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       # taz.de -- Debatte Peer Steinbrück: Seekrank unter Deck
       
       > Der SPD-Kanzlerkandidat inszeniert sich jetzt als Bankenschreck. Dabei
       > hat er in der Krise den Instituten Milliarden hinterhergeworfen.
       
   IMG Bild: „Lass man gut sein“, scheint Willy Brandt dem frisch gekürten Kandidaten der SPD, Peer Steinbrück, hier sagen zu wollen.
       
       Wahrheit ist nichts, Image ist alles. Wie sonst könnte es sein, dass Peer
       Steinbrück zu den beliebtesten Politikern des Landes zählt. Die Legende vom
       kompetenten Finanzpolitiker, der Deutschland sicher durch die Krise gelotst
       hat, spukt anscheinend immer noch in den Köpfen vieler Mitbürger. Aber wer
       sollte es ihnen denn auch verdenken?
       
       Schließlich übertreffen sich die großen Meinungsbildner der Republik
       gegenseitig darin, den ehemaligen Finanzminister über den grünen Klee zu
       loben. Bei näherer Betrachtung erweisen sich diese Lobhudeleien jedoch als
       modernes Märchen, das wenig mit der Realität zu tun hat.
       
       Bereits vor seiner Zeit als Bundesfinanzminister hatte Peer Steinbrück
       beruflich mit der Kontrolle von Banken zu tun. Von 1998 bis 2005 war er
       beispielsweise maßgeblich für die Kontrolle der nordrhein-westfälischen
       WestLB verantwortlich.
       
       Unter den Augen des Kontrolleurs Steinbrück verwandelte sich die ehemals
       provinzielle Landesbank in eine international tätige Zockerbude, die im
       Finanzkasino mitspielte und schon lange vor der Subprime-Krise Milliarden
       verbrannte. Die „Conduit-Geschäfte“, die der WestLB wenige Jahre später das
       Genick brechen sollten, nahmen unter der Ägide Steinbrücks erst richtig an
       Fahrt auf.
       
       ## Nicht besser gewusst?
       
       Hatte Steinbrück damals vielleicht aus ideologischen Gründen die Risiken
       falsch eingeschätzt? Alles spricht dafür, schließlich trat er zu dieser
       Zeit auch sonst als überzeugter Deregulierer auf. Mit sogenannten
       Produktinnovationen, etwa neuen Formen der Verbriefung und Derivaten,
       wollte er den Finanzstandort Deutschland auf Augenhöhe mit London und New
       York bringen. Diese Papiere sollten wenige Jahre später als ABS, CDO und
       CDS zu weltweiter Berühmtheit gelangen.
       
       Konnte Peer Steinbrück es damals vielleicht nicht besser wissen? Zumindest
       Finanzexperten wussten es besser. Die Investmentlegende Warren Buffet
       bezeichnete diese „Produktinnovationen“ zu jener Zeit als „finanzielle
       Massenvernichtungswaffen“.
       
       Doch Peer Steinbrück hörte lieber der Finanzlobby zu und setzte deren
       Wünsche als designierter Bundesfinanzminister 2005 bereits im
       Koalitionsvertrag bestmöglich um. Neben der vertraglich festgehaltenen
       „nachdrücklichen Unterstützung“ dieser Papiere stutzte die große Koalition
       auch gleich noch die Finanzmarktaufsicht zusammen. Diese sollte „mit
       Augenmaß“ vorgehen, also im Zweifel lieber wegschauen.
       
       Es kam, wie es kommen musste. Bereits ein Jahr vor dem Zusammenbruch von
       Lehman Brothers geriet die deutsche Mittelstandsbank IKB in Schieflage,
       wurde von Peer Steinbrück aber kurzerhand für „systemrelevant“ erklärt. Die
       Gläubiger wurden mit rund 10 Milliarden Euro Steuergeldern ausbezahlt. Das
       Mantra der Systemrelevanz war geboren, doch nie war es unzutreffender als
       bei der unbedeutenden IKB.
       
