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       # taz.de -- Nordische Filmtage: Heinz verändert die Welt
       
       > Die Fotografin Linn Marx hat den Kieler Musiker und Dichter Heinz Ratz
       > bei seinem "Moralischen Triathlon" gefilmt. Herausgekommen ist ein
       > außergewöhnlicher Film, der heute bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck
       > zu sehen ist
       
   IMG Bild: Schwimmen gegen das Artensterben: der Kieler Künstler Heinz Ratz
       
       LÜBECK taz | Heinz also. Heinz, wie er unter den Blicken einer skeptisch
       schauenden Schar vom Ufer aus ins vermutlich kalte Wasser steigt (die
       Zuschauer tragen nämlich dicke Jacken). Heinz, wie er im Bodensee schwimmt,
       die schneebedeckten Alpen sind gut im Hintergrund auszumachen. Heinz, wie
       er inmitten einer Schar fröhlicher Kanuten durchs Wasser krault (da muss es
       also Sommer gewesen sein). Und nicht zuletzt immer wieder Heinz, wie er
       unter seiner blauen, genoppten Badekappe recht zufrieden in die Welt
       schaut.
       
       Neben Heinz paddelte Linn Marx, Fotografin aus der Nähe von Kiel, die mit
       dem Kieler Musiker und Dichter Heinz Ratz seit Langem befreundet ist.
       Entsprechend hat sie ihn und seine Band Strom und Wasser schon diverse Male
       abgelichtet. Also war es auch keine Frage, dass sie ihn bei seinem Projekt
       „Der moralische Triathlon“ begleitete.
       
       Zunächst absolvierte Ratz im Jahr 2008 eine 960 Kilometer lange Wanderung,
       um Geld für Obdachlose zu sammeln und auf deren Lage aufmerksam zu machen –
       sein „Lauf gegen die Kälte“. Als nächstes schwamm er im Frühsommer 2009 von
       Lindau am Bodensee bis hoch nach Kiel, um auf das Artensterben nicht nur,
       aber auch in den Flüssen aufmerksam zu machen – das „Flussprojekt“. Dritte
       Disziplin: 5.500 Kilometer Rad fahren quer durch die Republik. Dabei
       besuchte er im Jahr 2011 rund 80 Flüchtlingsunterkünfte, um öffentlich zu
       machen, unter welch erbärmlichen Bedingungen Menschen untergebracht werden
       – die „Tour der 1.000 Brücken“.
       
       Und während Heinz eben wanderte, schwamm und mit dem Rad die Kilometer
       hinter sich ließ, abends mit seinen Musikern in der jeweils erreichten
       Stadt auf einer Bühne stand, reifte die Idee, all dies filmisch zu
       dokumentieren.
       
       Es ist ein ungewöhnliches Projekt, und so ist es ein ungewöhnlicher
       Dokumentarfilm geworden: ein Fotofilm, gefertigt allein mit Linn Marx’
       Fotokamera, nur sehr gelegentlich nutzte sie deren Videofunktion. Kein
       extra Ton wurde genutzt, keine Szene wurde nachgestellt. „Nur die
       Interviews mit Heinz habe ich nachträglich und mit Hilfe eines Stativs
       gedreht“, erzählt Marx. „Ansonsten: schnell Kamera raus, zack, Aufnahme.“
       
       Der Film sei fürs Hirn anstrengend, sagt sie und lacht kurz ein wenig
       verlegen. Doch dem ist mitnichten so. Vielmehr ist ihr Film dank seiner
       gelungenen Montage aus Hunderten ausgesuchter Fotos, prägnanten
       Interviewpassagen, einigen eingestreuten Konzertmitschnitten, der Musik und
       eingesprochenen Gedichten sehr sorgsam komponiert, strahlt eine ganz eigene
       Ruhe aus. Gut auch, dass Marx sich ganz auf Heinz konzentriert hat, dass
       sie auf jeden Off-Kommentar verzichtet und wahrhaft ihre Bilder und eben
       Heinz sprechen lässt.
       
       Für sie selbst war das Projekt nicht minder kräftezehrend: „Ich hab‘ zwar
       Zweitausend-irgendwasmal einen Kurzfilm gedreht, aber ich verstand zunächst
       nicht wirklich etwas vom Filmemachen“, sagt sie. Was später am
       Schneidetisch zu sehen war, stieß bei Kollegen und Bekannten nicht immer
       auf die reine Zustimmung, und sie reißt die Hände hoch, macht vor, was es
       so zunächst für Reaktionen gab: „Die Leute haben gesagt: ’So kann man das
       nicht machen! Da gibt es Standards!‘“
       
       Sie hat Ratschläge angenommen, kritischen Einwänden zugehört – aber sie hat
       sich in der Grundkonstruktion ihres Filmes nicht beirren lassen und auf die
       Kraft des einzelnen, für sich stehenden Bildes gesetzt, statt „wild mit der
       Kamera herumzuschwenken“. Sie sagt: „Zwischendurch hatte ich so die
       Schnauze voll, auch weil ich so überfordert war. Aber ich dachte: ’Nee, du
       ziehst das jetzt durch‘.“
       
       Sehr hilfreich war dabei die Arbeit der Kieler Filmwerkstatt, wie auch die
       Unterstützung durch die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein: „Die
       haben mir allein bei diesem Marketingding sehr geholfen. Ich wusste doch
       nicht, dass man einen FSK-Stempel braucht, wenn man eine DVD produziert, um
       sie an Festivals zu verschicken und was das kostet.“
       
       Marx’ Film „Heinz Ratz – Der moralische Triathlon“ läuft im Filmforum der
       diesjährigen Nordischen Filmtage in Lübeck, das stets am ersten
       Novemberwochenende aktuelle Produktionen aus dem norddeutschen Filmschaffen
       zeigt. Das Spektrum reicht vom knackigen Dreiminüter über die halbstündige
       Dokumentation bis zum abendfüllenden Spielfilm, nur norddeutsch muss es
       zugehen.
       
       Heinz Ratz hat inzwischen mit seiner Band die CD „Strom & Wasser featuring
       The Refugees“ eingespielt, bei der musikalisch talentierte oder sogar
       ausgebildete Flüchtlinge mitmachen. Linn Marx hat das Filmemachen so gut
       gefallen, das sie sich mit dem nächsten Filmprojekt beschäftigt. Was es
       werden könnte, sei noch nicht spruchreif, aber in Art und Weise des
       Heinz-Filmes könnte es daherkommen.
       
       Erst einmal aber ist sie gespannt auf die Reaktionen bei dem Nordischen
       Filmtagen. Sie dreht sich eine Zigarette, hält sie einen Moment lang
       unangezündet zwischen den Fingern, sagt dann: „Ich bin total überrascht,
       dass der Film jetzt in richtigen Kinos gezeigt wird.“
       
       31 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Keil
       
       ## TAGS
       
   DIR Flut
       
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