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       # taz.de -- Neue Radio/Internet-Serie von 1Live: Erstaunlich reflektierte Antworten
       
       > Auf der Suche nach Amerikas junger Generation: Zwei Radiojournalisten
       > reisen durch die USA und stellen denen, die sie treffen, immer dieselben
       > zehn Fragen.
       
   IMG Bild: Jochen Schliemann (rechts) und Matthias Ehring bereisen Amerikas Weiten.
       
       Es gibt in der Politikwissenschaft eine Methode, die man benutzt, wenn man
       herausfinden will, wie Sachen sind. Sie heißt Delphi-Methode und
       funktioniert so: Man geht hin und fragt die Leute. Nun ist WDR 1Live ein
       Radiosender und kein politisches Institut, und die 1Live Route 2012 keine
       wissenschaftliche Untersuchung, und doch hat man als Zuhörer am Ende das
       Gefühl, zu wissen, wie die Sachen sind. Genauer: wie die jungen Amerikaner
       so drauf sind.
       
       Für das Mammutprojekt zur US-Präsidentschaftswahl sind die beiden
       Journalisten Jochen Schliemann und Matthias Ehring nach Amerika geflogen
       und haben allen Menschen, die sie dort trafen, zehn Fragen gestellt (siehe
       Kasten). „Die einzige Möglichkeit, dieses unfassbar große Land zu
       begreifen“, sagt Schliemann, der die Idee hatte, „ist durchzufahren. Die
       USA sind riesengroß, das ist für uns Deutsche manchmal nicht so klar.
       Allein Kalifornien ist größer als die Bundesrepublik, und das ist nur ein
       Staat von 50.“ Also haben sie ein Auto gemietet und sind losgefahren, von
       der West Coast bis zur East Coast, drei Wochen waren sie unterwegs.
       
       Die 60 Videos, die dabei herauskamen, bilden das Herzstück des Projekts.
       Zusätzlich laufen ab Montag bis zur Wahl am 6. November O-Töne im
       Tagesprogramm von 1Live, und in der Wahlnacht selbst wird eine einstündige
       Reportage gesendet (23.00 Uhr). [1][Die Videos aber sind jederzeit online
       verfügbar]: Auf einer Landkarte der Vereinigten Staaten ist die Route der
       beiden Journalisten eingezeichnet, dort, wo Interviews geführt wurden, kann
       man sie anklicken. Es ist so simpel wie gelungen, weil man selbst
       entscheiden kann, was man schaut, wie viel und in welcher Reihenfolge.
       
       Auch wenn das Ergebnis, wie Schliemann zu Recht erklärt, nicht
       repräsentativ sein kann, sind die Videos im Einzelnen interessant, weil da
       junge Menschen erzählen, was sie denken. Eine Studentin aus New York, eine
       Barbesitzerin aus Nashville, ein Amish aus Ohio, ein Schriftsteller aus
       einer Künstlerkommune in der Colorado-Wüste, eine indianische Schülerin aus
       Albuquerque und, und, und: sie alle beantworten dieselben zehn Fragen, die
       absichtlich eher philosophischer Natur als konkret auf die Wahl bezogen
       sind.
       
       ## Immer wieder der American Dream
       
       Die Antworten zeigen: Das Klischee vom dummen Amerikaner ist nur ein
       Klischee. Viele äußern sich erstaunlich reflektiert, erstaunlich viele
       beantworten die Frage „Bist du glücklich?“ erstaunlich schnell mit Ja, und
       das Thema Freiheit beschwört immer wieder den American Dream. Frei sein
       bedeutet für viele, das tun zu können, was sie wollen. Und glücklich sein
       auch. „Der Freiheitsbegriff ist in Amerika viel wichtiger als bei uns“,
       sagt Schliemann, „und ich habe festgestellt, dass viele Angst davor haben,
       dass man ihnen ihre Freiheit nimmt.“
       
       Die 1Live Route 2012 ist ein beeindruckendes Projekt, weil es nicht
       krampfhaft versucht, ein Stimmungsbild zur Wahl abzuliefern, sondern viel
       eher die Lebensrealitäten junger Menschen darstellen möchte. Diese
       Herangehensweise hat aber auch eine Nebenwirkung: Wenn Schliemann mit
       seiner sonor-schnodderigen Stimme immer wieder dieselben Fragen stellt,
       kann das dazu führen, dass man plötzlich selbst darüber nachdenkt, wie frei
       und glücklich man eigentlich ist. Aber dieses Risiko kann man ja ruhig mal
       eingehen.
       
       25 Oct 2012
       
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