       Warum „rettete“ Steinbrück die Bank zulasten des Steuerzahlers? Die
       Gläubigerliste der IKB entsprach zu jener Zeit dem Who’s who der deutschen
       Finanzwirtschaft. Offenbar wollte der Mann, der heute den Banken den Kampf
       angesagt hat und viel von Gläubigerhaftung erzählt, damals, als es darauf
       ankam, die Banken noch nicht einmal für diese überschaubare Summe in
       Haftung nehmen.
       
       ## Ein Geschenk für Jo
       
       Noch teurer kam den Steuerzahler ein Jahr später Steinbrücks Blankoscheck
       für die Gläubiger der Hypo Real Estate (HRE) zu stehen. Zusammen mit seinem
       Staatssekretär Jörg Asmussen ließ sich Steinbrück von Deutsche-Bank-Chef
       Josef Ackermann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion über den Tisch ziehen. Er
       sicherte den Banken eine Übernahme der Verbindlichkeiten der HRE zu, die
       den Steuerzahler insgesamt wahrscheinlich mehr als 100 Milliarden Euro
       kosten wird.
       
       Wer sich die Mühe macht, die Akten des HRW-Untersuchungsausschusses zu
       studieren, mag nicht mehr so recht an die Legende des vermeintlich
       kompetenten Finanzministers glauben. Noch wenige Tage vor dem
       HRE-Krisengipfel hatte Steinbrück erklärt, ein Bankenrettungspaket sei „in
       Deutschland weder notwendig noch sinnvoll“.
       
       ## Sprüche ohne Folgen
       
       Anstatt Lehren aus der Krise zu ziehen und die von ihm selbst zuvor
       propagierte Deregulierung des Finanzsystems rückgängig zu machen, gefiel
       sich Steinbrück im Laufe der Krise lieber als Sprücheklopfer. Er
       polemisierte mit harschen Worten gegen das Finanzsystem, ließ diesen Worten
       jedoch keine Taten folgen. Nennenswerte Gesetzesinitiativen zur Regulierung
       der Finanzmärkte blieben während seiner Amtszeit aus.
       
       Dabei gab es im Kielwasser des Beinahezusammenbruchs des weltweiten
       Finanzsystems tatsächlich ein kurzes Zeitfenster, in dem selbst den
       Lobbyisten der Finanzindustrie die Spucke wegblieb und eine Zähmung der
       Finanzmärkte durchaus möglich gewesen wäre. Steinbrück nutzte dieses
       Zeitfenster nicht, sondern handelte stattdessen als Interessenwahrer der
       Banken.
       
       Auch auf der realwirtschaftlichen Ebene versagte der Diplomvolkswirt
       Steinbrück während seiner Amtszeit. Während des Krisenjahres 2008 lehnte er
       jegliche konjunkturpolitische Antwort auf die Finanzkrise so lange ab, bis
       er von der Realität überholt wurde und zähneknirschend den
       Mini-Konjunkturprogrammen zustimmte, die im November 2008 beschlossen
       wurden. Im Folgejahr erlebte Deutschland die stärkste Rezession der
       Nachkriegszeit. Wieder einmal erwies sich Steinbrücks Tatenlosigkeit im
       Nachhinein als sehr kostspielig.
       
       Doch von den eigenen Fehlern will Steinbrück bis heute nichts wissen. Der
       Mann, der während der Krise orientierungslos und seekrank unter Deck hockte
       und den Bankern das Steuerrad überließ, lässt sich stattdessen heute als
       Lotse feiern, der das Land angeblich mit ruhiger Hand durch den schlimmsten
       Orkan der jüngeren Geschichte gesteuert hat. Die SPD konnte er damit
       täuschen. Doch auch bei den Genossen wird irgendwann die Erkenntnis reifen,
       dass der Mann, der auch die Agenda 2010 noch heute als „größte politische
       Leistung der Nachkriegsgeschichte“ sieht, vielleicht doch nicht der
       richtige Kandidat ist.
       
       2 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Berger
       
       ## TAGS
       
   DIR Italien
       
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