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       # taz.de -- Film über Diktatur in Indonesien: Killer im Anzug
       
       > Während der Kommunistenjagd Mitte der 1960er in Indonesien starben
       > Hunderttausende. In „The Act of Killing“ spielen die Massenmörder sich
       > selbst.
       
   IMG Bild: Einst haben sie Kommunisten gejagt, heute spielen sie stolz die Szenen nach: Schlächter in der Maske.
       
       Man stelle sich vor: Eine Gruppe ehemaliger SS-Schergen inszeniert sich vor
       einer Kamera und spielt nach, wie sie Juden umgebracht haben. Sie singen
       und tanzen dabei, tragen bizarre Outfits in knalligen Farben und brüsten
       sich mit ihren Gewalttaten. Amtierende Bürgermeister und bekannte
       Medienmogule sitzen in Luxusvillen mit den Mördern auf dem Sofa und klopfen
       ihnen auf die Schulter – ebenfalls vor laufender Kamera.
       
       Joshua Oppenheimers „The Act of Killing“, der kürzlich in Toronto erstmals
       öffentlich gezeigt wurde, hat nicht den Holocaust zum Thema, sondern die
       Kommunistenverfolgung in Indonesien Mitte der 1960er Jahre. Dennoch
       vergleichen Kritiker „The Act of Killing“ mit dem Holocaust-Film „Shoah“.
       
       Auch Oppenheimers Film, koproduziert von Werner Herzog und Errol Morris,
       lehrt das Grauen, ohne Tote zu zeigen. Und auch für „The Act of Killing“
       gilt, was Klaus Kreimeier 1986 über „Shoah“ schrieb: „Die Sprache der
       Barbarei tappt nicht etwa in ihr gestellte Fallen, sondern sie ist
       geheimnislos. Man muss sie nicht herauslocken, man muss ihr nur zuhören.“
       
       Sieben Jahre lang hat Oppenheimer der Sprache der Barbarei zugehört. Der
       38-jährige Amerikaner lässt Massenmörder nicht nur vor der Kamera zu Wort
       kommen, sondern sie „das Schauspiel des Tötens“ visualisieren.
       Hauptdarsteller: die Mörder selbst. Sie drehen einen Film über Verbrechen,
       auf die sie stolz sind. Oppenheimer filmt sie dabei.
       
       Protagonist Anwar Congo und seine Freunde sind Kriminelle in der Großstadt
       Medan in Nordsumatra, sogenannte Preman (= freier Mann). Die 1965 zunehmend
       einflussreiche Kommunistische Partei (PKI) ist Anwar und „seinen Jungs“ ein
       Dorn im Auge. Sie sind Mitglieder der paramilitärischen
       ultranationalistischen Pemuda Pancasila (PP) und verdienen, wenn sie nicht
       gerade Schutzgelder erpressen, ihr Geld als Ticketabreißer in einem Kino.
       Sie kleiden sich wie ihre amerikanischen Filmidole.
       
       ## Blutige Kommunistenjagd
       
       Und es sind die Hollywood-Streifen, die das Kinopublikum anziehen und Anwar
       & Co das meiste Geld einbringen. Jene Filme, die die PKI als
       imperialistisches Machwerk boykottiert. Als die große, blutige Hetzjagd auf
       Kommunisten beginnt, muss man Anwar und seine Freunde nicht lange um
       Mithilfe bitten. Gegenüber von „ihrem Kino“ liegt das Büro der PP.
       
       Auf dessen Dachterrasse sieht man Anwar in einer der ersten Szenen von „The
       Act of Killing“ tanzen. „Cha-Cha-Cha – da, da, da“. Der schlanke Mann in
       weißer Hose und grün-weiß geblümtem Hemd singt und tänzelt vor und zurück.
       Gerade hat er erklärt, wie sie damals die Kommunisten „allegemacht haben“.
       Wie es auf der Terrasse anfangs so viel Blut gab, dass es zu sehr stank.
       Wie er deshalb auf die Idee kam, seine Opfer mit einer Drahtschlinge zu
       erwürgen. Er hatte das in amerikanischen Gangsterfilmen gesehen. Wie gut
       dieses Vorgehen das Blutproblem löste. Wie er die Bilder im Kopf vertreibt
       mit ein bisschen Musik, ein bisschen Alkohol, ein bisschen Marihuana? „Da,
       da, da – uh, uh, uh.“
       
       Das Blutbad von 1965/66 hat zwischen 500.000 und drei Millionen
       Menschenleben gefordert. Suhartos Militärs brauchten dafür zivile
       Handlanger. Tausende wie Anwar mordeten im Auftrag der Militärs oder
       gemeinsam mit ihnen. Und mit Unterstützung aus Washington in Form von Geld,
       Technologie und Namenslisten.
       
