URI: 
       # taz.de -- Die Medien und Griechenland: Deutsche Demagogen
       
       > Die Stimmungsmache der deutschen Medien gegen Griechenland basiert auf
       > Wohlstands-Chauvinismus und Geschichtsvergessenheit.
       
   IMG Bild: Dieser „Focus“-Titel rief in Griechenland die zornigsten Reaktionen hervor.
       
       Bild macht sich Sorgen. Große Sorgen. „Wer garantiert für die Sicherheit
       der Kanzlerin?“, fragt die Zeitung scheinheilig einen Tag vor Angela
       Merkels Reise nach Griechenland. 7.000 Polizisten würden gebraucht, um die
       deutsche Regierungschefin auf dem Weg vom Flughafen zum Amtssitz von
       Premier Antonis Samaras zu schützen. Dazu Scharfschützen, Hubschrauber, die
       ganze Polizeikapelle.
       
       Dass die Sicherheitslage womöglich nicht halb so dramatisch wäre, wenn die
       Bild sich nicht anmaßen würde, in „unserem“, im Namen aller Deutschen also,
       Politik zu machen, verschweigt das Blatt, das vor mehr als zwei Jahren aus
       den „Griechen“ die „Pleite-Griechen“ machte: „BILD gibt den Pleite-Griechen
       die Drachmen zurück!“ (April 2010), „Verkauft eure Inseln, ihr
       Pleite-Griechen“ (Oktober 2010), „Pleite-Griechen: Krise kostet uns schon
       800 Mio. Euro“ (März 2011).
       
       Die Bild hat für derlei Kampagnen gar einen Nachwuchs-Hetzer in seinen
       Reihen, der sich ausschließlich darum kümmert, ordentlich zu zündeln und
       sich auch nicht zu schade ist, ganz alte Rechnungen des Urgroßvaters
       aufzumachen: Paul Ronzheimer, 27, stellte in einem Kommentar im März dieses
       Jahres über finanzielle Forderungen der griechischen Politiker an
       Deutschland fest: „… das Nazi-Regime hat den Griechen schweres Leid
       angetan. Aber Reparationszahlungen sind längst geleistet worden.“
       
       Ronzheimer hätte statt „das Nazi-Regime“ natürlich auch „wir“ oder „unsere
       Vorfahren“ schreiben können, die Griechenland von 1941 bis 1944 besetzt
       hielten, wobei Hunderttausende Griechen durch Kämpfe und Massaker, aber
       auch durch Hunger ums Leben kamen.
       
       Viel entscheidender aber ist, dass Ronzheimer verschweigt, dass es kaum ein
       Land in der jüngeren Geschichte so erfolgreich geschafft hat, sich um
       Reparationszahlungen zu drücken wie Deutschland – also „wir“! Die Griechen
       bekamen in den 1960er Jahren gerade mal 115 Millionen D-Mark
       Wiedergutmachung. Wahrscheinlich hat der Uropa diesen Teil der
       Reparationsgeschichte ausgelassen.
       
       ## Der Focus war's
       
       So gesehen ist es verwunderlich, dass es kein Bild-, sondern ein
       Focus-Titel war, der in Griechenland die zornigsten Reaktionen hervorrief:
       Im Februar 2010 zeigte das Magazin eine Aphrodite, untenrum verhüllt von
       der griechischen Fahne, obenrum den Stinkefinger hochreckend. Schlagzeile:
       „Betrüger in der Euro-Familie“. Griechische Rechtsanwälte verklagten das
       Blatt daraufhin, in Athen wurde tagelang prozessiert, bis die Klage dann im
       April 2012 abgewiesen wurde.
       
       Doch ruhiger wurde der Ton dadurch nicht. Im August baute die Bild am
       Sonntag Bayerns Finanzminister Markus Söder eine Bühne, auf der der
       CSU-Mann fordern konnte, dass an Athen ein Exempel statuiert werden müsste.
       Die Eurozone sollte beweisen, dass sie auch Zähne zeigen und Schaden von
       Deutschland abwenden könne: „Wenn jemand an deinem Seil hängt und dabei
       ist, dich mit in den Abgrund zu reißen, musst du das Seil kappen.“
       
       Damit ist der Christsoziale ganz auf der Linie des Flaggschiffs des
       Springer Verlags, das mit „Ihr griecht nix von uns!“ (März 2010) und „Nehmt
       den Griechen den Euro weg!“ (November 2011) bewies, dass es auch ohne das
       Wort „Pleite“ gegen die Griechen titeln kann.
       
       Als Ende 2011 der stellvertretende Bild-Chefredakteur Nikolaus Blome die
       „Europäische Distel“ vom Verein Europa-Union für den „größten
       europapolitischen Fehltritt des Jahres“ entgegennahm, sagte er lapidar: Den
       Boten wegen der Botschaft, die er bringt, zu köpfen sei ein antikes Muster.
       „Seien Sie froh, dass es uns gibt.“
       
       9 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürn Kruse
       
       ## TAGS
       
   DIR Kampnagel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kampnagel-Schwerpunkt Griechenland: Die neue Vernunftfeindlichkeit
       
       Deutsche Statusangst und der Blick nach Griechenland: Das Festival
       Kampnagel in Hamburg analysiert die Verzerrungen der Berichterstattung.
       
   DIR Kommentar Merkel in Athen: Die Mär von bösen fremden Mächten
       
       Die sinkenden Renten in Griechenland gehen nicht auf Merkels Konto. Doch um
       die wechselseitigen Zerrbilder abzubauen, hätte sie viel früher aktiv
       werden müssen.
       
   DIR Protest gegen Kanzlerin in Athen: „Tochter Hitlers – raus du Schlampe“
       
       Die Ankunft von Angela Merkel in Griechenland wird von wütenden Protesten
       begleitet. Die Erfolgschancen der Kanzlerin werden sehr unterschiedlich
       bewertet.
       
   DIR Merkel in Athen: Stimmung? Nachhaltig beschädigt
       
       Weltanschauung, Auflagesteigerung oder Sensationslust: Die antideutschen
       Medien in Griechenland haben verschiedene Motive.
       
   DIR Eurokrise und Rettungsschirm: Unbeliebter Retter kann loslegen
       
       Der Euro-Rettungsfonds ESM steht nach dreimonatiger Verzögerung endlich.
       Doch der Rettungsschirm ist bei den zu „rettenden“ Ländern durchaus
       unbeliebt.
       
   DIR Griechische Einwanderer in Berlin: Flucht der Ausgebildeten
       
       In Berlin entsteht eine neue griechische Einwandererszene, besonders junge
       Menschen suchen hier ihr Glück. Arbeit finden nur die gut Qualifizierten.
       
   DIR Griechen in Deutschland: „Die betreiben keine Fabriken“
       
       Die griechische Community in Deutschland kann Migranten nur begrenzt
       helfen, sagt Kostas Papanastasiou. Dafür fehlt schlicht das Vermögen.
       
   DIR Krise in Griechenland: Was die Griechen noch verdienen
       
       Vor allem im öffentlichen Dienst leiden die Menschen unter drastischen
       Einkommenskürzungen: Ein Polizist kommt nur noch auf 685 Euro netto im
       Monat.
       
   DIR Generalstreik in Griechenland: „Kämpft, sie trinken euer Blut“
       
       Die Griechen antworten mit einem Generalstreik auf die weiteren
       Sparvorgaben der Geldgeber-Troika. Die Proteste seien nur der Beginn von
       weiteren Aktionen.