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       # taz.de -- Kriegsberichterstattung in Syrien: „Wir gehen. Sie bleiben.“
       
       > Die Krisenberichterstattung in und aus Syrien machen lokale Helfer vor
       > Ort erst möglich. Dafür riskieren sie ihr Leben und die Sicherheit ihrer
       > Familien.
       
   IMG Bild: Reporter ohne Grenzen demonstrieren in Frankreich gegen das Regime Assad und eine freie Presse
       
       Ich habe Boran (Name geändert) Mitte Juli in Nordsyrien kennengelernt.
       Boran spricht fließend Arabisch, Kurdisch, Französisch und Englisch.
       Während meiner Reise durch die umkämpfte Region wurde er mein Dolmetscher
       und „Fixer“, der mir die lokalen Kontakte vermittelte, Autos organisierte
       und Interviews plante. Durch die zusammen erlebten Gefechte und
       Beinaheverhaftungen ist aus dem beruflichen Kontakt schnell eine
       Freundschaft entstanden. Und ich wurde von Borans Familie mit offenen Armen
       empfangen.
       
       Als in einer Stadt Gefechte ausbrachen, hatte Boran sofort ein kleines
       Motorrad für uns beide organisiert. Mit dem rasten wir von einem Hotspot
       zum nächsten. An einer Stelle mussten wir eine Straße kreuzen, die unter
       Beschuss der syrischen Armee stand. Also eng an das Motorrad geschmiegt und
       mit voller Geschwindigkeit losgerast, während die Kugeln über unsere Köpfe
       flogen. So etwas schweißt zusammen. Doch irgendwann kommt der Tag, an dem
       der Journalist weiterzieht – und der „Fixer“ im Kriegsgebiet zurückbleibt.
       
       Natürlich hielten wir Kontakt. Aber Mitte Oktober musste ich erfahren, dass
       Boran wegen seiner Arbeit für weitere ausländische Journalisten in die
       Schusslinie des Regimes geraten ist: Syrische Geheimpolizisten versuchten,
       ihn und einen Fotografen zu verhaften, beide konnten in letzter Sekunde
       fliehen.
       
       ## Familie wird bedroht
       
       Danach kamen Todesdrohungen, Boran floh in den Nordirak. Doch auch dort ist
       er nicht wirklich sicher. Und seine Familie ist weiterhin in Syrien und
       dient dem Regime nun als „Druckmittel“: Seinem Bruder wurde aufgelauert, er
       wurde mit dem Tod bedroht, sollte Boran ausrichten, wenn er nicht
       zurückkehre, sei seine Familie das nächste Ziel.
       
       Gemeinsam mit Kollegen, die auch mit Boran gearbeitet haben, habe ich eine
       „Crisis Group“ gegründet. Wir versuchen, seine Familie und ihn in
       Sicherheit zu bringen. Jeder von uns hat langjährige Kontakte zu
       Hilfsorganisationen in der Region und einige diplomatische Kanäle. Wir
       koordinieren das Ganze über ein verschlüsseltes Forum im Internet, das ein
       Computerexperte uns zur Verfügung gestellt hat. Doch das Gefühl der
       Ohnmacht bleibt – denn haben wir nicht dazu beigetragen, dass er in die
       Schusslinie geraten ist?
       
       Boran ist kein Einzellfall: Ein Kollege von mir war kürzlich zum zweiten
       Mal in Syrien unterwegs, aufseiten der Free Syrian Army (FSA). Wegen seiner
       vorherigen kritischen Berichterstattung gerieten er und sein Dolmetscher
       Dschafar (Name geändert) in den Fokus islamistischer Kräfte: Die FSA
       nötigte meinen Kollegen nachts, das Land zu verlassen, da Islamisten einen
       Anschlag gegen ihn geplant hätten. Bei dieser Aktion wurde Dschafar von ihm
       getrennt und verschwand. Nachdem internationale NGOs eingeschaltet wurden,
       kam heraus, dass Dschafar von der FSA fünf Tage lang verhört worden war –
       und mit der Warnung entlassen wurde, er solle in Zukunft nicht mehr für
       Journalisten arbeiten.
       
       ## Drohende Vergeltung
       
       Diverse internationale Journalisten-Organisationen wie Reporter ohne
       Grenzen weisen in Berichten darauf hin, dass in den letzten Jahren die Zahl
       der getöteten und verletzten „Fixer“, Fahrer und Dolmetscher stetig steigt.
       Allein in Syrien wurden über zehn „Fixer“ getötet und ein Dutzend verletzt.
       Juan Tamayo, ein Veteran des Kriegsjournalismus vom Miami Herald, sagt
       dazu: „Fixer sind viel stärker als wir das Ziel von örtlicher Vergeltung.
       Und das ist so gut wie in jeder Weltgegend so. Wir machen unsere Story; wir
       gehen. Sie bleiben.“
       
       Dennoch gehen viele Journalisten fahrlässig mit ihren Mitarbeitern vor Ort
       um. Anfang des Jahres beschwerte sich ein syrischer „Fixer“, dass die
       meisten westlichen Journalisten nur den schnellen Ruhm suchten und die
       Gefahr einer Verhaftung – insbesondere für den „Fixer“ und seine Familie –
       ignorierten. Viele „Fixer“ suchen sich nach solchen Erlebnissen einen neuen
       Job.
       
       Dass diese Entwicklung langfristig eine adäquate Berichterstattung
       unmöglich macht, wird dabei oft vergessen. Denn ohne „Fixer“ kein Zugang zu
       Kriegsgebieten – und somit keine Berichterstattung. Daher muss diesen
       „vergessenen Helden“ in Zukunft wesentlich mehr geholfen werden als bisher.
       
       Wir versuchen mit unserer Aktion für Boran einen ersten Schritt in diese
       Richtung zu gehen. Und vielleicht sogar andere Kollegen zu motivieren, im
       Notfall dem „Fixer“ genauso beizustehen wie einem Freund oder Kollegen.
       
       29 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benjamin Hiller
       
       ## TAGS
       
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