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       # taz.de -- Wahlrecht für Häftlinge in Großbritannien: Weggesperrt und entrechtet
       
       > Der Europäische Gerichtshof hat geurteilt, dass Gefangene in
       > Großbritannien auch wählen dürfen müssen. Doch nicht einmal die
       > Opposition will das auch umsetzen.
       
   IMG Bild: Möchte hier nicht auch noch Wahlkampf machen müssen: Premier David Cameron besucht ein Gefängnis.
       
       BERLIN taz | Im britischen Parlament herrscht Unklarheit über die Umsetzung
       eines europäischen Gerichtsurteils, wonach die Verweigerung des Wahlrechts
       für Häftlinge illegal ist. Premierminister David Cameron hatte letzte Woche
       im Parlament erneut erklärt, dass er dies nicht zu ändern gedenke: „Solange
       wir regieren, werden Gefangene das Wahlrecht nicht erhalten, daran braucht
       niemand zu zweifeln!“
       
       Der britische Generalstaatsanwalt Dominic Grieve warnte daraufhin vor
       Konsequenzen. Denn nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für
       Menschenrechte vom Mai verstößt ein Mitgliedsstaat gegen die
       Menschenrechte, wenn er Gefangenen das Wahlrecht generell verwehrt. Nur
       eine teilweise Aberkennung des Wahlrechts, etwa für bestimmte Verbrechen,
       ist legitim. Eine Frist, die Großbritannien für die Umsetzung der
       Entscheidung gesetzt wurde, läuft am 22. November ab.
       
       Nach Auskunft des britischen Justizministeriums an die taz prüft man jetzt
       die Auswirkungen des Urteils und die Optionen der Regierung. Zugleich aber
       gelte Camerons Aussage, dass sich nichts ändere. Das kaschiert nur schwer
       einen Zwiespalt in der konservativ-liberalen Regierungskoalition: Vince
       Cable, liberaler Unternehmensstaatssekretär, hatte gesagt, seine Partei
       schlage vor, dass Richter über das Wahlrecht von Verurteilten entscheiden
       sollten. Zur taz sagt das Justizministerium dazu, Cable sei nicht befugt,
       über dieses Thema zu sprechen, denn „er ist weder Justizminister noch
       Premierminister“.
       
       Henk van Klaveren, Pressesprecher der Liberaldemokraten, findet diese
       Reaktion unverständlich. Cable habe durchaus das Recht, im Parlament eine
       Meinung zu Themen außerhalb seines Ministeramtes zu äußern. Sadiq Khan,
       Justizsprecher der oppositionellen Labour-Partei, sagt: „Die Verwirrung der
       konservativ geführten Regierung um die Frage, ob zu Gefängnisstrafen
       verurteilte Straftäter jetzt das Wahlrecht erhalten oder nicht, ist wieder
       mal ein Beispiel für die chaotische Weise, in der sie unser Land regiert.“
       Aber auch Labour ist gegen eine Lockerung des Wahlverbots: „Die
       Öffentlichkeit wird sich jetzt zu Recht Sorgen darüber machen, ob
       Gewalttäter mitentscheiden können, wer unser Land regiert.“
       
       Der Streit geht auf ein Urteil des Gerichtshofs von 2006 zurück. Damals
       hatte ein inhaftierter Brite die damalige Labour-Regierung verklagt. Die
       jetzt gesetzte Frist entstand durch ein neuerliches Urteil über eine Klage
       aus Italien, wo Strafgefangene bei einer Strafe von über fünf Jahren ihr
       Wahlrecht endgültig verlieren. Dies ist nach Ansicht des Gerichtshofs
       legal, weil es ein Auswahlverfahren gibt – aber es muss eben ein
       Auswahlverfahren geben.
       
       31 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Zylbersztajn
       
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