       Wer das Blutbad überlebte, aber des Kommunismus verdächtig war, landete
       ohne Gerichtsverfahren zum Teil über ein Jahrzehnt im Gefängnis und bekam
       hernach den Stempel ET (Ex-Tapol = Expolithäftling) in seinen Ausweis. Nach
       Suhartos Sturz konnten konnten sich die Opfer endlich Gehör verschaffen.
       Historiker publizierten eine alternative Geschichtsschreibung. Im Juli
       dieses Jahres schließlich stufte die Nationale Menschenrechtskommission die
       Kommunistenverfolgung von 1965/66 als „schwere Menschenrechtsverletzung“
       ein und forderte den Generalstaatsanwalt zu Ermittlungen gegen die Täter
       auf.
       
       ## Entmenschlichung der Kommunisten
       
       Doch in der Bevölkerung dominiert die Narration des vor 14 Jahren
       gestürzten Diktators Suharto noch immer. Militärmedien hatten 1965
       verbreitet, die ermordeten Militärs seien von Kommunisten gefoltert worden.
       Kommunistinnen hätten ihnen die Penisse abgeschnitten und die Augen
       ausgestochen. Der Obduktionsbericht, der dafür keinen Beweis liefert, blieb
       unter Verschluss. Doch die Propaganda wirkte, die Dehumanisierung der
       Kommunisten förderte den Hass breiter Gesellschaftsschichten und deren
       Angst vor dem „kommunistischen Chaos“. Auf diesem Hass und dieser Angst
       beruhte Suhartos Macht. Auf ihr beruht die Macht vieler indonesischer
       Amtsträger bis heute. Er wollte zeigen, so Oppenheimer zur taz, welche
       Kultur sich entwickelt, wenn die Mörder gewinnen und führende Positionen in
       der Gesellschaft einnehmen. „Massenmord als etwas Heldenhaftes zu feiern
       ist der Grundstein für Straflosigkeit.“
       
       Mit sichtlicher Freude stellen Anwar und seine Freunde in
       Hollywood-ähnlicher Manier ihr Morden nach. Das wirkt so bizarr, dass man
       zuweilen lachen muss. Zugleich wird klar, dass die Täter einst so
       spielerisch mordeten, wie sie jetzt das Morden spielen. In der absoluten
       Gewissheit, über dem Gesetz zu stehen. Anwar kommen erst Zweifel, als er in
       die Opferrolle schlüpft. „Ich kann fühlen, wie meine Würde zerstört wird.
       Ob die Menschen, die ich gefoltert habe, auch so gefühlt haben?“ Der
       Regisseur antwortet aus dem Off: „Du weißt, dass du einen Film machst,
       Anwar. Deine Opfer wussten, dass sie wirklich sterben würden.“
       
       „Dies ist der heftigste und politisch wichtigste Film, den ich je über
       Indonesien gesehen habe“, so der indonesische Soziologe Ariel Heryanto.
       Seit „The Act of Killing“, so Heryanto, sei das Studium indonesischer
       Politik nicht mehr das gleiche wie zuvor. Noch ist unklar, ob die
       Öffentlichkeit den Film zu sehen bekommt. Trotz Medienfreiheit hat
       Indonesien nach wie vor eine Filmzensurbehörde, von der „The Act of
       Killing“ kaum grünes Licht bekommt. Die Protagonisten drohen bereits,
       Oppenheimer zu verklagen.
       
       Vertreter der Pemuda Pancasila „bitten“ öffentlich darum, den Film nicht zu
       zeigen. „Natürlich will ich den Film sehen“, sagt Erlina Gudadi,
       Vorsitzende von Kiprah Perempuan, einer Vereinigung von 1965er-Opfern.
       „Aber ich hätte zugleich Angst vor Gewalt, wenn er hier in den Kinos
       läuft.“ Gudadi erzählt, wie Angehörige von Ermordeten vor Kurzem ein
       Massengrab öffnen wollten, um die sterblichen Überreste ihrer Verwandten
       angemessen zu beerdigen. „Zwei Tage nachdem wir das beim Landrat angemeldet
       haben, tauchten am Ort des Massengrabes Transparente auf, die vor der
       ’neuen kommunistischen Gefahr‘ warnten.“ Aus Angst gaben die Angehörigen
       ihre Pläne auf.
       
       Indonesiens größtes Nachrichtenmagazin Tempo folgte letzte Woche
       Oppenheimers Inspiration und publizierte eine Sonderausgabe mit Interviews
       von 65er-Massenmördern. „Diese Berichte haben eine enorme Diskussion
       ausgelöst, bei der vielen unwohl ist“, so der indonesische Historiker
       Hilmar Farid. Aber es sei genau die Diskussion, die sein Land brauche. Auch
       wenn, so Farid, „der Mut, die Vergangenheit zu betrachten, vielleicht die
       Behaglichkeit der Gegenwart erschüttern wird“.
       
       10 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anett Keller
       
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