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       # taz.de -- Neues Buch von Hans Werner Sinn: Von wegen goldene Kreditkarte
       
       > Wer ist schuld an der Krise? Für den Ökonomen Hans-Werner Sinn sind die
       > Feindbilder klar. Das ist auch in seinem neuen Buch, „Die Target-Falle“,
       > so.
       
   IMG Bild: Sein Markenzeichen ist der Alarmismus: Ökonom Hans Werner Sinn.
       
       Der Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn fürchtet um Deutschland. Er sieht
       enorme „Gefahren für unser Geld und unsere Kinder“. Und diese Gefahren
       haben einen sehr technischen Namen: Es geht um die sogenannten
       „Target-2-Salden“. Sie beliefen sich im September auf 1.020 Milliarden
       Euro. Davon waren rund 700 Milliarden Euro bei der Bundesbank verbucht, der
       Rest verteilte sich vor allem auf Finnland, Luxemburg und die Niederlande.
       
       Diesem Plus bei den Nordländern entspricht ein Minus bei den Südländern.
       Allein in Spanien ist ein negativer Target-2-Saldo von mehr als 400
       Milliarden Euro aufgelaufen. Für Sinn ist damit klar: „Die Südländer
       drucken Geld – und kaufen sich dafür chinesische Autos.“ Alternativ sagt
       der Ökonom auch gern, dass sich die Südländer „eine goldene Kreditkarte“
       besorgt hätten, die sie nun gnadenlos überziehen. Die Rechnung müssten dann
       die Deutschen bezahlen, falls der Euro auseinanderbricht und die
       Target-2-Salden fällig werden.
       
       Ohne dass Sinn das Wort „Verschwörung“ benutzen würde, steht es doch im
       Raum: Da befassen sich die 17 Parlamente der Eurostaaten permanent mit
       Hilfskrediten und Rettungsschirmen – während, so scheint es, die meisten
       Milliarden über den unkontrollierten Target-Mechanismus der Notenbanken
       fließen.
       
       Diese Thesen vertritt Sinn seit mehr als einem Jahr, nun hat er sie noch
       einmal gebündelt und unter dem Titel „Die Target-Falle“ bei Hanser
       herausgebracht. Am Freitag stellte er das Buch in Berlin vor. Gleich als
       Erstes zeigt er eine Folie, aus der klar zu erkennen ist, dass die
       Target-2-Salden erst seit der Finanzkrise ab 2008 explodieren – und vorher
       völlig unauffällig waren. Was also ist in den letzten Jahren geschehen?
       
       ## Gigantische Kapitalflucht
       
       Die Target-2-Salden beschreiben letztlich eine gigantische Kapitalflucht
       aus Südeuropa. Alle ziehen ihr Geld ab: die Investoren, aber auch die
       kleinen Sparer. Dahinter verbirgt sich eine doppelte Angst. Viele Anleger
       fürchten, dass die Firmen und Staaten in Südeuropa ihre Kredite nicht
       zurückzahlen könnten – also verlängern sie die Darlehen nicht und holen das
       Geld nach Deutschland zurück.
       
       Hinzu kommt als zweiter Trend, dass viele Griechen, Portugiesen, Spanier
       und Italiener Angst haben, dass ihre Länder den Euro vielleicht verlassen
       müssen – und dass sie dann plötzlich mit einer deutlich schwächeren
       Drachme, Pesete oder Lira zurückbleiben. Also räumen sie ihre Konten
       zuhause und transferieren das Geld nach Deutschland. Etwas vereinfacht
       gesagt: Die Südeuropäer versuchen, aus ihren spanischen oder italienischen
       Euros deutsche Euros zu machen. Und das bläht die Target-Salden der
       Bundesbank auf.
       
       Kritiker haben daher von Anfang an moniert, dass Sinn übertreibt: Die
       Target-2-Salden würden weniger ein reales Problem spiegeln, sondern vor
       allem die Panik in der Eurozone. Nur wenn die Gemeinschaftswährung
       tatsächlich zusammenbricht, wären die Euros verloren, die im
       Target-2-System verbucht sind.
       
       ## Keine Inflation
       
       Aber auch dafür werden schon Lösungen diskutiert. So schlug der belgische
       Volkswirt Paul De Grauwe kürzlich vor, dass die Bundesbank den Schaden bei
       einem Eurocrash ja dadurch minimieren könnte, dass mit der neuen D-Mark nur
       jene Kontoinhaber entschädigt würden, die ihren Wohnsitz in Deutschland
       haben. Sprich: Die Italiener oder Griechen würden leer ausgehen, die ihre
       Euros als Fluchtgeld nach Deutschland gebracht haben.
       
       Sinns Markenzeichen ist der Alarmismus, daher war am Freitag überraschend,
       dass selbst er bei einer Frage ganz gelassen bleibt: Es sei nicht mit einer
       Inflation zu rechnen. Zwar garnierte er seinen Vortrag pausenlos mit der
       etwas schiefen Metapher, dass die Südeuropäer „Geld drucken“ würden – doch
       räumte er gleichzeitig ein, dass die Geldmenge durch das Target-2-System
       insgesamt nicht steigt. Für Sinn passt trotzdem beides zusammen: „Die
       Gelddruckmaschine wird nach Griechenland verlagert.“
       
       12 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Herrmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Finanzkrise
       
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