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       # taz.de -- Wahlen in der Ukraine: „Kampf um europäische Standards“
       
       > Ihrem Ärger über Präsident Viktor Janukowitsch lassen viele Ukrainer bei
       > der Parlamentswahl freien Lauf. Aber kann die Opposition um Klitschko und
       > Timoschenko davon profitieren?
       
   IMG Bild: Ein ukrainischer Soldat nach der Wahl in Kiew, Ukraine.
       
       KIEW dpa | Wie Fausthiebe teilt der ukrainische Hoffnungsträger Vitali
       Klitschko seine Kritik an der Regierung aus. Die Führung um Präsident
       Viktor Janukowitsch lebe „wie in einer Parallelwelt“, sagt der
       Oppositionspolitiker bei der Stimmabgabe in Kiew-Petschersk. Die
       Parlamentswahl sei ein „Kampf um europäische Standards“, betont der Boxer
       und blickt angriffslustig, als habe er einen wichtigen Kampf.
       
       Im schwarzen Geländewagen und mit Leibwächter fahren Klitschko und seine
       Frau Natalja vor. Scharf prangert der 41-Jährige an, dass die Justiz
       Oppositionsführerin Julia Timoschenko durch eine international kritisierte
       Inhaftierung von der Wahl ausgeschlossen habe. Ersten Prognosen von
       Sonntagabend zufolge schaffte es Klitschkos Partei Udar (Schlag) gleich bei
       ihrer ersten Parlamentswahl in die Oberste Rada. Offen blieb aber zunächst,
       ob der angestrebte Machtwechsel gelingt.
       
       In Kiew hängen an diesem regnerischen Wahltag düstere Wolken über dem
       Unabhängigkeitsplatz, wo einst auch Klitschko mit Hunderttausenden während
       der Orangenen Revolution mehr Demokratie einforderte. Eine Ausstellung mit
       Militärfahrzeugen, die an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnern soll,
       hindert die Menschen daran, sich frei auf dem Platz zu bewegen. Per Dekret
       hat der Staatschef einen Weltkriegs-Gedenktag ausgerechnet auf den Wahltag
       gelegt.
       
       ## Vorsorgliche Verbote
       
       Es wirkt, als fürchte Janukowitsch Proteste – wie damals, als ihm
       Timoschenko und die anderen Revolutionäre den von ihm beanspruchten Sieg
       bei der Präsidentschaftswahl nahmen. Vorsorglich verbietet ein Gericht der
       Hauptstadt alle Demonstrationen bis zum 12. November, damit sich
       Kundgebungen wie 2004 nicht wiederholen.
       
       In den Wahllokalen im Zentrum von Kiew herrscht Andrang. Der Machtkampf in
       der ehemaligen Sowjetrepublik ist in der heißen Phase. Viele sprechen von
       einem Tag der Entscheidung nach enttäuschenden Jahren unter Janukowitschs
       Partei der Regionen. In der Metropole sind wenige Menschen zu treffen,
       denen die Wahl völlig gleichgültig ist.
       
       „Ich habe für die Partei Vaterland von Julia Timoschenko gestimmt, weil
       alles anders werden muss“, sagt der 58 Jahre alte Andrej. Seit der
       Amputation eines Fingers ist der Monteur arbeitslos. Aber als
       „Erwerbsunfähiger“ bekommt er keine staatliche Unterstützung. Andrej will,
       dass Janukowitsch abtritt und die Opposition um Klitschko und die
       inhaftierte Timoschenko die Macht übernimmt. „Mit ihnen gehen wir Richtung
       Europa, mit Janukowitsch bloß Richtung Russland“, sagt er.
       
       ## Reger Betrieb in den Wahllokalen
       
       Auf den Bildern, die Webkameras aus fast 34.000 Wahllokalen übertragen, ist
       reger Betrieb zu sehen. Aufwendig hat die Regierung für etwa 100 Millionen
       Euro die Internetüberwachung im zweitgrößten Flächenland Europas einrichten
       lassen – „um Fälschungen zu vermeiden“. Doch Berichte über Stimmenkauf und
       manipulierte Wählerlisten hatten zuletzt viele Ukrainer aufgebracht.
       
       „Nur blinde und taube Menschen können diese Wahlen fair nennen“, kritisiert
       Timoschenko in einem dramatischen Appell aus der Haft. Ihre Landsleute
       sollten unbedingt wählen gehen. „Eure massive Teilnahme kann ein Gegengift
       sein gegen die Fälschungen – leistet Euren persönlichen Beitrag zur
       Ablösung von Janukowitsch und seiner kriminellen Bande“, fordert die
       erkrankte Ex-Regierungschefin.
       
       Die Zentrale Wahlkommission bringt ihr eine Wahlurne in eine Klinik in
       Charkow rund 450 Kilometer östlich von Kiew. Unter Aufsicht von zwei
       internationalen Beobachtern der Organisation für Sicherheit und
       Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stimmt sie an ihrem Haftort ab.
       
       ## Wichtiger Vertrag auf Eis
       
       Timoschenko verbüßt seit 2011 eine siebenjährige Gefängnisstrafe wegen
       Amtsmissbrauchs. Die EU kritisiert, dass die 51-Jährige als wichtigste
       Janukowitsch-Gegnerin nicht kandidieren darf. Sie hat deswegen einen
       wichtigen Assoziationsvertrag auf Eis gelegt.
       
       In der politisch gespaltenen Ukraine gilt Klitschkos Udar als einzige
       Kraft, die landesweit punkten kann. Während Janukowitschs Partei im
       russischsprachigen Osten verwurzelt ist, sitzen Timoschenkos Stammwähler im
       proeuropäischen Westen des Landes. Allerdings finden sich in der Hauptstadt
       auch viele, die Klitschko nicht vertrauen. „Seine Versprechen sind ein
       ungedeckter Scheck. Er ist ein guter Sportler – aber keiner weiß, wofür er
       steht“, sagt etwa der 52 Jahre alte Makler Oleg.
       
       28 Oct 2012
       
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