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       # taz.de -- Homosexueller Ex-Bundesanwalt: „Gewohnt, Versteck zu spielen“
       
       > Rund 50.000 Männer wurden wegen ihrer Homosexualität verurteilt.
       > Ex-Bundesanwalt Manfred Bruns über die Opfer des Paragrafen 175 und sein
       > eigenes Coming-out.
       
   IMG Bild: Nicht mehr ganz so versteckt: Zum CSD weht die Regenbogenflagge am Hamburger Rathaus.
       
       taz: Herr Bruns, wie viele schwule Männer können jetzt auf eine
       Rehabilitierung hoffen? 
       
       Manfred Bruns: Niemand weiß, wie viele von den ursprünglich rund 50.000
       verurteilten Männern noch leben. Sie dürften heute jedenfalls alt sein. Die
       Bundesregierung und der Bundestag sollten sich beeilen, solange die
       Betroffenen noch am Leben sind.
       
       Warten die Verurteilten darauf, dass diese alten Urteile aufgehoben werden? 
       
       Wir wissen sehr wenig über die Betroffenen. Kaum jemand, der damals wegen
       Unzucht verurteilt wurde, geht heute an die Öffentlichkeit. Die Männer
       waren es gewohnt, Versteck zu spielen, und können das bis heute nicht
       ablegen. Manche wollen ihre Homosexualität auch weiterhin vor ihrer Familie
       und ihrem Umfeld geheim halten.
       
       Mit einer Flut an Entschädigungsanträgen ist also nicht zu rechnen? 
       
       Überhaupt nicht. Falls die Bundesregierung davor Angst hat, kann ich sie
       beruhigen. Es geht hier um eine symbolische Frage: Ob Deutschland bereit
       ist, das Unrecht anzuerkennen und, soweit möglich, aus der Welt zu
       schaffen.
       
       Die Justizministerin sieht den Rechtsstaat in Gefahr, wenn das Parlament
       Strafurteile aufhebt …? 
       
       Ich schätze die Ministerin sehr, aber hier verstehe ich sie nicht. Es kann
       doch nicht falsch sein, wenn Unrechtsurteile aufgehoben werden.
       
       Hatten Sie persönlich unter dem Paragrafen 175 zu leiden? 
       
       Mittelbar. Ich wurde nie bestraft, weil ich meine Homosexualität
       jahrzehntelang unterdrückt habe. Ich habe mir was vorgemacht und wollte
       davon nichts wissen. 1961 habe ich geheiratet und bis in die 80er-Jahre
       strikt an der Ehe festgehalten, auch weil ich Angst um meine bürgerliche
       Existenz hatte.
       
       Was passierte, als Sie sich Mitte der achtziger Jahre schließlich outeten? 
       
       Im Jahr 1983 war General Kießling wegen angeblicher Homosexualität
       zwangspensioniert worden. Da ging ich zum meinem Vorgesetzten,
       Generalbundesanwalt Kurt Rebmann, und sagte, ich sei zwar homosexuell, aber
       nicht erpressbar, denn meine Frau wisse Bescheid. Trotzdem wurde ich sofort
       versetzt. In der Revisionsabteilung für Staatsschutzsachen hatte ich bis
       dahin auch mit geheimen Unterlagen zu tun. Doch nun galt ich als
       Sicherheitsrisiko.
       
       Haben Sie sich gewehrt? 
       
       Ja, ich war sehr wütend und habe das öffentlich gemacht. Da hat Rebmann,
       der sehr konservativ war, jahrelang nicht mehr mit mir gesprochen. Einmal
       hat er mich sogar angezeigt, wegen Beihilfe zum Drogenmissbrauch. Damals
       hatte ich für die Aids-Hilfe ein kurzes Gutachten geschrieben, dass es
       rechtmäßig sei, an Heroinsüchtige Einwegspritzen abzugeben, um die
       Ausbreitung von Aids zu verhindern. Das Verfahren gegen mich wurde
       natürlich eingestellt.
       
       War das Mobbing? 
       
       Vermutlich. An solchen Schwierigkeiten sieht man, dass die Stigmatisierung,
       die der Paragraf 175 ausdrückte und bewirkte, auch nach 1969 weiter
       fortbestand.
       
       12 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
       ## TAGS
       
   DIR Paragraf 175
       
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