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       # taz.de -- 108.-109. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Keine Haft für Human Rights Watch
       
       > Die HRW-Expertin Anneke van Woudenberg soll nach dem Willen der
       > Verteidigung ihre Informanten im Kongo preisgeben. Doch das Gericht folgt
       > der Forderung nicht.
       
   IMG Bild: Human Rights Watch engagiert sich seit Jahren im ruandisch-kongolesischen Grenzgebiet.
       
       STUTTGART taz | Der Ton im Kriegsverbrecherprozess gegen Ignace
       Murwanashyaka und Straton Musoni, Präsident und 1. Vizepräsident der im
       Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur
       Befreiung Ruandas), vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wird schärfer. Die
       Verteidigung beantragte am 22. Oktober Ordnungsgeld oder Ordnungshaft nach
       §70 der Strafprozessordnung gegen Anneke van Woudenberg, Kongo-Expertin der
       Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“.
       
       Anneke van Woudenberg hatte an den ersten beiden Tagen ihrer Befragung in
       Stuttgart am 15. und 17. Oktober beeindruckende Aussagen über ihre
       Erkenntnisse zu FDLR-Kriegsverbrechen im Kongo gemacht hatte. Grund für den
       Antrag der Verteidigung jetzt war, dass van Woudenberg sich wiederholt
       geweigert hat, die Quellen ihrer Erkenntnisse namentlich zu nennen – also
       die kongolesischen Opfer und Augenzeugen im Kriegsgebiet sowie lokale
       Behörden und Menschenrechtsaktivisten.
       
       Die Zeugin sei als Senior Researcher einer nichtstaatlichen Organisation
       Privatperson und daher zur Aussage verpflichtet, so der gemeinsame Antrag
       der beiden Verteidigungen. Bei der Aufklärung von Verbrechen dürfe die
       Identität von Informanten nicht geschützt werden. Die Verteidigung habe
       keine Möglichkeit, ohne die Herausgabe von Quellen Angaben zu verifizieren,
       dadurch sei die Arbeit der Verteidigung unzulässig beschränkt.
       
       Van Woudenberg berief sich darauf, dass sie nur unter der Bedingung der
       Zusicherung, ihre Quellen nicht nennen zu müssen, überhaupt zur Aussage
       bereit gewesen war. Im Antrag der Verteidigung hieß es nun, es gelte für
       sie „umfassende Aussagepflicht“.
       
       Der Senat lehnte den Antrag der Verteidigung ab und berief sich auf §53 der
       Strafprozessordnung, in dem es unter anderem heißt: „(1) Zur Verweigerung
       des Zeugnisses sind ferner berechtigt: (...) 5: Personen, die bei der
       Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken,
       Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder
       Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten
       berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben. Die in Satz 1 Nr. 5 genannten
       Personen dürfen das Zeugnis verweigern über die Person des Verfassers oder
       Einsenders von Beiträgen und Unterlagen oder des sonstigen Informanten
       sowie über die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen,
       über deren Inhalt sowie über den Inhalt selbst erarbeiteter Materialien und
       den Gegenstand berufsbezogener Wahrnehmungen.“
       
       Nach Meinung der Verteidigung gilt dies nur für Journalisten; nach Meinung
       des Senats aber gilt es auch für die HRW-Expertin, da sie zahlreiche
       Publikationen zum Kongo gemacht habe. „Eine gesetzliche Ausnahme liegt
       nicht vor“, so der Vorsitzende Richter Jürgen Hettich. Verteidigerin
       Ricarda Lang widersprach: auf diese Weise würde das „Journalistenprivileg“
       des §53 ein „Jedermann-Recht“.
       
       ## 44 Tote – woher weiß man das?
       
       In der Folge versuchte die Verteidigung am 3. und 4. Tag der Befragung von
       Anneke van Woudenberg mehrfach vergeblich, genauere Details zur möglichen
       Identität von Informanten von HRW zu erlangen und deren Angaben zu
       hinterfragen. So ging es um den HRW-Bericht „You Will Be Punished“ über
       Kriegsverbrechen bewaffneter Gruppen im Kongo 2009 – eine zentrale
       öffentliche Quelle für die der FDLR vorgeworfenen Verbrechen – und die
       Angaben darin über ein Massaker im Dorf Mianga, bei dem dem Bericht zufolge
       44 Zivilisten und der Dorfvorstehern getötet wurden. „Augenzeugen und
       Beerdigungshelfer“ hätten diese Zahl genannt, wiederholte Anneke van
       Woudenberg ihre bereits zuvor dazu getätigte Aussage.
       
       Auf Nachfrage präzisierte die HRW-Expertin: das hätten sowohl Kämpfer
       lokaler kongolesischer Mai-Mai-Milizen gesagt, die bei der Beerdigung der
       Opfer halfen, als auch „Zivilisten, die bei den Beerdigungen halfen, und
       von Zivilisten, die bei dem Angriff dabei waren“.
       
