# taz.de -- Kommentar Koalitionsgipfel: Fatale Botschaften
> Die Herdprämie eingeführt und keine sinnvolle Rentenreform – Schwarz-Gelb
> wird Deutschland mit ihrer dysfunktionalen Politik eine massive
> Altersarmut bescheren.
IMG Bild: Was die Koalition mit dem Betreuungsgeld skizziert, sendet die fatale Botschaft, dass der Staat langes zu Hause bleiben belohnt.
Die Regierung hat sich die letzten drei Jahre hauptberuflich vor allem
gestritten. Ihr Verdienst ist es allerdings, Deutschland ein massive
Altersarmut zu bescheren. Damit werden alle weiteren Regierungen zu kämpfen
haben. Die Beschlüsse der Koalition muten kleinteilig, irgendwie irrelevant
an. Falsch. Sie werden eine große gesellschaftspolitische Wirkung
entfalten. Und sie umreißen, was Schwarz-Gelb am Ende der Republik
hinterlässt. Der Reihe nach:
Die CSU bekommt ihr unseliges Betreuungsgeld. Das war zu erwarten.
Erpressung funktioniert in der Politik eben doch, und CSU-Chef Horst
Seehofer hatte nie einen Zweifel daran gelassen, für wie unverzichtbar er
dieses anachronistische Instrument im bayerischen Landtagswahlkampf hält.
Loben muss man die Koalition für die unfreiwillige Verspätung, die wegen
der Uneinigkeit der drei Partner entsteht. Ein Betreuungsgeld, dass erst ab
dem 1. August 2013 greift, kann eine Nachfolgeregierung problemlos wieder
abschaffen, weil sich die Menschen noch nicht daran gewöhnt haben.
Die FDP schmückt sich im Gegenzug damit, die Abschaffung der Praxisgebühr
durchgesetzt zu haben. Ungewöhnlich ist dabei nicht, dass dies ein
offensichtlicher Kuhhandel ist, wie es die Opposition nun skandalisiert.
Kuhhändel haben unter Regierungen jeglicher Coleur stattgefunden, ohne sie
fände Politik nicht statt.
Nein, ungewöhnlich ist vielmehr, welch kleine Münze die Freidemokraten
inzwischen als Erfolg verkaufen. Die Praxisgebühr ist gescheitert, sie
entfaltete nachweislich nicht die gewünschte Lenkungswirkung, dass Menschen
weniger häufig verschiedene Fachärzte aufsuchen. Sie angesichts
Milliardenüberschüssen der Krankenkassen wieder einzukassieren fordert
sogar die Linkspartei. Wie verzweifelt muss Philipp Röslers FDP sein, dass
sie einen Konsens mit den Sozialisten als Großtat bewirbt?
## Deutschland droht eine breite Verarmung
Das einzig wichtige Thema, das am Sonntagabend auf dem Tisch lag, war die
Bekämpfung von Altersarmut. Die deutsche Gesellschaft rauscht auf ein
riesiges Problem zu, welches von der Politik nur langsam realisiert wird.
In zwanzig, dreißig Jahren werden große Teile der älter werdenden
Gesellschaft in Armut leben, weil dann Millionen Arbeitnehmer, die heute
für Niedriglöhne arbeiten, in Rente gehen – und Millionen Frauen mit
unterbrochenen Erwerbsbiografien. Für diese Umwälzung des bundesdeutschen
Wohlstandsmodells („Die Rente ist sicher!“) bietet Schwarz-Gelb keinerlei
Lösung an.
Die Grundidee, Geringverdienerrenten aus Steuermitteln aufzustocken ist
grundsätzlich erstmal nicht falsch. Doch was Schwarz-Gelb den Menschen
konkret anbietet, ist keine realitätstaugliche soziale Abfederung, sondern
eine Verhöhnung der Arbeitnehmer. Wer 40 Jahre lang in die Rentenkasse
eingezahlt hat, also 40 Jahre unterbezahlt schuftete, soll 10 bis 15 Euro
im Monat mehr bekommen als die Grundsicherung. Wie schön, das reicht ja mit
Glück sogar für einen Kinobesuch. Die Kassiererin, die ihr Leben lang im
Akkord Milchtüten über den Scanner zog, wird sich bedanken.
Besonders eine gesellschaftliche Gruppe ist von Altersarmut bedroht:
Frauen, die sich für die Erziehung ihrer Kinder lange aus dem Beruf
verabschiedeten, haben später mit dem Wiedereinstieg in den Beruf zu
kämpfen. Oft erfahren sie nach mehreren Jahren Kinderpause eine dramatische
Abwertung ihres Marktwertes und müssen auf Teilzeitstellen wieder
einsteigen, die nicht ihrer Qualifikation entsprechen.
Das Betreuungsgeld sendet die fatale Botschaft, dass der Staat langes zu
Hause bleiben nicht nur gut heißt, sondern auch belohnt. Diese Frauen
jedoch sind es, die später mit Armutsrenten kämpfen. Die Koalition
ignoriert dieses Problem also nicht nur, sondern verstärkt es durch ihre
dysfunktionale Politik massiv.
5 Nov 2012
## AUTOREN
DIR Ulrich Schulte
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