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       # taz.de -- Künstler-Wut: "Umsonst plus nix"
       
       > Kritiker und Kollegen beschimpfte der Hamburger Künstler Horst Janssen
       > vor gut 30 Jahren in seiner Schmähschrift "Angeber X". Die ist jetzt in
       > Oldenburg zu sehen.
       
   IMG Bild: Kein einfacher Charakter: Horst Janssen 1992, drei Jahre vor seinem Tod.
       
       OLDENBURG taz | Kunstkritiker? „Sabbelfritzen!“ Sammler? „Spekulanten!“
       Andy Warhol und Joseph Beuys? „Die zwei lächerlichsten Armseligkeiten im
       Gehege Kunst.“ Um deutliche Worte war der Hamburger Zeichner und Grafiker
       Horst Janssen nicht verlegen, als er sich vor dreißig Jahren in seinem
       Pamphlet „Angeber X“ über Kollegen, Galeristen und den Kunstbetrieb an sich
       ausließ, ach was: geradezu auskotzte. Das Oldenburger Horst-Janssen-Museum
       widmet der opulent illustrierten Schmähschrift derzeit eine
       Sonderausstellung.
       
       „Angeber X“ war ein Projekt, das Janssen zusammen mit seinem Freund, dem
       Verleger und Sammler Claus Clément, initiierte. Clément stellte dafür aus
       seiner Sammlung Originale zeitgenössischer Künstler zur Verfügung. Janssen
       zerschnitt sie, beklebte oder übermalte, kurz: zerstörte sie. In manchen
       Fällen schuf er etwas Neues daraus, in anderen beließ er es bei
       oberlehrerhaften Kommentaren, die er ins fremde Werk einfach hineinschrieb.
       
       So erklärte er etwa Friedrich Meckseper, wie man eine vernünftige
       Perspektive malt. André Thomkins wollte er zeigen, wie ein richtiger
       Faltenwurf aussieht, ein Bild von Horst Antes zerriss er kurzerhand und
       warf es weg. Sein Drucker fischte es aus dem Papierkorb, Janssen flickte es
       zusammen, signierte es und schickte es Clément zurück mit dem Vermerk: „Du
       musst zugeben, dass es polychromer geworden ist, oder?“
       
       ## Arrogant-überheblich
       
       Das klingt nicht nur arrogant-überheblich, das war es wohl auch. Und zeugt
       zugleich von einem eigentümlich begrenzten Kunstverständnis des Mannes, der
       selbst längst anerkannter Künstler war.
       
       Der Schweizer Künstler André Thomkins etwa hatte das Sakrileg begangen,
       sich an einem von Janssens geliebten Alten Meistern zu orientieren, einem
       Holzschnitt von Hans Baldung Grien aus dem 16. Jahrhundert – und ist in den
       Augen des wütenden Hamburgers gescheitert. Als „wabernden Pudding“
       bezeichnete er Thomkins’ Stil und schrieb – direkt auf dessen Bild – an
       Clément: „Dies war’s, was ich mit der Blindheit meinte.“
       
       Das Handwerkliche schien Janssen wichtiger zu sein als der Ausdruck, und
       eine saubere Zeichnung allemal bedeutsamer als eine wortgewaltige
       Rezension: An mehr als einer Stelle mokiert er sich über salbadernde
       Kritiker. An manchen Stellen der Schrift zeigt sich zudem, dass Janssen
       schlicht wenig Einschätzungsvermögen gehabt hat – etwa als er Warhol und
       Beuys prognostizierte, bald in Vergessenheit zu geraten.
       
       In anderen Fällen war die Kritik fundierter: Salvador Dalí warf er vor,
       dass er Blankobögen mit seiner Signatur bedruckt hatte und dem Papier damit
       Wert verlieh, noch bevor irgendeine Form von Kunst darauf geschaffen worden
       war. Ihm setzte Janssen einen Druck mit 340 eigenen Signaturen entgegen.
       Sein Kommentar: „Dies sind 340 Krakel – in diesem Jahr hab ich 100.000
       solche gemacht, für umsonst plus nix.“
       
       ## Mehr als nur ein wenig Neid
       
       Es scheint mehr als nur ein wenig Neid auf den spanischen Popstar der
       Kunstszene mitzuschwingen, und tatsächlich dürfte Janssens Brandrede gegen
       Kunstszene, Feuilletonisten und die Geldmaschinerie zu nicht geringem Teil
       daher rühren, dass es ihm nie so recht gelungen ist, seine Kunst zu
       vermarkten. Der Zeitgeist hatte andere Kunst im Blick, Kunstformen, mit
       denen Janssen nichts anfangen konnte: Pop-Art oder Aktionskunst waren ihm
       ein Gräuel. Während andere politisch motivierte Happenings veranstalteten,
       habe er in seinem Hamburger Haus gesessen und vertrocknete Blumen gemalt,
       sagt die Kuratorin der Ausstellung, Paula von Sydow.
       
       Viel Geld hat Janssen nie verdient. Immerhin: Als er sich an „Angeber X“
       machte, befand er sich in einer aufgeräumteren Phase seines Lebens: Janssen
       war trocken, hatte sein selbst ausgerufenes Suiziddatum unbeschadet
       überstanden und legte eine erstaunliche Produktivität an den Tag.
       
       Ein einfacherer Charakter wurde er wohl trotzdem nicht: Das Projekt drohte
       zu scheitern, als Janssen mit einer nächtlichen Schimpftirade per Telefon
       von Claus Clément die Rückgabe seiner Werke forderte – der daraufhin die
       bereits fertigen Blätter in eine Rolle packte und bei Janssen über den Zaun
       warf. Ein halbes Jahr später kriegte er sich wieder ein, es konnte
       weitergehen.
       
       Es ist polemisch, was Janssen gegen die Kollegen ablässt, manchmal auch
       witzig und selbstironisch – der „Angeber X“ ist ja niemand anderes als er
       selbst. Weitaus häufiger allerdings ist die Schrift einfach bloß wütend.
       „Flegelhaft“ nennen es die Ausstellungsmacher, eine „Quijoterie“ nannte es
       Janssen selbst: Die Kunstszene war seine persönliche Windmühle.
       
       Es ist die Predigt eines Mannes, der gegen die zeitgenössische Kunst nach
       dem Motto „Die können alle nix“ lospoltert, ohne sich offenbar besonders
       intensiv mit ihr befasst zu haben – es wirkt, als habe Janssen eine simple
       Stammtischpredigt zu Papier gebracht. Eine, von der, nachdem Clément sie
       1982 in einer Auflage von 750 Exemplaren veröffentlicht hatte, niemand
       Notiz nahm.
       
       Selbst einige der attackierten Künstler hätten erst durch die aktuelle
       Ausstellung davon erfahren, berichtet Kuratorin von Sydow. Nur einer sei
       ziemlich verschnupft gewesen, die anderen nahmen es größtenteils locker.
       Lockerer als Janssen jedenfalls.
       
       ## "Horst Janssen als Angeber X. Flegeleien und Verneigungen": bis 6.
       Januar, Oldenburg, Horst-Janssen-Museum
       
       24 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Maik Nolte
       
       ## TAGS
       
   DIR Prince
       
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   DIR Popstar-Poster in Mädchen-Zimmer: Die Rache des Vaters
       
       1993 übermalte der Grafiker Horst Janssen ein Plakat des Popstars Prince,
       den die Tochter anhimmelte. Es war ein Spiel auch mit der Eifersucht.