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       # taz.de -- Überwachungsprojekt Indect: Bloß nicht zu schnell laufen
       
       > Die EU fördert mit 11 Millionen Euro das Informationsprojekt Indect.
       > Brüssel will Terror vorbeugen, Bürger befürchten die totale Überwachung.
       
   IMG Bild: Eine große Gruppe und komische Bewegungen – das könnte verdächtig sein. Ist aber nur Yoga in einem Park in Brüssel.
       
       BRÜSSEL taz | Videoüberwachung, biometrische Gesichtserkennung, Auswertung
       von persönlichen Informationen aus sozialen Netzwerken im Internet – das
       von der Europäischen Union geförderte Projekt „Indect“ (Intelligentes
       Informationssystem zur Unterstützung von Überwachung, Suche und Erfassung
       für die Sicherheit von Bürgern in städtischer Umgebung) kombiniert all
       diese Verfahren und bastelt so an der perfekten Überwachung eines jeden
       Bürgers.
       
       „Sobald Sie ein für den Computer unnormales Verhalten zeigen, zum Beispiel
       auf der Straße zu schnell laufen, werden Sie von den Kameras aufgespürt,
       identifiziert und gegebenenfalls mit kleinen Drohnen durch die Stadt
       verfolgt“, sagt der EU-Abgeordnete und Indect-Gegner Jan Philipp Albrecht.
       „Das erinnert an Science-Fiction. Jeder steht unter Verdacht. Jede
       Handbewegung kann einen zum Verbrecher machen.“
       
       Die Europäische Kommission will offenbar genau das. Sie fördert das
       umstrittene Indect-Projekt seit 2009 mit knapp 11 Millionen Euro aus dem
       Topf des aktuellen Forschungsrahmenprogramms. „Was wir bisher an
       Technologien haben, reicht nicht, um zum Beispiel Terroranschläge zu
       verhindern. Die Wissenschaftler sagen uns, mit Indect haben wir mehr
       Chancen. Auch die Massenpanik bei der Loveparade in Duisburg hätte so
       eventuell verhindert werden können“, sagt Marco Malacarne, der bei der
       EU-Kommission für Sicherheitsforschung zuständig ist.
       
       ## Computer arbeiten schneller als der Mensch
       
       Indect bündelt verschiedene Überwachungstechnologien und entwickelt ein
       vollautomatisiertes Informationssystem, das – nach Angaben der Forscher –
       die Polizei und Sicherheitsdienste unterstützen soll bei der „Überwachung,
       Suche und Erfassung für die Sicherheit von Bürgern“. Der Vorteil: Die
       Computer arbeiten schneller als das menschliche Gehirn und können in
       kürzester Zeit riesige Datenmengen abgleichen.
       
       17 Partnerorganisationen unter Leitung der Technischen Universität in
       Warschau machen mit. Auch die Universität Wuppertal ist dabei. Und die
       flinken Drohnen, die zum Einsatz kommen sollen bei Verfolgungsjagden in der
       Stadt, werden von einem deutschen Unternehmen hergestellt. Beteiligt sind
       neben Firmen und Forschungsinstituten auch die polnische und die
       nordirische Polizei.
       
       Das Bundeskriminalamt hat sich vorerst gegen Indect entschieden. In einer
       Pressemitteilung wurde dies damals mit dem „umfassenden
       Überwachungsgedanken“ des Projekts begründet.
       
       ## Was ist auffällig? Und was tatsächlich Gefahr?
       
       Das Problem ist, dass der Computer im Zweifelsfall nicht zwischen einem
       auffälligen Verhalten aus anderen Gründen und einer tatsächlichen Gefahr
       unterscheiden kann“, sagt der grüne EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht.
       Die Indect-Gegner verwenden gern das Beispiel eines Mannes, der länger als
       gewöhnlich üblich vor einer Autotür steht und offenbar am Schloss
       herumhantiert. Das Indect-System stellt dies als „abnormales Verhalten“
       fest und löst eine automatische Kettenreaktion aus: Der Mann wird
       identifiziert. Das System stellt fest, dass das Auto einer Frau gehört und
       er nicht der Halter ist. Dies macht ihn zum potenziellen Autodieb. Die
       Polizei nimmt seine Verfolgung auf. Er wird – zumindest vorerst – zum
       Kriminellen.
       
       Was der Computer nicht weiß: Das Auto gehört der Freundin des Mannes. Er
       suchte lediglich in seiner Tasche nach dem Schlüssel. Deshalb stand er
       länger vor dem Wagen. „Wir dürfen unsere Freiheit nicht in die Hände von
       Maschinen legen. Außerdem gibt es in der Europäischen Union für solch eine
       flächendeckende Erhebung von Daten bisher keine gesetzliche Regelung zum
       Datenschutz“, sagt Albrecht.
       
       ## Tests in der Öffentlichkeit
       
       Weit ist es aber nicht mehr zu dieser Art der Überwachung. Mittlerweile
       haben die Wissenschaftler mit konkreten Tests in der Öffentlichkeit
       begonnen. So hat Indect zum Beispiel gezählt, wie viele Personen ein
       bestimmtes Gebäude betreten und wieder verlassen, um herauszufinden, wer
       nach Büroschluss noch geblieben ist und eine potenzielle Gefahr darstellen
       könnte. Außerdem wurde das System in der Verkehrsüberwachung getestet und
       analysierte gefährliches Fahrverhalten, zum Beispiel plötzlichen
       Spurenwechsel.
       
       Indect ist nicht das einzige Überwachungsprojekt, das die EU fördert.
       Insgesamt steckt Brüssel über das aktuelle siebenjährige
       Forschungsrahmenprogramm 1,7 Milliarden Euro in Sicherheitsforschung. Über
       100 Projekte werden gefördert.Dazu gehört zum Beispiel das Pilotprojekt von
       Eurosur, das die EU-Außengrenzen strenger überwachen soll. Auch in diesem
       Projekt sollen unbemannte Drohnen zum Einsatz kommen. Die EU-Kommission
       will die Sicherheitsforschung auch im nächsten Forschungsrahmenprogramm,
       das 2014 anläuft, fördern.
       
       Weltweit hat sich nach Angaben der Europäischen Kommission in den
       vergangenen zehn Jahren das Volumen des Sicherheitsmarktes von rund 10
       Milliarden Euro auf 100 Milliarden verzehnfacht. Davon sollen auch
       europäische Unternehmen profitieren, meint der Kommissar. Der finanzielle
       Bedarf für das nächste Forschungsrahmenprogramm wird zurzeit von der
       EU-Kommission ermittelt. Das Forschungsteam von Indect kann sich dann um
       eine Folgeförderung bewerben.
       
       21 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ruth Reichstein
   DIR Ruth Reichstein
       
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