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       # taz.de -- Schlagloch sexuelle Gewalt: Linke Herrenwitze
       
       > Noch immer heißt nein nicht nein. Über die vielen Facetten sexueller
       > Gewalt.
       
   IMG Bild: Pornografie legitimiert sexistische Einstellungen: „Es muss ja nicht jeder vor dem Reinstecken gefragt werden." (G. Galloway)
       
       In den letzten Wochen und Monaten überschlugen sich die Meldungen zum
       NSU-Skandal, zur Beschneidung der Rechte von Flüchtlingen, zu
       Demonstrationen für die Rechte von Flüchtlingen, und dann wieder zu
       Menschenrechtsverletzungen an Demonstranten für Flüchtlinge. All diese
       Ereignisse werfen wichtige Fragen auf, aber eines sollte in ihrem Schatten
       nicht untergehen: Die letzten Monate waren auch voller Meldungen zu
       sexueller Gewalt.
       
       Gleich abgestraft wurde zum Glück der spanische Top-Beamte José Manuel
       Castelao, der es Anfang Oktober mit dem Herrenwitz versuchte: „Mit den
       Gesetzen ist es wie mit den Frauen: Sie sind da, um missbraucht zu werden.“
       Jetzt ist er sein Amt los. Außerdem, so könnte man argumentieren, ist der
       Mann 71 – die Generation stirbt aus.
       
       Nicht aussterben will hingegen das Konzept des „Gebrauchs“ von Frauen.
       Anders kann ich mir nicht erklären, warum wir im Deutschen immer noch von
       „Missbrauch“ sprechen. Man kann das geschenkte Vertrauen missbrauchen, weil
       es eine angemessene Art gibt, mit ihm umzugehen. Kinder und Frauen dagegen
       werden nicht verschenkt, dennoch kann man beide im Deutschen
       „missbrauchen“. Ist das wirklich angemessen ausgedrückt?
       
       ## Juristischer Sinn
       
       Vielleicht bin ich da zu wortklauberisch. Breites Entsetzen löste
       jedenfalls die Meldung vom September diesen Jahres aus, derzufolge in Essen
       ein Mann freigesprochen wurde, der (selbst 30 Jahre alt) mit einer damals
       15-Jährigen gegen ihren Willen Sex hatte. Diese mutige junge Frau hatte
       also Anzeige wegen Vergewaltigung erstattet und bekam jetzt zum Lohn zu
       hören, sie habe sich halt nicht laut und nicht tatkräftig genug gewehrt.
       
       Die Urteilsbegründung verwundert wohl nur uns Laiinnen, die wir anscheinend
       ein Recht weniger haben, als wir bisher dachten. Es scheint nämlich auch
       bei der Richterin kein Zweifel daran bestanden zu haben, dass der
       Angeklagte gegen den Willen des Mädchens Sex praktizierte. Nur – es war im
       juristischen Sinn keine Vergewaltigung.
       
       Der Verband „bff: Frauen gegen Gewalt“ kommentierte bedauernd, das Urteil
       befinde sich (leider) im Einklang mit deutschen Gesetzen. „Anders als in
       anderen Ländern, setzt das deutsche Strafrecht bei einer Vergewaltigung
       eine Nötigung des Opfers voraus. Die sexuelle Handlung muss also entweder
       mit Gewalt, mit Drohung mit einem empfindlichen Übel oder aufgrund einer
       schutzlosen Lage erzwungen worden sein. Wird eine sexuelle Handlung „nur“
       gegen den ausdrücklichen Willen des Opfers durchgeführt, so ist dies nach
       deutschem Recht nicht strafbar.“
       
       No means no? Wenn man einer Untersuchung der Universitäten von Middlesex
       und Surrey aus dem Dezember 2011 folgt, rechtfertigen sich Vergewaltiger
       bis heute mit den alten Sprüchen, die Frauen hätten sie provoziert. Oder
       die Frauen hätten doch tatsächlich Sex gewollt, obwohl sie Nein gesagt
       hätten.
       