       „War es eine unmittelbare Wahrnehmung, dass 44 starben, oder ist es
       möglich, dass ein Teil etwas sah und die anderen haben es zum Beispiel von
       den Beerdigungshelfern gehört?“ fragt Murwanashyakas Rechtsanwalt Sauer.
       „Das ist nicht auszuschließen“, wiederholt van Woudenberg. Aber: „Wir haben
       die Zeugen an verschiedenen Orten befragt. Mianga ist klein... die
       Informationen waren konsistent und glaubwürdig... Alle waren klar über die
       44 Zivilisten und den Dorfvorsteher.“
       
       Die Verteidigung möchte nun genau wissen, wer die 44 Opfer waren. HRW
       erstellte nämlich aufgrund der Zeugenaussagen und der Hilfe von
       Beerdigungshelfern im Kongo Listen der Toten, soweit möglich. Wie das geht,
       wenn es verschiedene Quellen gibt, fragt die Verteidigung. „Ich stelle
       Fragen“, antwortet van Woudenberg. „Ich lade Sie mal ein, in den Kongo zu
       kommen und unsere Arbeit zu sehen.“
       
       ## Vertrauliche Opferlisten
       
       Aber es gab auch Listen ohne Namen, nur mit der Anzahl von Toten, bohrt die
       Verteidigung weiter. „In den 13 Jahren meiner Arbeit hatten wir vor allem
       Zahlen statt Namen“, bestätigt van Woudenberg. „Aber 2009 gab es eine hohe
       Anzahl an glaubwürdigen Namen. Aber ich kann nicht sagen, dass wir zu den
       44 Personen in Mianga alle Namen haben... Viele Dörfer waren klein, die
       Menschen erinnerten sich und kannten die Nachbarn und Familienangehörigen“.
       Man habe die Zeugen gebeten, die Namen aufzuschreiben, und Kopien der
       Listen gemacht.
       
       Die Verteidigung will nun, dass diese Listen dem Gericht zur Verfügung
       gestellt werden. „Wir können die Listen nicht rausgeben, da es
       Informationen zu den Informanten gibt. Die Listen wurden mir vertraulich
       übergeben“, erklärt die HRW-Expertin.
       
       Am letzten Tag der Befragung wird dieses Thema wieder aufgenommen: Van
       Woudenberg soll jetzt nicht mehr die Listen übergeben, sondern einfach die
       Namen vorlesen. Anneke van Woudenberg bleibt hart. „Ich kann das Risiko
       nicht eingehen“, sagt sie. „Die Informanten sind entweder
       Familienmitglieder oder nahestehende Personen der Opfer“.
       
       „Wir wollen ja nur die Namen der Toten und nicht die der Informanten“, sagt
       Murwanashyakas Anwältin Ricarda Lang. Anneke van Woudenberg bespricht sich
       mit ihrem deutschen Zeugenbeistand. Diese sagt schließlich: „Wenn wir die
       Namen der Toten preisgeben, ist ein Rückschluss möglich auf die
       Familienmitglieder als Informanten. Wir können sie nicht herausgeben, um
       die Personen nicht zu gefährden.“
       
       Wieder wird ein Antrg auf Ordnungsgeld oder Ordnungshaft gestellt, und
       wieder wird er abgelehnt. Aber die Verteidigung macht immer wieder neue
       Versuche. Sie fragt, wer die Nichtregierungsorganisationen und
       Menschenrechtsorganisationen im Kongo sind, die HRW Informationen
       lieferten. Van Woudenberg nennt auch hier lediglich einige große und
       bekannte Namen.
       
       ## Informationen vorab?
       
       Schließlich will Musonis Verteidigung wissen, ob Anneke van Woudenberg vor
       ihrer Aussage in Stuttgart Informationen zum laufenden Verfahren bekommen
       hat. Sie habe von der in Stuttgart lebenden HRW-Vertreterin Informationen
       darüber erhalten, wie Human Rights Watch bisher in der Verhandlung vorkam,
       antwortet sie; auch eine Liste der bisher aufgetretenen Zeugen habe sie
       bekommen, was die Verteidigung erstaunt – obwohl es ja eine öffentliche
       Verhandlung ist und Human Rights Watch im Zusammenschluss mit anderen
       Organisationen eine regelmäßige Prozessbeobachtung vornimmt.
       
       Zum Inhalt der Zeugenaussagen habe sie allerdings nichts erfahren, betont
       Anneke van Woudenberg. Nur über Rechtsfragen: „Die Frage nach vertraulichen
       Quellen ist eine Rechtsfrage bei vielen Verfahren, die HRW beobachtet, ich
       weiß, dass es auch hier eine Problematik ist... Daher kommt der Entschluss,
       dass es wichtig ist, dass ich eine Anwältin dabei habe und die Quellen
       vertraulich bleiben.“
       
       In einem Punkt ist die Aussage von Anneke van Woudenberg für die
       Verteidigung hilfreich: Deutlicher als jeder bisherige Zeuge sagt sie, dass
       ihrer Ansicht nach Befragungen in Ruanda zweifelhaft seien, da die Gefahr
       der Manipulation durch Ruandas Regierung bestünde und Zeugen „gecoacht“
       würden. Dies bezieht sie vor allem, aber nicht nur, auf das
       Demobilisierungslager Mutobo, von dem sie allerdings zu Beginn ihrer
       Befragung gesagt hatte, dass sie dort nie gewesen ist. Die Frage, ob
       Befragungen in Ruanda in diesem Verfahren verwertbar sind, ist von
       grundsätzlicher Bedeutung.
       
       Human Rights Watch ist in Ruanda nicht wohlgelitten und steht seit Jahren
       im Clinch mit der ruandischen Regierung. Anneke van Woudenberg spricht
       davon, dass es internationale Akademiker gebe, die keine Visa zur Einreise
       nach Ruanda erhielten. Eine Frage der Verteidigung, diese Akademiker
       namentlich zu nennen – wohl damit sie als Zeugen geladen werden können, um
       die These zu untermauern, dass in Ruanda durchgeführte Zeugenbefragungen
       wertlos seien – wird allerdings vom Senat abgelehnt mit der Begründung,
       dass die Frage der Akademiker nicht auf die Manipulation von Zeugen
       zurückzuführen sei.
       
       Redaktion: Dominic Johnson
       
       5 Nov 2012
       
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