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       # taz.de -- Merkel trifft Erdogan: „Wir erstarken von Tag zu Tag“
       
       > Der türkische Premier Erdogan trifft Kanzlerin Merkel. Bei der Eröffnung
       > der türkischen Botschaft gab er sich moderat. Die Grünen erwarten in der
       > Frage des EU-Beitritts einen Kurswechsel.
       
   IMG Bild: Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan auf Staatsbesuch in Deutschland
       
       BERLIN dpa | Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) trifft am Dienstag mit dem
       türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan zusammen. Im
       Mittelpunkt des Gesprächs im Kanzleramt dürften der Bürgerkrieg in Syrien
       und die Lage der syrischen Flüchtlinge stehen. Erdogan hatte gestern Abend
       in Berlin die neue türkische Botschaft eröffnet.
       
       In der Türkei sind bisher mehr als 100 000 syrische Flüchtlinge angekommen.
       Die Bundesregierung ist der Ansicht, dass den Flüchtlingen am besten in der
       Region geholfen werden kann. Berlin hat dafür über 50 Millionen Euro an
       humanitärer Hilfe zur Verfügung gestellt. Die Aufnahme von Flüchtlingen in
       Deutschland wird nicht ausgeschlossen, wenn es dafür ein internationales
       Übereinkommen gibt.
       
       Ein Streitthema zwischen Berlin und Ankara ist das Thema Kurden. Erdogan
       wirft Deutschland und Frankreich vor, nicht entschlossen genug gegen
       Anhänger der als terroristisch eingestuften kurdischen PKK vorzugehen. Auch
       die angestrebte, aber in weite Ferne gerückte EU-Mitgliedschaft der Türkei
       dürfte zur Sprache kommen.
       
       Erdogan forderte bei der Botschaftseröffnung mehr Anstrengungen zur
       Integration. „Wir wollen, dass die Türken in Deutschland fließend Deutsch
       sprechen“, sagte er. „In diesem Sinne müssen sie Doppelsprachler sein und
       sich mehr und mehr am Leben beteiligen.“ Nach fast 70 Jahren erhielt die
       Türkei damit wieder eine Vertretung im historischen Botschaftsviertel der
       Hauptstadt.
       
       ## Annäherung an die EU
       
       Außenminister Guido Westerwelle sprach sich in seinem Grußwort für eine
       weitere Annäherung zwischen der Türkei und der Europäischen Union (EU) aus.
       Der Stillstand in den Beitrittsverhandlungen seit zwei Jahren sei für beide
       Seiten nicht gut. Im kommenden Jahr solle hier ein „neuer Anfang“ gemacht
       werden. Die Türkei habe viele Reformen verwirklicht. „Viel bleibt zu tun,
       aber wichtige Etappen sind geschafft“, sagte Westerwelle.
       
       Bei einer europapolitischen Rede bekräftigte Erdogan am Abend das Ziel
       eines EU-Beitritts seines Landes. „Wir bereiten uns darauf vor, dass wir
       Vollmitglied in der EU werden.“ Als Problem benannte er allerdings die
       Zypern-Frage – die Türkei erkennt das EU-Mitglied Zypern nicht an.
       Selbstbewusst bot der türkische Regierungschef auch Hilfe in der Euro-Krise
       an. „Wir erstarken von Tag zu Tag“, sagte er. Die Türkei werde jeden
       Beitrag leisten, damit die Euro-Krise überwunden werden könne. Sein Land
       werde keine Belastung für die EU sein. „Wir kommen, um Last zu übernehmen“,
       sagte Erdogan.
       
       Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir warnte davor, der Türkei einen
       EU-Beitritt zu verwehren. „Wir sind jetzt in einem Stadium, in dem es
       wichtig ist, den Prozess am Laufen zu halten“, sagt er der Schwäbischen
       Zeitung. „Wir können kein Interesse daran haben, dass sich in der Türkei
       die falschen Kräfte durchsetzen.“ Mit ihrer Größe und Wirtschaftskraft
       könne sich die Türkei leicht überschätzen - die EU könnte sie davor
       bewahren.
       
       Auch Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin forderte die Bundesregierung zum
       Kurswechsel in der Türkei-Politik auf. In einem Gespräch mit der Neuen
       Osnabrücker Zeitung sagte er: „Die Türkeipolitik von Frau Merkel bedarf
       einer grundsätzlichen Überprüfung.“ Die Türkei unter Erdogan habe sich im
       Vergleich zu der Zeit vor 15 Jahren „erheblich zum Positiven“ verändert.
       
       Bei der Botschaftseröffnung sagte Erdogan, Türken in Deutschland sollten
       nicht nur türkische Autoren kennen, „sondern auch Hegel, Kant und Goethe
       verstehen“. In Deutschland leben rund 2,5 Millionen Menschen mit türkischen
       Wurzeln, in Berlin haben mehr als 100 000 Menschen einen türkischen Pass.
       Mehrere Gruppen, etwa die Minderheit der Aleviten, hatten Demonstrationen
       gegen Erdogan angekündigt.
       
       31 Oct 2012
       
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