi Avgi gegeben, als er sich dort beschwerte, dass in
       der unvermieteten Ladenfläche neben seinem Geschäft nachts Einwanderer
       schliefen.
       
       Die Chrysi Avgi nutzt die Schwäche und Inkompetenz der Regierung gekonnt
       für die eigene PR: Mitglieder verteilen in schwarzen T-Shirts mit
       Chrysi-Avgi-Aufschift Essenspakete an verarmte griechische Familien und
       lassen sich dabei filmen, sie sammeln Blutspenden „von und für Griechen“
       und spielen sich als Staatspolizei auf – das heißt, sie gehen in Eigenregie
       auf Märkte und „kontrollieren“ die Standerlaubnis von Händlern, um dann die
       Stände ausländischer Händler zu zertrümmern und diese von den Märkten zu
       verjagen.
       
       ## Ungünstige Geografie
       
       Egal, wo Chrysi Avgi im Land auftaucht, säen ihre Leute Gewalt und Hass. Im
       Nordosten Griechenlands, wo ein Drittel der Bevölkerung muslimischen
       Glaubens ist und wo griechische Muslime und Orthodoxe nach schwierigen
       Jahrzehnten endlich zusammengefunden haben, verprügeln sie Muslime wie auch
       griechisch-orthodoxe Lehrer, die ihre muslimischen Schüler zu schützen
       versuchen.
       
       „Die Griechen machen einen großen Fehler“, sagt jetzt Lomdo, der in seiner
       Heimat ein Menschenrechtsaktivist war und vor den Extremisten von Boko
       Haram geflüchtet ist. „Sie denken, die Ausländer haben die Krise
       verursacht. Deswegen sind sie sehr wütend auf uns. Sie müssen aber die
       Schuld bei ihrer Regierung suchen.“ Sehr populär ist in Griechenland das
       Bild, das Land werde von illegalen Immigranten überrannt, die insbesondere
       Athen in eine Hochburg der Kriminalität verwandelt hätten.
       
       Tatsächlich ist die Kriminalität gestiegen – aufgrund der Krise. Und weil
       Griechenland, gemessen an seiner Bevölkerung, mehr illegale Immigranten als
       andere EU-Länder beherbergt. Das liegt an der EU-Regelung, wonach Illegale
       bis zur Klärung ihrer Situation im Land ihrer Einreise bleiben, und an der
       geografischen Lage Griechenlands: Die einfachste zu passierende Grenze der
       EU ist über den Fluss Ebro von der Türkei nach Griechenland. Auch Omar und
       Lomdo sind auf diese Weise nach Griechenland gelangt.
       
       Die Rechtsextremen machen mit diesen Zahlen Propaganda. Aber auch die
       Regierung tut seit Wochen so, als sei die illegale Einwanderung das
       Staatsproblem Nummer eins, und schürt damit die fremdenfeindliche Stimmung
       im Land.
       
       „Ständig reden die Politiker von Millionen Immigranten. Wir haben 800.000
       legale Einwanderer und um die 500.000 illegale“, sagt Kostas Argaliotis,
       ein politisch und sozial aktiver Mann mittleren Alters aus dem Athener
       Linkenviertel Exarchia. Omar und Lomdo kennt er, sie kommen mindestens
       einmal die Woche nach Exarchia, sei es, um sich hier vor den Faschisten zu
       verstecken, sei es, um Rechtshilfe in Anspruch zu nehmen, die Kostas
       Organisation Immigranten anbietet. Oder einfach nur sonntags zum
       Fußballspielen mit den Einheimischen.
       
       Daniel, ein Nigerianer, der in der Hoffnung auf ein besseres Leben sein
       Modegeschäft in Lagos aufgegeben hat und sich als CD-Verkäufer auf
       Kommission in Exarchia durchschlägt, hat die neuen Regierungsmaßnahmen
       selbst erlebt: „Die Polizei hat uns neulich umzingelt, in einen Bus
       geschubst, auf eine Wache gefahren und dort unsere Papiere überprüft.
       Meiner Meinung nach ist das nicht die richtige Art“, sagt John. „Wenn du
       Papiere überprüfen willst, dann musst du das mit Respekt machen, ohne die
       Menschen zu blamieren und in Angst zu versetzen.“
       
       ## Arm gegen noch ärmer
       
       Kostas Argaliotis hört Daniel nachdenklich zu. „Krisen polarisieren immer“,
       erklärt er. „Die Faschisten haben dadurch großen Zuwachs bekommen und tun
       jetzt so, als schützen sie die Griechen vor den Immigranten.“ Dabei
       spielten sie verarmte Griechen gegen noch ärmere Immigranten aus. Und der
       Staat helfe sogar dabei, um von der eigenen Verantwortung abzulenken.
       
       „Heute sind es die Immigranten, die von der Gesellschaft ausgeschlossen und
       angefeindet werden. Morgen kommen die mittellosen Griechen dran“, sagt
       Argaliotis. „Die griechische Gesellschaft befindet sich durch die Krise in
       einem Schockzustand.“ Er setzt auf Aufklärungs- und Solidaritätsaktionen
       gegen die Propaganda der Rechten. „Doch es könnte dauern, bis unsere Arbeit
       Früchte trägt.“
       
       Vor Griechenland liegt ein weiter Weg, bis die finanzielle, politische und
       auch moralische Krise überwunden ist. Omar, Daniel und Lomdo wollen nicht
       so lange warten. Für alle drei steht fest: Sie wollen weg, so schnell wie
       möglich.
       
       6 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Elena Beis
       
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