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       # taz.de -- Kommentar Intersexuelle: Die Anderen sind wir
       
       > Im Namen der Normalität werden intersexuellen Babys Hormone verabreicht
       > und Operationen vorgenommen, die die Betroffenen als Folter bezeichnen.
       > Das muss aufhören.
       
   IMG Bild: Lucie Veith vor Bildern in ihrer Wohnung.
       
       Ist es ein Junge oder ist es ein Mädchen? Das ist die Frage, die alle meist
       zuerst stellen, wenn ein Kind zur Welt kommt. Bei etwa 350 Babys jährlich,
       die in Deutschland geboren werden, gibt es jedoch keine genaue Antwort.
       Denn sie kommen mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen zur Welt. Die Kinder
       sind weder noch, sind sowohl als auch. Sie sind Zwitter, Hermaphroditen,
       Menschen, deren Körper Hormone auf eigene Weise verarbeiten.
       
       Und wie reagieren die Eltern, wie reagiert die Gesellschaft, wie reagieren
       Ärzte und Verwaltungsbeamte? In den meisten Fällen: geschockt. Und zwar bis
       heute. Das uneindeutige Geschlecht – es wird als Anomalie wahrgenommen, die
       mithilfe von Medizinern normal gemacht werden soll.
       
       Es werden Hormone verabreicht, obwohl Hormone für Kinder nicht zugelassen
       sind. Es werden Operationen an Kindern vorgenommen, die gut und gerne
       Kastration genannt werden können. Es werden Neovaginas angelegt – eine
       Prozedur, die Betroffene als Folter bezeichnen, für die aber auch Worte wie
       Missbrauch oder Vergewaltigung nicht zu hoch gegriffen sind. Alles im Namen
       einer Normalität, die es nicht gibt. Das muss aufhören.
       
       Ohrlöcherstechen bei Kindern wird juristisch hoch gehängt, Verstümmelung an
       intersexuellen Kindern jedoch nicht.
       
       Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf körperliche Integrität, auf
       sexuelle Selbstbestimmung ist bei Intersexuellen wie ausgehebelt. Weil es
       zu viel verlangt scheint, von der Mehrheit zu erwarten, dass sie in mehr
       als zwei Geschlechtern denkt. Zwischen weiblich und männlich liegt eine
       Bandbreite an Möglichkeiten – die Natur sieht sie vor, die Gesellschaft
       aber übersieht sie. Es ist an der Zeit, dass sich was ändert. Und zwar
       nicht bei den Intersexuellen, sondern bei den Anderen.
       
       26 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Waltraud Schwab
       
       ## TAGS
       
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   DIR Folter
       
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