       Das wirklich neue, schockierende Ergebnis dieser Studie besteht jedoch
       darin, dass einer Vielzahl von (nicht vergewaltigenden, also „normalen“)
       Männern Zitate sowohl von Vergewaltigern als auch aus Herrenmagazinen
       vorgelegt wurden – und sie beide Quellen ständig verwechselten. Was
       Vergewaltiger sagten, um ihre Tat zu rechtfertigen, ging im Blindversuch
       als üblicher Inhalt eines Pornohefts durch.
       
       ## Porno und Prostitution
       
       Daraus schlossen die Leiter der Studie: „Diese Zeitschriften unterstützen
       die Legitimierung sexistischer Einstellungen und Verhaltensweisen. Wir sind
       weder Spielverderber noch prüde. Aber werden Teenager und junge Männer
       wirklich gut auf ein erfülltes Liebes- und Sexualleben vorbereitet, wenn
       sie (also diese Medien) Frauenbilder normalisieren, die in verstörendem
       Maße dem von Vergewaltigern ähnelt?“ Vom Pornoheft zur Prostitution.
       
       Die Frauenbewegung wurde für ihre Kritik der Prostitution oft kritisiert,
       und doch ist eines ja wohl unstrittig: Bei solchem Sex muss die Frau nicht
       von sich aus wollen, nicht empfinden, nicht genießen. Ein Mann zahlt, und
       eine Frau stellt sich zur Verfügung. Es reicht, wenn sie geschehen lässt.
       Diese Form von unilateraler Sexualität wird nicht nur, aber auch in der
       Prostitution institutionalisiert, normalisiert und eingeübt. Auch ganzen
       Generationen von (Ehe-)Frauen wurde ja einst empfohlen, sich hinzulegen und
       „ans Vaterland zu denken“.
       
       ## Galloways „Reinstecken“
       
       Eine ähnliche Idee findet sich heute noch selbst bei gestandenen Linken,
       wie zum Beispiel dem britischen Unterhausabgeordneten George Galloway, den
       die Labour-Partei 2003 wegen seiner Opposition zum Irakkrieg ausschloss.
       Kürzlich verteidigte er Julian Assange mit den Worten: „Es muss ja nicht
       jeder vor jedem Reinstecken gefragt werden.
       
       Manche Leute denken, wenn man mit jemandem ins Bett geht, die Kleider
       auszieht und Sex mit einem hat, dann ist man im sex game. Es zeugt
       vielleicht von schlechten Manieren, wenn man jemandem nicht vorher auf die
       Schulter tippt und fragt: Macht es dir etwas aus, wenn ich’s noch mal
       mache?“
       
       Ob es ihr auch nichts „ausmacht“? Frappierend an Galloways jovialer
       Schilderung ist, dass er es normal findet, wenn ein Mann mit einer Frau Sex
       hat, ohne sich im Mindesten dafür zu interessieren, ob sie welchen will.
       
       Entlarvend ist also nicht erst sein Satz „Es muss nicht jeder gefragt
       werden“, sondern bereits die Idee, man solle, um „gute Manieren“ zu
       beweisen, vorher rasch um Erlaubnis fragen. Denn wenn „Erlaubnis“ reicht,
       dann ist es nicht Sex zu zweit, sondern in der Tat nur „Reinstecken“.
       
       Und das ist eben frauenfeindlich. Es unterstellt, dass Begehren nur von
       Seiten des Mannes in Richtung der Frau verläuft; dass der weibliche Körper
       nicht eigenem Lustempfinden, sondern nur dem Erregen und Stillen der Lust
       eines anderen dienen soll; dass weibliches Begehren unsichtbar und dass es
       eigentlich auch irrelevant ist.
       
       Männer, die Frauen als Personen mit eigener Sexualität wahrnehmen und
       begehren, wollen, dass diese Frauen auch sie beim Sex begehren. Die anderen
       betreiben Vergewaltigung, „Missbrauch“ oder im mildesten Fall halt bezahlte
       oder unbezahlte Masturbation am lebenden Objekt.
       
       31 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hilal Sezgin
       
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